Otto von Bismarck und seine Zeit
1815 – 1898
Die sechsteilige Chronik lädt zu einer Entdeckungsreise durch das 19. Jahrhundert ein. Sie verknüpft wichtige Stationen im Leben Otto von Bismarcks mit Schlaglichtern auf politische Umbrüche, künstlerische Werke, wissenschaftliche Forschungsergebnisse und technische Neuerungen, die das Leben vieler Menschen veränderten. Die Auswahl orientiert sich am persönlichen Wahrnehmungs- und Erfahrungshorizonts Bismarcks und zeigt daher überwiegend Ereignisse aus Deutschland, Frankreich und dem übrigen Europa.
1815 – 1838
Die Jahre der Kindheit und Ausbildung
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Otto von Bismarck tritt seinen Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger beim Garde-Jäger-Bataillon in Potsdam an. Im Herbst wechselt er ins Jäger-Bataillon Nr. 2 in Greifswald und nutzt die Zeit der Stationierung dort, um sich an der Königlichen Staats- und landwirtschaftlichen Akademie Eldena weiterzubilden.
1839 – 1850
Familienvater, Gutsherr und Abgeordneter
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Otto von Bismarck erhält seine erste Auszeichnung: Ihm wird die Rettungsmedaille verliehen, da er während einer Landwehrübung in Lippehne (Lipiany) am 24. Juni 1842 seinen Reitknecht vor dem Ertrinken in einem See rettete. König Friedrich Wilhelm III. hatte diese Medaille 1833 für Retter gestiftet, die sich selbst in Lebensgefahr begeben hatten.
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Otto von Bismarck übernimmt sein erstes öffentliches Amt: Er wird in Jerichow, das wenige Kilometer südlich von Schönhausen ebenfalls unweit der Elbe liegt, zum Deichhauptmann ernannt. Zur selben Zeit wird er zum Stellvertreter des Abgeordneten der Ritterschaft des Kreises Jerichow im Landtag der preußischen Provinz Sachsen in Merseburg bestimmt.
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Im Berliner Schloss wird der Erste Vereinigte Landtag eröffnet, an dem Otto von Bismarck teilnimmt. Er ist Stellvertreter des Abgeordneten von Brauchitsch, der vom Landtag der preußischen Provinz Sachsen gewählt wurde, aber erkrankt ist. Bismarck rückt im Mai auf dessen Platz nach und beteiligt sich mit wiederholten Redebeiträgen an der zweimonatigen Sitzungsperiode.
1851 – 1862
Diplomatenjahre
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Otto von Bismarck tritt am Tegeler See zu einem Duell gegen Georg von Vincke an. Als Sekundant dient ihm sein Freund und Schwager Oskar von Arnim-Kröchlendorff. Auslöser war eine von persönlichen Beleidigungen geprägte Debatte während einer Kammersitzung im Preußischen Landtag am 22. März. Beide Duellanten verfehlen mit ihren Pistolen ihr Ziel.
Das Duell fand statt, obwohl Aufforderung zum und Teilnahme an einem Duell in Preußen verboten waren.
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Der Verband des alten und befestigten Grundbesitzes im Landschaftsbezirk des Herzogtums Stettin schlägt Otto von Bismarck als Mitglied des Preußischen Herrenhauses vor. Das so „präsentierte“ Neumitglied der Ersten Kammer des preußischen Landtags wird einige Jahre später, am 22. März 1868, durch den preußischen König Wilhelm I. – an dessen Geburtstag – noch einmal persönlich und erblich in das Herrenhaus berufen.
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In Paris wird die komische Oper „Orphée aux enfers“ (Orpheus in der Unterwelt) mit der Musik von Jacques Offenbach uraufgeführt. Es ist sein erstes abendfüllendes Werk und ein sensationeller Erfolg. Persifliert wird die griechische Sage von Orpheus und Eurydike und gleichzeitig die Doppelmoral der besseren Gesellschaft im französischen Kaiserreich parodiert. Kaiser Napoleon III. durfte sich in der Figur des liebestollen Gottes Jupiter gespiegelt sehen.
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Johann Philipp Reis, Lehrer für Mathematik, Physik und Chemie, stellt in Frankfurt am Main einen Fernsprecher vor, den er „Telephon“ nennt. Er treibt die eigentlich notwendige technische Verbesserung des Geräts aber nicht voran. 1876, zwei Jahre nach Reis‘ Tod, meldet Alexander Graham Bell, ebenfalls ein Lehrer, das von ihm nach anderen Prinzipien entwickelte „Telephone“ zum Patent an.
1862 – 1870
Preußischer Ministerpräsident
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Der designierte Ministerpräsident Otto von Bismarck warnt in einer Rede vor der Budgetkommission des Preußischen Abgeordnetenhauses vor einem Ausbau der parlamentarischen Rechte: „[…] nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden – das ist der große Fehler von 1848 und 1849 gewesen – sondern durch Eisen und Blut“. Zugleich zeigt er den liberalen Abgeordneten als Symbol seiner Kooperationsbereitschaft einen Ölzweig.
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Der Geschäftsmann Henry Dunant gründet in Genf mit vier Gleichgesinnten das Internationale Komitee der Hilfsgesellschaften für die Verwundetenpflege, das 1876 in Internationales Komitee vom Roten Kreuz umbenannt wird. Für seine Lebensleistung erhält Dunant 1901 – zusammen mit dem Pazifisten Frédéric Passy – den ersten Friedensnobelpreis.
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Otto von Bismarck wirbt im Preußischen Abgeordnetenhaus für eine Beilegung des Heeres- und Verfassungskonflikts der frühen 1860er-Jahre. Zwei Tage später wird ein „Gesetz betreffend die Ertheilung der Indemnität in Bezug auf die Führung des Staatshaushalts vom Jahre 1862 ab und die Ermächtigung zu den Staatsausgaben für das Jahr 1866" angenommen.
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Auf der Museumsinsel in Berlin-Mitte wird der Grundstein für die Nationalgalerie gelegt. Der Architekturentwurf stammt von Friedrich August Stüler und wird nach seinem Tod von Johann Heinrich Strack weiter ausgearbeitet. Der Bau gilt aufgrund einer modernen Eisenkonstruktionen und gemauerter Decken als sicher vor Feuer.
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Karl Marx veröffentlicht in einem Hamburger Verlag den ersten Band seines Werkes „Das Kapital“. „Jedes Urteil wissenschaftlicher Kritik ist mir willkommen“, schreibt er am Ende des Vorworts. „Gegenüber den Vorurteilen der sog. öffentlichen Meinung, der ich nie Konzessionen gemacht habe, gilt mir nach wie vor der Wahlspruch des großen Florentiners [Machiavelli]: Segui il tuo corso, e lascia dir le genti! (Gehe deinen Weg, und laß die Leute reden!)“.
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Der Chemiker Alfred Nobel meldet in Schweden und später auch in anderen Ländern Dynamit zum Patent an. Er hat es auf einem Kahn auf der Elbe bei Geesthacht aus flüssigem Nitroglycerin entwickelt. Dynamit ist elastisch und unempfindlicher gegenüber Erschütterungen als Nitroglycerin und damit besser zu transportieren.
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Nach zehnjähriger Bauzeit wird der Suezkanal eröffnet. Zu den Gästen der Feier zählen die französische Kaiserin Eugénie, Kaiser Franz Joseph von Österreich und der preußische Kronprinz Friedrich Wilhelm. Die geplante Uraufführung der Oper „Aida“ fällt aus, weil der Komponist Guiseppe Verdi das Werk erst mit zwei Jahre später fertigstellt.
1871 – 1890
Reichskanzler
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In Berlin tritt zum ersten Mal der Deutsche Reichstag zusammen. Die Abgeordneten sind am 3. März geheim und frei gewählt worden; stimmberechtigt sind im Deutschen Reich alle Männer über 25 Jahre; für die preußischen Landtagswahlen gilt weiterhin das Dreiklassenwahlrecht.
Am 21. März erhebt Kaiser Wilhelm I. Otto von Bismarck in den Fürstenstand und ernennt ihn zum Reichskanzler.
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„Keine Sorge, nach Canossa gehen wir nicht“ – In seiner „Canossa“-Rede vor dem Reichstag weigert sich Otto von Bismarck, gegenüber dem Papst in der Kirchenfrage nachzugeben. Er erinnert damit an den Bitt- und Bußgang des römisch-deutschen Königs Heinrich IV. zu Papst Gregor VII. im Jahre 1077.
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Der Böttchergeselle Eduard Kullmann verübt in dem Kurort Kissingen ein Attentat auf Otto von Bismarck.
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Emilie Lehmus eröffnet in Berlin eine Praxis. Sie ist die erste niedergelassene Ärztin in Deutschland und war zuvor die erste deutsche Medizinstudentin in Zürich.
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Im Moskauer Bolschoi-Theater wird das Ballett „Schwanensee“ mit der Musik von Pjotr Tschaikowski uraufgeführt. Die erste Choreografie stammt von Wenzel Julius Reisinger. Berühmter wird die Neuinszenierung mit der Choreografie von Marius Petipa und Lew Iwanow, die am 17. Februar/15. Januar 1895 am Mariinski-Theater in Sankt Petersburg zu sehen ist.
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Otto von Bismarck eröffnet den Berliner Kongress, auf dem führende Politiker der europäischen Großmächte und des Osmanischen Reiches über die politische Ordnung auf dem Balkan verhandeln. Der Berliner Vertrag wird am 13. Juli unterzeichnet, mit ihm wird unter anderem die Unabhängigkeit von Rumänien, Serbien und Montenegro anerkannt.
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Otto von Bismarck hält im Reichstag eine Rede zum Gesetzentwurf bezüglich der „gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“. Das sogenannte Sozialistengesetz wird am 19. Oktober mit den Stimmen der konservativen und nationalliberalen Abgeordneten angenommen.
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Das erste Enkelkind von Otto und Johanna von Bismarck wird geboren, der Sohn von Marie und Kuno zu Rantzau. Sein Name ist Otto.
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Otto von Bismarck wird zum preußischen Handelsminister ernannt.
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In den Sudan-Provinzen bricht der Mahdi-Aufstand gegen die ägyptische Herrschaft aus. Angeführt wird er von Muhammad Ahmad, der sich zum Mahdi (arab. mahdī, „der [durch Gott] Rechtgeleitete“) erklärt. Der Aufstand wird 1899 mithilfe britischer Soldaten niedergeschlagen. Der Sudan wird am 1. Januar 1956 zur unabhängigen Republik.
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Otto von Bismarck verliest bei der Eröffnung des fünften Deutschen Reichstags die „Kaiserliche Sozialbotschaft“ von Wilhelm I. Präsentiert wird das Vorhaben, ein Sozialgesetzgebungswerk zu schaffen, mit dem vor allem die Industriearbeiter gegen Unfall, Krankheit und im Alter abgesichert werden.
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Auf Betreiben von Reichskanzler Otto von Bismarck beschließt der Reichstag das Krankenversicherungsgesetz, den ersten Baustein der Sozialgesetzgebung in Deutschland. Die Krankenkassen werden dezentral organisiert, ihre Verwaltung und die Versicherungsleistungen werden zu einem Drittel von den Arbeitgebern und zu zwei Dritteln von den Arbeitnehmern finanziert.
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Mit einem Telegramm an den deutschen Konsul Wilhelm Lippert teilt Otto von Bismarck der Regierung in Kapstadt mit, dass das Deutsche Reich die Niederlassungen des Kaufmanns Adolf Lüderitz in Südwestafrika (heute: Namibia) unter seinen Schutz gestellt habe. Das Telegramm steht am Beginn der offiziellen Kolonialpolitik des Deutschen Reichs.
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Otto von Bismarck eröffnet im Reichskanzlerpalais die Berliner Afrika-Konferenz. Gesandte aus 14 europäischen Staaten (einschließlich des Osmanischen Reiches) und den USA sprechen – in Abwesenheit afrikanischer Vertreter – ihre Einflusssphären auf dem afrikanischen Kontinent ab. Die Konferenz endet am 26. Februar 1885 mit der Unterzeichnung der Kongoakte.
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Der US-Amerikaner Hiram Maxim entwickelt das erste selbstladende Maschinengewehr. In der Folge setzt Großbritannien es in den Kolonialkriegen ein.
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Otto von Bismarcks 70. Geburtstag wird deutschlandweit gefeiert; er erhält 3738 Glückwunschschreiben („weitere 1500 Zuschriften eigneten sich nicht zur Beantwortung“), 2644 Telegramme, 175 Glückwunschadressen von Korporationen und Vereinen sowie 560 Geschenke. Kaiser Wilhelm I. und seine Familie schenken eine Fassung des Gemäldes „Die Proklamierung des deutschen Kaiserreiches (18. Januar 1871)“, die der Maler Anton von Werner eigens anfertigte.
Die Proklamierung des deutschen Kaiserreiches (18. Januar 1871)
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Kaiser Wilhelm I. stirbt im Alter von 91 Jahren. Die Szene zeigt ihn in seinem Arbeitszimmer mit Otto von Bismarck im letzten Jahr ihres Zusammenwirkens. Trotz eines fast 30 Jahre währenden Vertrauensverhältnisses war der Monarch nicht immer mit dem Kurs seines leitenden Ministers einverstanden. Es sei „nicht leicht, unter einem solchen Kanzler Kaiser zu sein“, soll er bisweilen geseufzt haben.
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Wenige Wochen nach Wilhelm I. stirbt auch sein Sohn Kaiser Friedrich III. Noch am gleichen Tag führt Otto von Bismarck im Neuen Palais in Potsdam (damaliger Name: Schloss Friedrichskron) eine Unterredung mit dem Thronfolger Kaiser Wilhelm II. Politische Meinungsverschiedenheiten wie auch der unbedingte Wille zur Alleinregierung veranlassen den Monarchen, seinen Reichskanzler nach zwei Jahren zum Rücktritt zu bewegen. Kurz nach dem Rücktritt Otto von Bismarcks sendet der Kaiser ihm dieses großformatige Gemälde seiner selbst nach Friedrichsruh.
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Otto von Bismarck wird von der Leitung des preußischen Ministeriums für Handel und Gewerbe entbunden.
1890 – 1898
Kanzler ohne Amt
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Die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (SAP) benennt sich auf ihrem ersten Parteitag nach Aufhebung der Sozialistengesetze in Halle in Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) um. Sie ist zuvor bei den Reichstagswahlen am 20. Februar 1890 mit rund 1,4 Millionen Stimmen (20 Prozent) zur wählerstärksten Partei geworden.
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Mit seinem Bild „Der Schrei“ verarbeitet der norwegische Maler Edvard Munch eine Angstattacke, die er auf einem Spaziergang erlitten hat. Durch die expressionistische Verzerrung zeigt er ein groteskes Entsetzen, das als Angst des Menschen interpretiert wird, der an der Schwelle zur Moderne steht. Munch erstellt insgesamt vier Fassungen von dem Gemälde sowie eine Lithografie.
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In der Carnegie Hall in New York findet die Weltpremiere der 9. Sinfonie e-Moll op. 95 („Aus der neuen Welt“) des tschechischen Komponisten Antonin Dvořák statt. Er hatte sie während seines dreijährigen Amerika-Aufenthalts geschrieben und sich dabei auch von der Musik der indigenen Amerikaner inspirieren lassen.
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Auguste und Louis Lumière führen bei einer nichtöffentlichen Veranstaltung in der Société d’encouragement pour l’industrie nationale den Kinematographen vor. Der Apparat ist Filmkamera und -projektor zugleich. Die Brüder Lumière zeigen den Film „La Sortie de l’Usine Lumière à Lyon“ (Arbeiter verlassen die Lumière-Werke in Lyon).
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Nach dem radioaktiven Element „Polonium“ entdecken Marie und Pierre Curie das noch stärker strahlende „Radium“. Für ihre Arbeiten über die Strahlungsphänomene erhalten sie 1903 zusammen mit Henri-Antoine Becquerel den Nobelpreis für Physik. Marie Curie erhält außerdem 1911 den Nobelpreis für Chemie.