Morddrohungen und Attentate

    1863 bis 1890

    Die Entstehung des modernen Terrorismus

    „Wir sind alle auf der Abschussliste!“, warnte Kaiser Wilhelm II. 1908 im Familienkreis, als er von der Ermordung des portugiesischen Königs Karl I. erfuhr. Attentate auf gekrönte Häupter hatte es im Laufe der Geschichte schon immer gegeben. Doch seit den 1850er-Jahren häuften sie sich. Heute spricht man von der „Erfindung des Terrorismus“ in seiner modernen Form (Carola Dietze). Motivieren ließen sich die Attentäter meist von zwei revolutionären Ideen: der Idee der Nation und der Idee der Freiheit. Mehrere Bluttaten scheiterten, andere endeten hingegen tödlich, so 1881 für den russischen Zaren Alexander II., 1898 für die österreichische Kaiserin Elisabeth („Sisi“) oder 1914 für das österreichische Kronprinzenpaar Franz Ferdinand und Sophie.

    Wie die Ermordung des japanischen Regenten Ii Naosuke 1860 oder des US-amerikanischen Präsidenten Abraham Lincoln 1865 belegen, war der Terrorismus keine europäische Erfindung. Und er betraf nicht nur gekrönte Häupter. Auch Otto von Bismarck sah sich wiederholter Mordversuche bzw. -drohungen ausgesetzt.

    Morddrohungen gegen Bismarck

    Eine erste verbale Attacke erreichte Bismarck Anfang 1863 von einem Polen, den die preußische Politik gegenüber dem polnischen Aufstand erzürnte. Ende des Jahres drohte ein „vertriebener Schleswiger“ mit dem Tod, falls Bismarck nicht das Bestreben Dänemarks zur Einverleibung von Schleswig mit Krieg beantworte. Im Juli 1864 kündigte ein „Freund X.“ per Brief einen Giftanschlag an, da Bismarck in seiner Schleswig-Holstein-Politik dem Leitspruch „Up ewig ungedeelt“ zuwiderhandele. Im September 1865 warnte ein Brite, Bismarck das „Gehirn herauszuschießen“, sofern er es wage, nach England zu kommen. Im März 1871 riefen die in Lyon tagenden Vertreter der Internationale und der Freimaurer dazu auf, Bismarck, Wilhelm I. und Helmuth von Moltke zu töten. Gut zwei Jahre später bot ein belgischer Kesselschmied dem Erzbischof von Paris Joseph Hippolyte Guibert wegen der preußisch-deutschen Kulturkampfgesetze die Ermordung des Reichskanzlers an. Im Juli 1881 empfing Bismarck einen Brief aus Hamburg, in dem ihm und „der Bismarckbrut“ die Ausrottung wegen der „verübten Tyrannei“ angedroht wurde.

     Elisabeth von sterreich UngarnKaiserin Elisabeth von Österreich-Ungarn auf der letzten Atelieraufnahme vor ihrem Tod, fotografiert von Ludwig Angerer, retuschiert von Carl Pietzner (gemeinfrei)

    Das Attentat Cohen-Blinds

    Wie ernst es manchem Feind Bismarcks mit seinen Absichten war, zeigen die beiden tatsächlich ausgeführten Attentate. Aus Entrüstung über den drohenden Krieg Preußens gegen Österreich entschloss sich der zweiundzwanzigjährige Student Ferdinand Cohen-Blind im Frühjahr 1866, den „Verräter an Deutschland“ zu töten. Am 7. Mai passte der Stiefsohn eines 48er-Revolutionärs Bismarck in Berlin auf der Straße Unter den Linden ab und feuerte mit einem Revolver dreimal auf ihn. Preußens Ministerpräsident warf sich entschlossen gegen den Attentäter, konnte aber nicht verhindern, dass zwei weitere Schüsse fielen. Zufällig anwesende Polizisten und Soldaten des 2. Garderegiments nahmen Cohen-Blind schließlich fest.

    Bismarcks Leben gerettet hatten Glück und Zufall. Denn er war wegen einer soeben erst überwundenen Krankheit für die Jahreszeit ungewöhnlich warm angezogen. Die Schüsse durchbohrten zwar die dicke Kleidung, glitten aber von einer Rippe ab und verursachten lediglich eine schmerzhafte Prellung. Als Bismarck nach dem Vorfall in seiner Wohnung in der Wilhelmstraße eintraf, begrüßte er seine Frau und einige Gäste mit den Worten: „Mein Kind, heute haben sie auf mich geschossen, aber es ist nichts.“

     Attentat auf Otto von Bismarck 1866Das Attentat auf den Grafen Bismarck, Lithografie von A. Gocht, Neu-Gersdorf (© Otto-von-Bismarck-Stiftung)

    Die Nachricht vom Attentat verbreitete sich in Berlin in Windeseile. Kaum war die Tafel bei den Bismarcks aufgehoben, kam König Wilhelm I., um seinem Regierungschef zur Rettung zu beglückwünschen. Noch am Abend versammelten sich zahlreiche Bürger vor seinem Haus, um ihm ihre Sympathien zu bezeugen. Es gab aber bis in höchste Kreise der Monarchie auch Stimmen, die der ruchlosen Tat mit Verständnis begegneten. Kronprinzessin Victoria bezeichnete Cohen-Blind als „gutmeinende[n], aber verfehlende[n] und kurzsichtige[n] Unglückswurm“. Nachdem der Student sich im Polizeigehorsam die Halsschlagader aufgeschnitten hatte und seiner Verletzung erlegen war, wurde er in Österreich und Süddeutschland sogar als Märtyrer gerühmt.

    Obwohl das Attentat unzweifelhaft von einem Einzelgänger durchgeführt worden war, propagierte Bismarck umgehend die These von einem Mordkomplott. Über Berlins Polizeipräsidenten Wilhelm Stieber ließ er wochenlang die deutsche Emigrantenszene in London ausspähen, in der Cohen-Blind aufgewachsen war. Wie zu erwarten, verliefen die Recherchen ergebnislos.

     Tatwaffe 1866Die Tatwaffe: ein Bündelrevolver des belgischen Herstellers Joseph Chaineux (© Otto-von-Bismarck-Stiftung)

    Das Attentat Kullmanns

    Wenngleich Bismarck weitere Anschläge für möglich hielt, veranlasste er zunächst keine besonderen Sicherheitsvorkehrungen. Dies sollte ihm wenige Jahre später fast zum Verhängnis werden. Am 13. Juli 1874 feuerte der zwanzigjährige katholische Magdeburger Böttchergeselle Eduard Kullmann mit einer Pistole auf den Reichskanzler. Bismarck hielt sich zur Kur in Kissingen auf und wollte gerade in einer offenen Kutsche von seiner Wohnung zu den Kuranwendungen fahren. Den Attentäter beseelte die Hoffnung, durch die Ermordung Bismarcks den Kulturkampf beenden zu können. Doch der Reichskanzler wurde lediglich an der rechten Hand und im Gesicht verletzt. Der in der Nähe stehende Opernsänger José Lederer konnte Kullmann ergreifen und so maßgeblich zur sofortigen Verhaftung beitragen. Kullmann wurde zu vierzehn Jahren Zuchthaus und dann wegen unbotmäßigen Verhaltens zu weiteren sieben Jahren Gefängnis verurteilt. 1888 starb er in der Haftanstalt Amberg.

    Den Schrecken über den Anschlag hatte Bismarck 1874 recht schnell überwunden. Die „Sache“ sei „zwar nicht kurgemäß“, aber es gehöre offenbar zu seiner Stellung, „von Zeit zu Zeit angeschossen zu werden“, meinte er lakonisch. Diese Kaltblütigkeit hielt ihn nicht davon ab, den Mordanschlag von Kullmann wie seinerzeit jenen von Cohen-Blind politisch auszunutzen. „Verstoßen Sie den Mann, wie Sie wollen“, wetterte er Ende 1874 im Reichstag an die Adresse des Zentrums gewandt. „Er hängt sich doch an Ihre Rockschöße!“

     Attentaeter Eduard KullmannDer Attentäter Eduard Kullmann, fotografiert am Tag nach der Tat im Hof des Gefängnisses von Bad Kissingen von Wilhelm Cronenberg (© Otto-von-Bismarck-Stiftung)


    Video: Ein Attentat schlägt fehl

    Am 7. Mai 1866 versuchte in Berlin ein Student, den preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck zu erschießen. Damit wollte er eine deutsche Einigung verhindern, an der Österreich nicht beteiligt wäre. Ein kleiner Revolver und ein gestopftes Unterhemd zeugen im Bismarck-Museum Friedrichsruh von diesem politisch motivierten Attentat, wie dieses Video zeigt..

    Ein Attentat schlgt fehl