Am 18. Januar 1871 wurde Wilhelm I. im Spiegelsaal des Versailler Schlosses in Anwesenheit deutscher Fürsten, Prinzen, Minister und Militärangehöriger zum Kaiser ausgerufen. Mit der Reichsgründung erfüllte sich der Traum der liberalen und nationalen Bewegung von einem einheitlichen deutschen Nationalstaat. Im kollektiven Gedächtnis der Deutschen wurde die Proklamation zum eigentlichen Reichsgründungsakt. In Frankreich wurde dieses Ereignis einhellig als Demütigung der Nation empfunden.
Das 1885 vom Historienmaler Anton von Werner geschaffene Gemälde, ein Geschenk der preußischen Königsfamilie zu Otto von Bismarcks 70. Geburtstag, ist die dritte und einzige erhaltene Fassung von insgesamt vier von ihm gemalten Bildern, die das Ereignis vom 18. Januar 1871 festhalten. Das Historiengemälde zeigt (aus Sicht der Betrachter) den auf einem Podest stehenden Kaiser Wilhelm I., links von ihm Kronprinz Friedrich Wilhelm, der spätere Kaiser Friedrich III., rechts von ihm Großherzog Friedrich I. von Baden, der das „Hoch auf Kaiser Wilhelm“ ausbrachte, und hinter dem Kaiser in Versailles anwesende deutsche Fürsten und Prinzen sowie die Regimentsfahnen. Vor dem Podium steht Otto von Bismarck mit dem Text der Proklamationsurkunde, rechts von ihm der Chef des Generalstabs, Helmuth von Moltke. In der rechten Bildhälfte sind vor allem preußische und bayerische Offiziere versammelt.
Werner malte eine erste Fassung anlässlich des 80. Geburtstages Wilhelms I. für das Königliche Schloss in Berlin (1877), in der Bismarck weniger herausgehoben dargestellt worden war. Eine zweite Fassung mit Bismarck im Mittelpunkt und den preußischen Anteil an der Reichsgründung hervorhebend entstand 1882 für das Zeughaus in Berlin. Eine vierte Fassung entstand 1913 als Wandbild in der Aula des Realgymnasiums in Frankfurt/Oder. Die ersten beiden Fassungen wurden im Zweiten Weltkrieg vernichtet, die vierte Fassung, die der zweiten und dritten ähnelte, überstand vermutlich den Krieg, gilt aber spätestens seit 1948 als verschollen.