Die „Einigungskriege“
1864 bis 1871
Mit seiner Ernennung zum Ministerpräsidenten leitete Bismarck 1862 ein neues Kapitel der preußischen Geschichte ein. Im Zentrum seines politischen Denkens stand zunächst der Dualismus von Hohenzollern und Habsburgern, die Rivalität der beiden wichtigsten Staaten im Deutschen Bund. Bismarck torpedierte alle Bemühungen Österreichs, den Bund zu reformieren. Zugleich war er auf anderen Felder der Politik zur Zusammenarbeit bereit. Dies zeigte sich 1864 im Konflikt mit Dänemark um Schleswig und Holstein.
Der Deutsch-Dänische Krieg
Beide Herzogtümer unterstanden der dänischen Krone, Schleswig als dänisches Lehen, Holstein als Teil des Deutschen Bundes. Der Vertrag von Ripen hatte 1460 festgelegt, dass sie „auf ewig ungeteilt“ bleiben, also niemals verschiedenen Staaten angehören sollten. Dennoch erließ der dänische König Friedrich VII. Ende 1863 ein Staatsgrundgesetz, um das Herzogtum Schleswig seinem Königreich einzuverleiben. Als er kurz darauf starb, witterte die deutsche Nationalbewegung die Chance, Schleswig und Holstein unter dem Dach des Deutschen Bundes zu vereinen.
Bismarck lehnte beide Pläne kategorisch ab. Anfang 1864 verständigte er sich mit Österreichs Außenminister Bernhard Johann von Rechberg darauf, Dänemark zur Rücknahme des Staatsgrundgesetzes aufzufordern. Die Rechte des neuen Königs Christian IX. an Schleswig und Holstein wollten sie aber anerkennen. Da der Regierung in Kopenhagen dieses Zugeständnis nicht ausreichte, eröffneten Preußen und Österreich am 1. Februar den Krieg. Mitte April erstürmten preußische Truppen die Düppeler Schanzen, die wichtigste dänische Wehranlage. Nachdem alle Bemühungen der neutralen Mächte um eine diplomatische Lösung des Konflikts gescheitert waren, zwangen Preußen und Österreich gemeinsam Dänemark zur Kapitulation. Im Wiener Frieden vom 30. Oktober musste Christian IX. die Abtretung von Holstein, Schleswig und Lauenburg hinnehmen.
Trotz des Erfolgs trieb die gemeinsame Verwaltung der drei Herzogtümer Preußen und Österreich in neue Zwistigkeiten. Im August 1865 einigte sich Bismarck mit dem österreichischen Unterhändler Gustav von Blome, Schleswig und Holstein getrennt zu führen sowie Lauenburg an Preußen zu verkaufen. Der Abschluss dieser „Gasteiner Konvention“, der Bismarck die Erhebung in den Grafenstand verdankte, beseitigte die preußisch-österreichischen Reibereien an der Elbe. Das Problem des Dualismus im Deutschen Bund blieb aber ungelöst. Seit dem Winter 1865/66 wappneten sich beide Mächte für den Krieg.
Der Deutsche Krieg
Im April 1866 schloss Preußen ein Bündnis mit Italien und sicherte sich die Neutralität Englands und Russlands. Österreich ging im Juni eine Allianz mit Frankreich ein und setzte die militärische Mobilmachung des Bundes gegen seinen Konkurrenten durch. Preußen erklärte daraufhin seinen Austritt aus dem Bund und marschierte in Holstein ein.
Mit dieser Reaktion stellte Bismarck die Machtambitionen der Hohenzollern über die monarchische Solidarität zu den Habsburgern. Damit wurde er zum „Weißen Revolutionär“ (Lothar Gall). Dank der Strategie des Generals Helmuth von Moltke und der Überlegenheit von Technik und Waffen gelang den preußischen Truppen am 3. Juli der entscheidende Sieg.
Der Erfolg auf dem Schlachtfeld bei Sadowa (Königgrätz) warf allerdings politische Probleme auf. Einerseits drängte Wilhelm I. darauf, Österreich durch einen Einzug seiner Soldaten in Wien zu demütigen. Andererseits verlangte Napoleon III. einen Ausgleich für den preußischen Machtzuwachs. Nur mit Mühe gelang es Bismarck, seinen König zum Einlenken zu bewegen und den Kaiser der Franzosen von einer Intervention abzuhalten. Im Prager Friedensvertrag vom 23. August 1866 übertrug Österreich seine Rechte an Holstein und Schleswig auf Preußen, nahm die Annexion seiner Bundesgenossen Hannover, Kurhessen-Nassau und Frankfurt hin und akzeptierte die Gründung eines deutschen Staatenbundes nördlich der Mainlinie.
„Die deutsche Einheit durch gewaltsame Ereignisse fördern“?
Was auf den ersten Blick wie die Klärung der innerdeutschen Machtverhältnisse wirkte, entpuppte sich bei näherem Hinsehen als Auftakt zu einem neuen europäischen Mächteringen. Die Bildung des Norddeutschen Bundes, der Umbau des Habsburgerreiches zur Doppelmonarchie und der französische Ruf nach „Rache für Sadowa“ drängten auf weitere Veränderungen.
Um einen Konflikt mit Frankreich zu vermeiden, boten sich Preußen zwei Wege an: der Stopp der nationalen Einigung oder die Billigung französischer Kompensationswünsche. Bismarck war zu Konzessionen durchaus bereit, aber Moltke wollte die Ansprüche, die Napoleon III. auf Grenzverschiebungen erhob, mit einem Präventivkrieg beantworten. Bismarck lehnte ab. „Daß die deutsche Einheit durch gewaltsame Ereignisse gefördert werden würde, halte auch ich für wahrscheinlich“, schrieb er im Februar 1869. „Aber eine ganz andere Frage ist der Beruf, eine gewaltsame Katastrophe herbeizuführen.“ Der Kanzler des Norddeutschen Bundes wollte den Krieg also nicht prinzipiell vermeiden, vor der europäischen Öffentlichkeit aber keinesfalls als Aggressor dastehen. Im Zuge der Krise um die spanische Thronkandidatur sollte ihm dies vollständig gelingen.
Der Deutsch-Französische Krieg
Seit dem Sturz der Königin Isabella II. 1868 suchte die spanische Regierung nach einem neuen König. Anfang 1870 glaubte sie ihn in Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen gefunden zu haben. Napoleon III. deutete die Thronkandidatur als Angriff auf seine europäische Machtstellung und verlangte von Leopold den Rückzug. Tatsächlich verzichtete der Prinz Anfang Juli nach Absprache mit Preußens König auf die spanische Krone. Doch dieser Erfolg reichte dem Kaiser der Franzosen nicht aus. Unter dem Druck seiner Minister wie auch der Öffentlichkeit verlangte er von Wilhelm I., einer preußischen Thronkandidatur in Spanien auf ewig abzuschwören. Der König wies diese Forderung zurück, was Bismarck mithilfe der Emser Depesche vom 13. Juli öffentlich bekanntgab. Sechs Tage später erklärte Frankreich Preußen den Krieg.
Nicht alle Deutschen und Franzosen griffen freudig zu den Waffen, dennoch schlug die patriotische Begeisterung beiderseits des Rheins hohe Wellen. Als die preußisch-deutschen Truppen nach mehreren gewonnenen Schlachten am 2. September auch bei Sedan siegten und das Kaiserreich stürzte, schien das Ende der Kämpfe in Sicht. Aufgrund der deutschen Forderung nach einer Annexion Elsass-Lothringens sah sich die Regierung der neuen Dritten Französischen Republik nicht imstande, rasch einen Waffenstillstand einzugehen. Mit den Gräueltaten französischer Franktireurs (Freischärler) und den harten Strafmaßnahmen deutscher Truppen gegen die Zivilbevölkerung ging das mörderische Ringen in eine neue Phase.
Zusätzlich erschweren sollte Bismarcks Lage ein heftiger Streit im Hauptquartier in Versailles. Während der Bundeskanzler aus Sorge um ein Eingreifen der neutralen Mächte die französische Hauptstadt durch Artilleriebeschuss zur Aufgabe zwingen wollte, plädierte die hohe Generalität für einen „Exterminationskrieg“. Dank der Rückendeckung durch König Wilhelm I. und Kronprinz Friedrich Wilhelm konnte sich Bismarck gegen die Offiziere durchsetzen.
Nachdem alle französischen Versuche, den Belagerungsring um Paris zu durchbrechen, fehlgeschlagen waren, willigte die Führung der Dritten Republik Ende Januar in einen Waffenstillstandsvertrag ein. Am 26. Februar unterzeichneten der Chef der Exekutive Adolphe Thiers und Außenminister Jules Favre mit Bismarck einen Vorfrieden. Zusätzlich geschwächt durch den Aufstand der Pariser Commune, billigten sie am 10. Mai auch einen Definitivfrieden, der der Republik schwere Lasten aufbürdete: die Abtretung des Elsass und des größten Teils von Lothringen, eine Kriegsentschädigung in Höhe von fünf Milliarden Francs und die Stationierung deutscher Besatzungstruppen bis zur Begleichung der Zahlungen.