Gutsherr und Abgeordneter
1839 – 1851
Gutsherr
1839 unterbrach Bismarck seine Ausbildung für den Staatsdienst. Einer der Hauptgründe war seine Hoffnung, durch die Bewirtschaftung der Familiengüter genügend Geld zu verdienen, um seine Schulden abzahlen zu können. Er zog nach Kniephof und befasste sich dort intensiv mit Fragen der Agrarwirtschaft sowie mit betriebswirtschaftlichen Methoden. Als Gutsherr war er auch für die Erhaltung von Recht und Ordnung auf seinen Besitzungen verantwortlich, und er übte das Kirchenpatronat aus.
Gemeinsam mit seinem Bruder Bernhard von Bismarck gelang es ihm rasch, die heruntergewirtschafteten Güter wieder in die Gewinnzone zu führen, wenn auch nicht vollkommen zu entschulden. Seine privaten Verbindlichkeiten konnte er jedoch abtragen. Nebenher nahm er an den gesellschaftlichen Vergnügungen seiner adligen Standesgenossen teil. Hierzu zählten neben Bällen und Jagdpartien auch nächtliche Trinkgelage, die Kniephof im Volksmund den Namen „Kneiphof“ einbrachten. In seiner freien Zeit vertiefte er sich in Atlanten sowie historische und zeitgenössische Literatur. Zweifellos reichte der geistige Horizont dieses außerordentlich begabten Mannes weit über die Grenzen der pommerschen Landgüter hinaus.
Sein erster Versuch, das Image des „tollen Junkers“ durch eine standesgemäße Heirat hinter sich zu lassen, scheiterte. 1841/42 warb er um die Hand von Ottilie von Puttkamer, doch wurde sein Antrag von Ottilies Mutter brüsk zurückgewiesen. Um diese Enttäuschung zu verdauen, begab er sich auf eine mehrmonatige Reise durch Großbritannien, Frankreich, Italien und die Schweiz. In dieser Zeit erhielt er auch die erste offizielle Auszeichnung: 1842 wurde ihm die Rettungsmedaille verliehen, weil er während einer Landwehrübung – Bismarck war 1841 zum Sekondeleutnant der preußischen Landwehr befördert worden – bei Lippehne in der Neumark seinen Reitknecht Hildebrand vor dem Ertrinken bewahrt hatte.
Weder Junker noch Beamter
Für einige Zeit genoss Bismarck weiter das Leben eines unabhängigen „Landjunkers“, das ihm zwar eine hohe Verantwortung für den Erhalt des Gutsbetriebs und das Leben der Menschen auf seinen Ländereien auferlegte, aber auch viele Freiheiten bot. Doch nach der Sanierung der Güter begann er sich zu langweilen, und er hielt nach einer neuen Herausforderung Ausschau. 1844 entschloss er sich, sein Referendariat in Potsdam fortzusetzen. Aber bereits nach zwei Wochen erbat er, frustriert von den unverändert vorgefundenen Zuständen in der Verwaltung, Urlaub. Eine Beamtenlaufbahn kam für ihn nicht mehr in Frage. Stattdessen ließ er sich im Oktober 1845 als Vertreter der Ritterschaft in den Provinziallandtag Pommerns wählen.
Eintritt in die Politik und Heirat
Während seiner Zeit als Gutsherr in Pommern erweiterten sich auch die gesellschaftlichen Kreise, in denen Bismarck sich bewegte. Über seinen Schulfreund Moritz von Blanckenburg erhielt er Zugang zu einer Gruppe adliger Pietisten. Für Blanckenburgs zukünftige Gattin, Marie von Thadden, entwickelte er mehr als nur freundschaftliche Gefühle; in Gesprächen mit ihr fand er zu innerer Ruhe und religiöser Besinnung. Ihr früher Tod 1846 erschütterte ihn schwer.
Nach diesem tragischen Ereignis wandte sich Bismarck Johanna von Puttkamer, einer Freundin Maries, zu. In ihr fand er eine Braut, die zu seinen gesellschaftlichen und politischen Ambitionen passte. Es gelang ihm, den anfänglichen Widerstand ihres Vaters – dieser hatte von Bismarck „viel Übles und wenig Gutes“ gehört – zu überwinden, und 1847 heirateten Otto und Johanna in der Dorfkirche von Alt Kolziglow. Sie erwies sich als perfekte Gefährtin, aus der Ehe gingen die drei Kinder Marie, Herbert und Wilhelm hervor.
Zwei Jahre zuvor war Bismarcks Vater Ferdinand gestorben, was zu einer Neuaufteilung des Familienbesitzes führte. Otto übernahm das Stammgut in Schönhausen, das er 1846 bezog. Kniephof verpachtete er, Jarchlin fiel an seinen Bruder Bernhard. Kurz nach seiner Übersiedlung nach Schönhausen wurde er Deichgraf, womit er sein erstes öffentliches Amt ausübte. Zudem ließ er sich zum Stellvertreter des Abgeordneten für den sächsischen Provinziallandtag wählen. Ein 1846 an ihn herangetragenes Angebot, eine gehobene Position im Staatsdienst anzunehmen, lehnte er ab.
Ultrakonservativ und königstreu
1847 wurde Bismarck – als Nachrücker – jüngstes Mitglied des Vereinigten Preußischen Landtags, einer Ständeversammlung aus Vertretern aller Provinziallandtage. Dort profilierte er sich als ultrakonservativer, königstreuer Politiker. Er fand in den einflussreichen, hochkonservativen Kreisen um Adolf von Thadden, Ernst von Bülow sowie die Gebrüder Ernst Ludwig von Gerlach und Leopold von Gerlach ihm wohlgesinnte Förderer. Gleichzeitig verschaffte er sich durch seine bildkräftigen öffentlichen Reden sowie seine Artikel in der konservativen „Kreuzzeitung“ den Ruf eines hoffnungslos rückwärtsgewandten „Krautjunkers“. König Friedrich Wilhelm IV. erschien der von den Liberalen als „Reaktionär“ geschmähte Mann noch nicht reif für eine verantwortungsvolle Tätigkeit, aber die hochkonservative Umgebung des Monarchen behielt ihn im Auge. 1847 erwies sich somit als entscheidendes Jahr im Leben Bismarcks: Mit dem privaten Glück fand er auch seinen beruflichen Lebenssinn, die Politik.
Der Revolution von 1848/49 stand Bismarck ablehnend gegenüber. Er erkannte jedoch die Dynamik der liberalen und nationalen Bewegung wie auch die Notwendigkeit von politischen und gesellschaftlichen Reformen. Zwar stand er einer Einigung Deutschlands nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber, aber die Hohenzollernmonarchie musste seiner Ansicht nach in einem zukünftigen Nationalstaat eine führende Rolle einnehmen.
Eine der Folgen der gescheiterten Revolution war in Preußen die Einführung einer Verfassung durch den König. Diese sah unter anderem ein Parlament (Landtag) – bestehend aus dem Herren- und dem Abgeordnetenhaus – vor. Mit seinem wachen Sinn für das Realistische akzeptierte Bismarck umgehend die neuen verfassungspolitischen Verhältnisse und bemühte sich 1849 bei zwei Wahlen erfolgreich um ein Mandat im Abgeordnetenhaus. Um sich vollumfänglich der Tätigkeit als dessen Mitglied widmen zu können, verpachtete er im selben Jahr das Gut Schönhausen – das Gutshaus blieb aber weiterhin Wohnsitz der Familie – und zog nach Berlin. Neben seiner parlamentarischen Arbeit engagierte er sich weiterhin für die Interessen der konservativen adligen Grundbesitzer.
Das Erfurter Unionsparlament
1849/50 versuchte die preußische Regierung, eine deutsche Fürstenunion unter Ausschluss Österreichs auf Basis einer überarbeiteten Version der Paulskirchenverfassung zu errichten. Das im März/April 1850 in Erfurt tagende „Unionsparlament“, dem auch Bismarck angehörte, sollte über die zukünftige Verfassung beraten. Die Unionspläne scheiterten schließlich am Widerstand einiger deutscher Mittel- und Kleinstaaten sowie Österreichs, das von Russland unterstützt wurde. Preußen musste seine Niederlage in der „Olmützer Punktation“ anerkennen. Bismarck gelang im Dezember 1850 im preußischen Abgeordnetenhaus in einer vielbeachteten Rede das Kunststück, die von ihm abgelehnte Politik der preußischen Regierung, die zur Demütigung von Olmütz geführt hatte, zu verteidigen. Er verwarf die romantischen Vorstellungen der liberalen Mehrheit im Abgeordnetenhaus von der deutschen Einheit und betonte den Vorrang des preußischen Staatsinteresses. Sein Einsatz für Krone und Regierung sollte belohnt werden: Im Frühjahr des darauffolgenden Jahres betrat er im Dienst seines Königs die diplomatische Bühne.