Der Weg zur deutschen Einheit

    1867 bis 1871

    Wie Bismarck vorhergesagt hatte, sollte die Einheit Deutschlands mit Eisen und Blut geschaffen werden. Die Fürstentümer und Freien Städte zu einigen, verlangte jedoch mehr als den Einsatz militärischer Gewalt. Dazu bedurfte es auch der Diplomatie.

     

    Der Norddeutsche Bund wird gegründet

    Dies zeigte sich schon kurz nach dem preußisch-österreichischen Krieg von 1866, als die deutschen Staaten nördlich des Mains eine Allianz unter Führung Preußens schlossen. Der Vertrag war zunächst nur als militärisches Schutz- und Trutzbündnis angelegt. Er enthielt aber bereits die Verpflichtung, durch Ausarbeitung einer Verfassung einen politischen Bund zu schaffen. Obwohl Preußen und Österreich im Prager Frieden den süddeutschen Staaten eine unabhängige Existenz zusagten, wurde der Norddeutsche Bund als Kern eines gesamtdeutschen Nationalstaates begriffen.

    Bismarck stand dieser Perspektive nicht unkritisch gegenüber. Bei der Arbeit am Entwurf einer Bundesverfassung betonte er im Herbst 1866 den staatenbündischen Charakter. Als „Zentralbehörde“ sah er kein Ministerium, sondern nur einen Bundestag vor. Seine Haltung änderte sich im Frühjahr 1867 mit Beginn der Debatte des Konstituierenden Reichstags des Norddeutschen Bundes über den Verfassungstext. Da die nationalliberale Fraktion in den Beratungen das bundesstaatliche Element herauskehrte, setzte Preußens Ministerpräsident im Verfassungstext einen „Bundeskanzler“ an die Spitze der Exekutive. Wie selbstverständlich übernahm er das Amt am 1. Juli selbst.

     Karte Norddeutscher Bund Otto von Bismarck StiftungKarte des Norddeutschen Bundes. Grenzkolorierter Stahlstich, W. Kartz und F. Kern, nach Heinrich Johann Samuel Kiepert und Adolf Gräf, Deutschland, um 1870 (Leihgabe aus Privatbesitz)

    Vorbehalte gegenüber einem Deutschen Reich

    Mit der Annahme der Verfassung des Norddeutschen Bundes am 16. April 1867 war der Aufstieg Preußens zur bedeutendsten deutschen Großmacht besiegelt. Von der Gründung eines Deutschen Reiches war bei Bismarck noch nicht die Rede. Altpreußisch, macht- und staatszentriert, wie er war, leitete ihn noch kein „Wille zu Deutschland“ (Thomas Nipperdey). Allerdings regte er nun militärische Schutz- und Trutzbündnisse mit den süddeutschen Staaten an und billigte auch die Umwandlung des Zollvereins zu einem Zollbundesstaat.

    Bismarcks deutschlandpolitische Zurückhaltung erklärt sich aus drei Überlegungen: Zum einen war er der festen Überzeugung, dass die nationale Politik „von oben“, von den Staaten und Regierungen, nicht „von unten“, von Volk und Massen, betrieben werden müsse. Zum anderen durfte der Süden nicht zum Anschluss an den Norden gezwungen werden. Und schließlich musste eine Einigung Deutschlands ‚europaverträglich‘ gestaltet werden. Denn jede Machtveränderung in der Mitte des Kontinents würde Reaktionen der Nachbarstaaten hervorrufen.

     Deputation des Norddeutschen Reichstags Otto von Bismarck StiftungAm 18. Dezember 1870 empfing Wilhelm I. in Versailles eine Abordnung des Reichstags des Norddeutschen Bundes unter Leitung des Reichstagspräsidenten Eduard Simson. Diese bat den König, die deutsche Kaiserwürde anzunehmen. Um den Anschein eines demokratisch legitimierten Kaisertums zu vermeiden, wollte Wilhelm I. zunächst abwarten, bis der Aufruf der Fürsten an ihn ergangen war, den Kaisertitel anzunehmen. Die Deputation des Norddeutschen Reichstags in Versailles.
    Holzstich, nach einer Skizze von Friedrich (Fritz) Schulz, Deutschland, 1871 (© Otto-von-Bismarck-Stiftung)

    Reichsgründung „von oben“

    Anfang des Jahres sah Bismarck es als schlechtes Zeichen, dass bei den Wahlen zum Zollparlament in Süddeutschland die Partikularisten erfolgreich waren und die bayerische Regierung des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst stürzte. Erst Mitte Juli kam dann mit der französischen Kriegserklärung Bewegung in die deutsche Frage, denn die gewonnenen Schlachten steigerten die nationale Euphorie. Das bedeutete allerdings keineswegs, dass die süddeutschen Regierungen mit wehenden Fahnen zum Norddeutschen Bund überliefen. Als Bismarck mit ihnen im Herbst Verhandlungen über die Bildung eines neuen „1000jährige[n]“ Reichs“ aufnahm, leisteten Bayern und Württemberg massiven Widerstand. Erst nach dem Zugeständnis erheblicher Sonder- und Reservatrechte willigten sie in den Anschluss ein.

    Die höchste Hürde auf dem Weg zur deutschen Einheit war damit aber noch nicht beseitigt. Ende November bat Bismarck den bayerischen König Ludwig II., Wilhelm I. von Preußen die Kaiserkrone anzutragen. Stolz auf seine eigene Dynastie, tat er sich mit diesem Wunsch ausgesprochen schwer. Erst die Zusage beträchtlicher finanzieller Geschenke ließ ihn einlenken. Anfang Dezember bat der Wittelsbacher den Hohenzoller mit einem von Bismarck entworfenen Brief, die „deutsche Kaiserwürde“ wiederherzustellen.

     Ludwig II und KaiserbriefLudwig II. (1845 – 1886), König von Bayern. Kupferstich von Johann Lindner, 1874 (© Otto-von-Bismarck-Stiftung); Kaiserbrief Ludwigs II. (Reproduktion), 1870, (Leihgabe aus Privatbesitz)

    Kaiser und Reich

    Wilhelm I. war über die Rangerhöhung keineswegs erfreut. Die „glänzende preußische Krone“ gegen die deutsche „Schmutzkrone“ einzutauschen, empfand er als „großes Unglück“. Sein Unmut nahm noch zu, als der Reichstag des Norddeutschen Bundes nach der Billigung der Novemberverträge mit den süddeutschen Staaten eine Deputation nach Versailles entsandte. Am 18. Dezember trug sie Wilhelm I. die Kaiserkrone an.

    Auch die Abgeordnetenhäuser Württembergs, Badens und Hessens stimmten den Novemberverträgen in diesen Tagen zu. Nur Bayern ließ sich bis zum 21. Januar 1871 Zeit. In gewisser Hinsicht gehörte es damit drei Wochen lang nicht zum Deutschen Reich. Denn aus der Taufe gehoben wurde der deutsche Nationalstaat bereits mit dem Inkrafttreten der Novemberverträge am Neujahrstag. Als sein eigentlicher Geburtstag gilt jedoch der 18. Januar, der Tag der Kaiserproklamation im Schloss von Versailles.

    Kaiserproklamation in Versailles

    Fast bis zur letzten Minute feilten die Zeremonienmeister an der Feier. Vor allem ein Programmpunkt bereitete ihnen erhebliches Kopfzerbrechen: das Hoch auf den Kaiser, für das Wilhelms Schwiegersohn, Großherzog Friedrich I. von Baden, auserkoren war. Um die Annahme der Krone des Deutschen Reiches für sich annehmbar zu machen, wollte der König als „Kaiser von Deutschland“ angesprochen werden. Bismarck dagegen riet aus Rücksicht auf bayerische Empfindlichkeiten energisch zur Formel „Deutscher Kaiser“. Friedrich von Baden umging das Problem schließlich, indem er sein Hoch auf „Kaiser Wilhelm“ ausbrachte. Für den Monarchen war das Grund genug, Bismarck nach der Zeremonie beim Ausmarsch aus dem Spiegelsaal keines Blickes zu würdigen.

     Die Proklamierung des deutschen KaiserreichsDie Proklamierung des deutschen Kaiserreiches (18. Januar 1871), Gemälde von Anton von Werner, 1885, Geschenk der kaiserlichen Familie für Otto von Bismarck (© Otto-von-Bismarck-Stiftung, Fotograf: Jürgen Hollweg)


    Video: Ein Reich wird gegründet

    Im Bismarck-Museum Friedrichsruh hängt das berühmte Gemälde des Malers Anton von Werner, das „Die Proklamierung des Deutschen Kaiserreiches (18. Januar 1871)“ zeigt. Das Video „Ein Reich wird gegründet“ erzählt die Geschichte dieses Bildes und berichtet von den Geschenken, die Otto von Bismarck für seinen Beitrag zur Reichsgründung erhielt.

    Ein Reich wird gegrndet