Brief an Kaiser Wilhelm I., Berlin, 13. Juli 1887

     

    Euerer Majestät melde ich allerunterthänigst, daß ich vorgestern Abend von Friedrichsruh hier eingetroffen bin, und morgen früh mit allerhöchster Genehmigung meine Reise nach Varzin fortzusetzen beabsichtige. Ich bin sehr erfreut über die günstigen Nachrichten, die ich hier über Eurer Majestät Befinden aus Ems und Coblenz erhalten habe und hoffe, daß Gastein Allerhöchstdenselben auch in diesem Jahre den Ersatz der Kräfte gewähren wird, welche Eure Majestät im Winter und Frühjahr, einschließlich der Kieler Anstrengung, zugesetzt haben.

    Ich habe mich in der Ruhe und Einsamkeit des Waldes wesentlich erholt und hoffe, es in Varzin vollständig zu können, da die Politik im Augenblick nach keiner Seite hin beunruhigende Symptome zeigt, wenigstens keine solchen, die den diplomatischen Diener Eurer Majestät besondre Gelegenheit zum Eingreifen und Arbeiten geben könnten. Daß die aufgeregten Gemüther in Frankreich sich beruhigen oder ihren Zorn im eignen Lande an einander auslassen, werden wir abwarten können, nachdem wir versichert sind, daß sie keinen Bundesgenossen finden, auch in Petersburg nicht, wenn sie sich durch einen Angriff auf uns aus ihren innern Verlegenheiten ziehn sollten. Selbst wenn sie ein Corps probeweise mobilmachen sollten, wozu es schwerlich kommen wird, brauchen wir, meines ehrfurchtsvollen Dafürhaltens, uns nicht in unsrer Ruhe stören zu lassen, nachdem unsre Ostgrenze sicher ist; im Besitz von Straßburg und Metz werden wir abwarten können, was weiter geschieht, wenn Frankreich wirklich dies Probe-Mobilmachen ins Werk setzen sollte.

    Die Bulgarische Fürstenwahl nöthigt Eurer Majestät ebenfalls zu keiner Entschließung über zweifelhafte Fragen. Eure Majestät haben seit Jahren das der Billigkeit entsprechende System gutgeheißen, in Bulgarien der russischen, in Serbien der östreichischen, in Egypten der englischen Politik gefällig zu sein; danach werden wir bezüglich der Wahl des Prinzen von Coburg-Cohary zum bulgarischen Fürsten, die Entschließung Rußlands abwarten und ihr zustimmen können, sobald der Kaiser Alexander sie gefaßt haben wird, daß diese bald geschehn werde, ist kaum zu erwarten.

    Es heißt, daß Eure Majestät auf indirectem Wege um Begnadigung der wegen französischer Spionage Verurtheilten angegangen werden sollen; ich kann, aus politischen Gründen, nur in Ehrfurcht abrathen darauf einzugehn.

    Möge Gott auch in diesem Jahre das Gasteiner Wasser Eurer Majestät segnen.