Diktat, Berlin, 9. Dezember 1885
Die Aeußerung Lord Randolph Churchill’s bezüglich einer Allianz mit Deutschland verstehe ich nicht:
es ist mir nie ein Angebot gemacht, das ich hätte ablehnen können. Die Correspondenz zwischen Lord Salisbury und mir hat sich auf je einen Brief beschränkt; meine Antwort auf seinen mir im Juni durch Baron Plessen überbrachten Brief war vom 8. Juli und ist, soviel ich weiß, Euerer Excellenz aus den diesseitigen Acten bekannt. Es ist darin nicht im Entferntesten die Rede von einer Ablehnung. Die Aeußerung Churchills, „à nous deux nous pourrions gouverner le monde“ [wir beide könnten die Welt regieren], kann ich nicht acceptiren; wir sind à nous deux dazu nicht stark genug, sondern brauchen eine dritte Macht; als solche war Oesterreich naturgemäß gegeben: die Englische Politik hat das aber nicht verstanden oder nicht verstehen wollen und sich in frivoler Weise Oesterreich entfremdet. Die Schlußworte Churchill’s „mais vous n’avez pas voulu“ [aber Sie haben nicht gewollt] sind einfach eine Erfindung, da uns die Allianzfrage nie gestellt ist. Wenn Euere Excellenz noch einmal mit Lord Randolph Churchill über diese Frage sprechen, so wird es nützlich sein, ihn über seinen Irrthum aufzuklären und ihm zu sagen, daß um ein dauerndes Bündniß mit England herzustellen, ein Gesetz nothwendig sein würde, welches schwerlich die Zustimmung des Englischen Parlaments erhalten würde: ohnedem würde sich nichts erreichen lassen, als ein Ministerialbündniß, welches nur das Resultat haben würde, daß wir solange als Vorspann zu dienen hätten, wie man uns braucht. Ein Bündniß macht man überdies nicht in der Weise, daß man es etwa mit der Verkündigung proclamirt: „man wäre bereit mit einem anderen durch dick und dünn zu gehen.“ Ein solches kann sich immer nur faktisch durch gemeinsame Politik bilden, namentlich mit einem Lande, dessen auswärtige Politik von Ministerwechseln abhängt; ohnedem bleibt die Idee der Proclamirung nur ein Luftschloß; wir könnten nicht darauf eingehen, ohne sofort einen Bruch mit Rußland-Oesterreich zu riskiren, wobei dann die Feindschaft Frankreichs nicht fehlen könnte, und einer solchen Coalition gegenüber würde Deutschland nach der Englischen Auffassung wohl etwa die Rolle zu spielen haben, die Churchill jetzt Oesterreich zudenkt, d. h. daß es Englische Politik auf eigene Kosten zu machen hätte. Die Zumuthung, die Churchill Euerer Excellenz gegenüber an Oesterreich stellt, ist doch wirklich naiv und ich kann mir nicht denken, daß die Englische Regierung thatsächlich annimmt, Oesterreich werde so thöricht sein, sich für England zu ruiniren: gerade die Kurzsichtigkeit, die in dieser Sorte Politik liegt, daß man den durch Gleichheit der Interessen gegebenen Bundesgenossen erst verbrauchen will, ohne ihn zu unterstützen und ohne zu wissen, wie man nachher ohne ihn weiter operiren soll, muß bei einer Anlehnung an England sehr vorsichtig machen; wenn England die Oesterreichische Politik in der Richtung der eigenen Englischen, also im Schutz von Constantinopel gegen Rußland energisch und zuverlässig unterstützt hätte, so würde auch Oesterreich die Deckung seiner Interessen wahrscheinlich lieber im Bunde mit England, wie mit Rußland gesucht haben. Bei der Neigung Englands, Oesterreich vorläufig zu verbrauchen und sich dann etwa nach Gladstone’schem Programm mit Ministerwechsel auf Kosten Oesterreichs mit Rußland zu verständigen, halte ich für eine ungeschickte Finesserie und kann sie deshalb nicht mitmachen. Wenn England klare und feste Ziele hätte und vor Allem den Muth sich öffentlich dazu zu bekennen, so würde es jedes Bündniß finden, welches es brauchen könnte, aber wenn zu den parlamentarischen Schwankungen noch Mangel an Entschlossenheit und Aufrichtigkeit kommt und die Neigung, den Bundesgenossen mit einer gewissen egoistischen Bauernfängerei zu verbrauchen, so sieht sich Jeder vor.
Es wird zweckmäßig sein, wenn Euere Excellenz sich auch anderen englischen Staatsmännern gegenüber bei Gelegenheit in diesem Sinne aussprechen und dabei hinzufügen, daß in den heutigen parlamentarischen Zuständen aller Länder die Rücksicht auf die öffentliche Verantwortlichkeit auch in den continentalen Staaten die Machthaber vorsichtiger macht als sie früher waren und die Möglichkeit beschränkt, die Kräfte des Landes je nach der Stimmung seiner Regierung auch für andere Interessen als die der eigenen Nation einzusetzen: solange England für gemeinsame Interessen nicht gemeinsam fechten will, ohne erst den Bundesgenossen ins Feuer zu schicken, wird es Bündnisse schwerlich finden.
Lord Randolph Churchill irrt sich vollkommen, wenn er annimmt, daß die auswärtige Politik auf die neuen ländlichen Wähler irgend einen Eindruck macht; ebenso vergißt er, daß das liberale Ministerium im Amt war, als im vorigen Frühjahr der Conflict zwischen Rußland und England acut zu werden drohte und die Frage der Schließung der Meerengen discutirt wurde; wir würden, wenn wir zur Zeit Mr. Gladstone’s den Sultan zur Verletzung der Dardanellen-Verträge hätten aufmuntern wollen, uns zwar mit Rußland überworfen, die Conservativen aber, die damals in England noch gar nicht am Ruder waren, die communistisch-radicale neue Wählerklasse auch nicht gewonnen haben: diese Wähler wissen schwerlich, wer die Dardanellen sind. Oesterreich ist nicht stark genug, den Schutz Constantinopel’s gegen Rußland allein zu übernehmen und wir haben kein Interesse an der Frage, solange Rußland sich eines Angriffs auf Oesterreich enthält; es bleibt den Oesterreichern also gar nichts Anderes übrig als die Verständigung mit Rußland, solange sie nicht bei ihrem Widerstande auf England’s Bündniß von Hause aus rechnen können, wie im Krimkriege; wenn Oesterreich für andere Zwecke als zu seiner Vertheidigung fechten will, so würde es, wie ich ganz vertraulich bemerke, unseren Beistand dazu nicht haben; auf den Englands hat es aber gerechten Anspruch, wenn es für Interessen kämpft, die gleichzeitig auch Englands sind.