Brief an Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst, Berlin, 21. September 1885
Die Beunruhigung, mit welcher nach Ew. pp. Bericht No 236 vom 14. cr. die große Masse der französischen Bevölkerung einem deutsch-spanischen Kriege entgegensieht, hält der Herr Reichskanzler für berechtigt. Der Eindruck welchen die spanische Episode bei ihrem ersten Erscheinen auf die Franzosen aller Parteien machte, hat uns gezeigt, daß letztere, so uneinig sie sonst sein mögen, doch in der Absicht, die erste günstige Gelegenheit zum Bruch mit Deutschland zu benutzen, alle einig sind. Fünfzehn Jahre freundlichen Entgegenkommen [!] auf jedem Gebiete der Politik mit alleiniger Ausnahme des Elsaß, haben hierin eine Wandlung oder Ermäßigung nicht bewirken können. Das Mißtrauen, womit die französische Bevölkerung unser langjähriges Entgegenkommen aufgenommen hat, ihre nicht bloß im geheimen günstige Haltung gegenüber dem Treiben der Patriotenliga, der Terrorismus, den letztere durch ihre zum Theil aus öffentlichen Fonds subventionirten Preßorgane auf die öffentliche Meinung ausübt, die Fortdauer agitatorischer Einwirkungen auf die Bevölkerung der Reichslande, das sind Momente die wir nicht unberücksichtigt lassen können und die uns die Nothwendigkeit nahe legen würden beim Ausbruch eines deutsch-spanischen Krieges auf die Sicherung der westlichen Reichsgrenze bedacht zu nehmen. Unsere Rüstungen würden dann französische Gegenmaßregeln hervorrufen, und durch die Wechselwirkung der allmäligen Steigerung von Rüstung und Stimmung kann es schließlich dahin kommen, daß Frankreich von innen heraus in die Aktion gedrängt wird.
Es ist wahrscheinlich, daß eine Erwägung dieser Art diejenigen Franzosen, welche überhaupt den Frieden wollen, auch hinsichtlich der deutsch-spanischen Frage in friedlichem Sinne beeinflussen wird. Ew. pp. wollen Ihre Sprache bei sich bietenden Anlässen dem entsprechend einrichten, aber niemals ohne hinzuzufügen, daß wir fortfahren werden unsrerseits den Frieden und die gute Nachbarschaft zu pflegen, daß aber das Vertrauen, daß dieses auch von französischer Seite dauernd der Fall sein werde, für uns schwer festzuhalten sei.