Brief an Emil von Albedyll, Varzin, 16. Juli 1885

     

    Ich bin, wie Sie richtig voraussetzten, am 7. im Neuen Palais gewesen, und S[eine]. K[aiserliche]. H[oheit]. hat Sich zu mir in demselben Sinne wie zu Ihnen in sehr gnädiger Form und mit rückhaltlosem Vertrauen auf einem Spaziergange im Garten ausgesprochen. Ich freute mich von Herzen über das Wohlwollen, welches Er mir bewies, war aber doch etwas in Verlegenheit gesetzt. Einmal sind solche Besprechungen für mein persönliches Gefühl dem Kaiser gegenüber peinlich; ich sage mir, daß sie in der Gegenwart des Herrn nicht geführt werden könnten, und ich kann nicht ohne Weiteres annehmen, daß ich Se. Majestät überleben werde. Ich bin jünger, aber strupirter [überanstrengter]. Dann aber bin ich schon jetzt mit meiner Arbeitskraft der Plage nicht gewachsen; ich zehre vom Capital und kann, nur wenn ich ausscheide, darauf rechnen, noch einige Jahre zu leben; letzteres möchte ich gern. Meinem alten Herrn kann ich nicht gegen Seinen Willen und in Ungnaden aus dem Dienste laufen; das ist mir klar geworden, als ich ihn mit Nobilings Schrotschuß liegen sah. Mein und meiner Frau Hoffnung war aber, daß ich, wenn ich nach Gottes Willen den Kaiser überlebe, den Rest meiner Tage auf dem Lande zubringen und wie ein pensionirter Hofschauspieler von der Bühne ins Parquet übergehen würde. Auf der andern Seite ist der Kronprinz, wenn ich seine Regirung erlebe, mein König. Einem solchen kann ich nach meiner Denkungsweise auch den letzten Rest, der mir an Arbeitskraft bleibt, nicht versagen, wenn Er meiner Dienste zu bedürfen glaubt und sie von mir verlangt, ohne mir Handlungen zuzumuthen, die dem Lande, der Dynastie oder meiner Ehre schädlich sind. Letzteres könnte auch dann der Fall sein, wenn ich mein Amt weiterführen wollte, ohne den damit verbundenen Dienst leisten zu können. Kranke alte Minister, die nicht über 2 Stunden arbeiten können, sind auch ein Unglück. Kurz, mich hat die herzliche Art, wie der Kronprinz mir Sein Vertrauen aussprach, gefreut, aber das Gefühl, sehr viel abgenutzter zu sein, wie der Herr und die Welt mit ihm glaubt, ist zu stark in mir, um mich mit dem Gedanken vertraut machen zu können, daß ich noch jemals der Minister eines andern Herrn als unsers heutigen sein könnte. Nach der Kräftigung des Kaisers die seit Ems eingetreten, darf ich hoffen, daß Gott ihn uns noch länger läßt, und mir das ultra posse (über den Können [hinaus Arbeiten]) erspart. Leider haben die weiblichen Einflüsse zu Gunsten der Abweichung von dem geraden Wege nach Gastein gesiegt; ich habe die Empfindung, daß die Gasteiner Cur allein das Entscheidende ist und jeder Aufschub verhängnißvoll werden kann. Den Dienst bei dem jetzigen Herrn kann und muß ich leisten; ein Thronwechsel aber bringt neue Menschen und neue Frictionen und Gewohnheiten. Es ist nie dasselbe.

    Jedenfalls bin ich in alter Freundschaft der Ihrige