Brief von Bernhard von Bülow an Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst, Berlin, 28. Dezember 1875
Ganz vertraulich.
Der Herr Reichskanzler hat von der mit gesandtschaftlichem Berichte vom 22. d. Mts. übersandten Aufzeichnung des Dr. Budde über sein Gespräch mit Herrn Thiers mit großem Interesse Kenntniß genommen.
Dem Fürsten ist es sehr bezeichnend erschienen, daß Thiers die wichtigsten politischen Fragen ganz in dem Ton behandelt, als sei er schon wieder der Leiter Frankreichs, und demgemäß auch die Details der Ausführung politischer Pläne ins Auge faßt und diskutiert, wie ein in Mitten der Geschäfte stehender Staatsmann.
Bemerkenswerth ist, daß in den Äußerungen von Thiers sich unverkennbar die Hoffnung zeigt, daß Frankreich durch Teilnahme an der Ordnung der orientalischen Frage wieder eine Erhöhung seines Einflusses und seiner Machtstellung gewinnen könne und diese Hoffnung sich nach der Andeutung von Thiers namentlich auf die von Rußland zu erwartende freundliche Vermittlung stützt. Die Liebenswürdigkeiten, welche Thiers im verflossenen Sommer bei seinem Besuch in der Schweiz vom Fürsten Gortschakoff erfahren hat, dürften wohl nicht ohne Einfluß auf diese Hoffnungen des französischen Staatsmannes gewesen sein.
Wenn Herr Thiers auch des Ausführlichen die Frage von Elsaß und Lothringen in den Kreis seiner Erörterungen gezogen hat, so erscheint dem Herrn Reichskanzler nicht unwichtig, daß derselbe den Gedanken, Frankreich durch eine große Geldsumme wieder in den Besitz von Elsaß und Lothringen zu setzen, als einen vernünftigen, wenn auch ihm nicht wahrscheinlichen Weg bezeichnet hat, ein dauernd freundliches Einverständnis zwischen Frankreich und Deutschland herzustellen.
So wünschenswerth das Ziel, so vollkommen unmöglich ist freilich das Mittel.
Der französische Staatsmann gibt sich einem schweren Mißverständniß hin, wenn er glaubte, daß es sich bei der Erhaltung jener Länder für Deutschland um eine Frage des amour propre (Selbstachtung) handle.
Dieselbe Nothwendigkeit und gebieterische Pflicht, welche trotz aller wohl vorhergesehen Schwierigkeiten des neuen Besitzes, Deutschland dazu geführt haben, Elsaß und Lothringen für sich anzueignen, verlangt auch, daß dieselben dauernd bei Deutschland verbleiben. Der Besitz derselben bildet gegenüber einer Nachbarnation von so unruhigem Charakter und die zugleich über so gewaltige Machtmittel gebietet, für Deutschland die einzig sichere Schutzwehr. Jeder Allemand éclairé (aufgeklärte Deutsche) hat erkannt und weiß, daß eine Situation, wo die französische Armee-Spitze in Weißenburg, Stuttgart gegenüber steht, für Deutschland auf alle Zeiten unannehmbar ist, und eine Zurückführung der Verhältnisse in den früheren traurigen Zustand bleibt daher für jede nationale Regierung heute und künftig eine Unmöglichkeit.
Der Besitz von Straßburg und Metz ist für Deutschland eine nationale Notwendigkeit, nicht eine Frage des amour propre.
Wie schwer es den Franzosen auch werden mag, dieser Ueberzeugung Raum zu geben, so bildet sie doch die Grundbedingung für die Herstellung eines freundlichen Einvernehmens zwischen beiden Nationen.