Brief an Albrecht von Roon, Varzin, 13. Dezember 1872
Lieber Roon
auf Ihren amtlichen Brief vom 10ten [d.h. Roons Entlassungsgesuch, das vom Kaiser abgelehnt wurde. Im Zusammenhang damit trat Bismarck vom preußischen Ministerpräsidium zurück, das Roon übernahm, nach seinem Ausscheiden am 9. November 1873 aber wieder an Bismarck übergab] antworte ich jetzt nicht, sondern melde Ihnen nur, daß ich morgen in Berlin einzutreffen hoffe. Ich reise, nicht weil ich mich gesund fühle, sondern weil ich für Pflicht halte, die Situation mit Sr. Majestät und mit Ihnen mündlich zu besprechen.
Mein Gefühl sagt mir seit Monaten, daß ich die alte Gesundheit nicht wieder erlange und also auch den alten Geschäftskreis nicht wieder übernehmen kann. So lange es der König befiehlt, will ich ihm als auswärtiger Minister gern weiter dienen, da ich die mehr als 20jährige Erfahrung in der europäischen Politik und das Vertrauen fremder Höfe nicht auf einen Andern übertragen kann. Aber die auswärtigen Angelegenheiten der stärksten Großmacht nehmen einen vollen Mannesdienst in Anspruch, und es ist eine unerhörte Anomalie, daß der auswärtige Minister eines großen Reichs daneben die Verantwortung für die innere Politik deßelben tragen soll. Mein Gewerbe ist ein solches, in dem man viele Feinde gewinnt, aber keine neuen Freunde, sondern die alten verliert, wenn man es 10 Jahre lang ehrlich und furchtlos betreibt. Ich bin nachgrade in Ungnade bei allen Gliedern des Königlichen Hauses, und das Vertrauen des Königs zu mir ist im Abnehmen. Jeder Intrigant findet sein Ohr. Dadurch wird der auswärtige Dienst für mich schwieriger. Ich habe Goltz und Usedom Jahre lang getragen; es wird mir aber sauer und unwürdig im Gefühl, mich mit einem so leichtfertigen und gewissenlosen Egoisten wie Harry Arnim vor dem Könige über mein Recht als Minister streiten zu sollen. Das muß ich tragen wenn ich auswärtiger Minister bleiben und der König mich noch schneller aufreiben will, als ich ohnehin zu Grunde gehe. Im Innern habe ich aber den Boden, der mir annehmbar ist, verloren durch die landesfeindliche Desertion der conservativen Partei in der katholischen Frage. In meinen Jahren und mit der Ueberzeugung, nicht lange mehr zu leben, hat der Verlust aller alten Freunde und Verbindungen etwas, für diese Welt, entmuthigendes, was bis zur Lähmung geht, wenn die Sorge um meine Frau dazutritt, wie das seit einigen Monaten verstärkt wiederkehrt.
Meine Federn sind durch Ueberspannung erlahmt; der König als Reiter im Sattel, weiß wohl kaum, daß und wie er in mir ein braves Pferd zu Schanden geritten hat; die Faulen halten länger aus, aber ultra posse nemo obligatur [über das Können hinaus wird niemand verpflichtet]. Ich glaubte es noch einige Monate bis zu mündlicher Verständigung hinhalten zu können. Aber Ihr Brief vom 10., lieber Roon, hat meinen Entschluß zur Reife gebracht. Ich kann des Königs Preußischer Ministerpräsident nicht bleiben; will Seine Majestät mich als Reichskanzler und auswärtiger Minister behalten, so will ich versuchen, diese Zweige weiter zu besorgen. Die Verantwortlichkeit für Collegen, auf die ich nur bittweisen Einfluß habe und die Verantwortung für solche Ansichten und Willensmeinungen S[eine]r. Majestät, die ich nicht theilen kann, vermag ich in meiner deprimirten Gemüthsverfassung nicht mehr durchzufechten. Die meine Bestrebungen kreuzenden Einflüsse sind mir zu mächtig, und die ruchlose Ueberhebung und politische Unbrauchbarkeit der Conservativen hat meine Freudigkeit im Kampfe seit letztem Frühjahre gebrochen.
Mit den Conservativen ist nichts zu machen, sie folgen den „Rednern“ wie K[leist] und den Intriganten wie B[odelschwingh], gegen sie mag ich nicht. Der König muß also m. E. neue im Parteiwesen nicht verbrauchte Leute an die Spitze bringen, und mich in Frieden auf mein diplomatisches Altentheil, oder gänzlich ziehen lassen. In diesem Sinne will ich übermorgen mein partielles Abschiedsgesuch Sr. Majestät vortragen.
Das Zeugniß gegen das Ministerium, welches in Ihrem Abschiedsgesuch liegt, hat meinen seit Monaten keimenden Entschluß schnell gereift.
Wir werden, wenn Gott uns Leben giebt, uns der großen Zeit die wir gemeinsam durcharbeiteten, als alte Freunde gern erinnern und behäbigeren Nachfolgern mit weniger aufreibendem Diensteifer, wohlwollend nachblicken. In herzlicher und unwandelbarer Freundschaft Ihr