Brief an Hans Lothar von Schweinitz, Berlin, 20. Oktober 1871

    Vertraulich.

    Ew. pp. erwähnen in dem gefälligen Bericht vom 18ten d. Mts. No. 280, daß S. K[öni]gl[iche]. Hoh[eit]. der Kronprinz von Sachsen während Seiner Anwesenheit in Wien bei Ihnen keine Demarche gemacht habe. Ich glaube, daß ein erster Schritt des Kronprinzen bei ähnlichen Vorkommnissen nicht in der Situation liegt, wenigstens nicht solange Ew. pp. nicht den Rang eines Botschafters S[eine]r. Maj[estät]. des Kaisers bekleiden und erlaube mir in Betreff der gegen die Bundesfürsten zu beobachtenden Etiquette Ew. pp. ergebenst mitzutheilen, wie ich selbst mich zu verhalten pflege. Ich behandle die souverainen Fürsten des Deutschen Reiches ebenso wie die Mitglieder der Kaiserlichen Familie, schreibe mich bei ihnen ein und melde mich bei ihnen, da ich es unserer Politik entsprechend halte, den Machtunterschied von Bayern und Sachsen bis Waldeck oder Lippe nicht zu accentuiren, keine Trennung in der Cooperation der dem Reiche angehörigen Fürsten zu fördern. Ich beobachte daher auch keine Abstufung in Betreff der mindermächtigen Souveraine. Diese Behandlung dehne ich auch mindestens auf die Kronprinzen der Königlichen Höfe aus, namentlich des sächsischen, des einzigen, der jetzt einen Kronprinzen im engeren Sinne des Wortes besitzt. Ich meine, daß wir wohl thun in den Fragen der Courtoisie, auf welche von den deutschen Höfen ein unverhältnißmäßig hoher Werth gelegt wird, umso zuvorkommender zu sein, jemehr wir die Realitäten der Macht in der Hand haben, und daß es sich empfiehlt die Veränderung der Situation so wenig wie möglich fühlbar zu machen. Ich bin daher durchaus einverstanden damit, daß Ew. pp. eine Audienz bei dem Kronprinzen von Sachsen nachgesucht haben und würde es auch dann richtig gefunden haben, wenn Sie das nicht in Ihrer Eigenschaft als General sondern auch als Gesandter des Reiches gethan hätten, da die Souverainität über das gesammte Reich rechtlich nicht bei dem Kaiser sondern bei der Gesammtheit der verbündeten Fürsten und freier Städte ruht, wovon sie auch Vertrags- und verfassungsmäßig von dem Kaiser und dessen Gesandten dem Auslande gegenüber vertreten wird.