Brief an Herbert von Bismarck, Ferrières, 23. September 1870

     

    Heut vor 8 Jahren wurde ich, dünkt mich, Minister.

    Mein geliebter Junge

    Ich erhalte heut zwei Briefe von Deiner Mutter vom 15. und 16., aus denen ich mit Kummer entnehme, daß es noch nimmer nicht gut mit Deiner Wunde geht. Du hast an Körperleiden ein schweres Jahr, aber dennoch preise ich dankbar Gottes Schutz, daß Er Dich so, wie es ist, den Ritt des Regiments vom 16. August hat überleben lassen, denn es ist nicht vielen gegeben zu erzählen, daß sie dabei gewesen sind. Steif wird Dein Bein mit Gottes Hülfe nicht werden, aber die Bewegung wird längere Zeit wie eingerostet sein, sagen die Aerzte; die Zerreißung der Muskeln ist zu groß, die Neubildung und die Einlernung der neuen Faser für die Bewegung geht langsam; Roons Wunde ist eine leichtere gewesen; deshalb werden wir aber doch, so Gott will, noch manchen Ritt zusammen durch den Varziner Wald machen. Hier giebt es nichts mehr zu reiten, läßt dir der Kronprinz sagen, der bei mir war, als ich die Briefe erhielt, und dem ich die mütterlichen Klagen vorlas. Was hier noch zu thun ist, wenn überhaupt etwas andres als Aushungern, wird von Infanterie und Artillerie besorgt.

    Daß ich Bill bei Meaux im Cantonnement besuchte und wohl fand, werdet Ihr inzwischen wissen. Die Briefe an ihn habe ich erhalten und befördert; auch den von Malle erhalten. Die Kränkung über Wilhelmshöhe begreife ich; die Küche, Stall und Livreen sind gegen den Willen des Königs von Berlin geschickt worden, und Napoleon hat darauf seine eigne schnell entlassen und verkauft, um zu sparen. Im Uebrigen ist uns ein gut behandelter Napoleon nützlich, und darauf allein kommt es mir an. Die Rache ist Gottes. Die Franzosen müssen ungewiß bleiben, ob sie ihn wiederbekommen, das fördert ihre Zwistigkeiten. Sie haben sich vorgestern Nacht schon mit Geschütz in den Straßen von Paris geschlagen. Wir haben nicht die Aufgabe, sie gegen uns zu einigen. Sage Mama, daß ich mit dem Vorschuß an den Mesendorfer Schulzen sehr einverstanden wäre und ihn nicht zu mahnen bäte.

    Ich habe hier mit den Franzosen (Favre von Ring und Hall, sehr kleinlaut, begleitet) schon dreimal stundenlang verhandelt, sie bekamen aber über das Elsaß noch immer so schweres Bauchgrimmen, daß wir abbrechen mußten. Fünftausend Millionen Franken glauben sie zahlen zu können; und schienen bereit dazu, wenn wir ihnen Straßburg ließen. Aber ich sagte ihnen, von dem Gelde wollten wir erst später reden, vorher die deutsche Grenze feststellen und dicht machen. Denn so bald sie zu Kräften kämen, griffen sie uns doch wieder an, sagte ich, was sie unter ganz pomphaften Friedensschwüren bestritten. Alles schon dagewesen. Was aber noch nicht dagewesen, ist die schnelle und volle Heilung, die ich Dir, mein Herzensjunge, wünsche und von Gott erbitte, mit tausend Grüßen an Mama und Marie.

    Dein treuer Vater v.B.