Brief an Albrecht von Roon, Varzin, 27. August 1869

     

    Lieber Roon

    Ihren Brief vom 23. erhielt ich gestern u[nd] erbrach ihn mit der freudigen Erwartung, welche der lang entbehrte Anblick Ihrer Hand mir in dieser Einsamkeit nach anderen weniger sympathischen Schriftzügen erweckte. Leider sah ich bald, daß es sich um eine geschäftliche Frage handelte, von der ich bereits Kenntniß erhalten hatte, ohne ihre Dimensionen so hoch zu veranschlagen, wie sie sich in Ihrer Auffassung darstellen? Ich hätte nicht geglaubt, daß über diese Frage, die staatsrechtliche nämlich, eine Meinungsverschiedenheit zwischen uns eintreten könnte oder vielmehr vorhanden wäre, noch weniger, daß Sie aus derselben eine Cabinetsfrage machen würden.

    Die principielle Streitfrage ist in erster Linie eine staatsrechtliche, in zweiter eine juristische. Sie in der zweiten zu beurtheilen, bin ich nicht hinreichend geschult u[nd] vermag noch nicht auf den Standpunkt zu verzichten, von welchem aus ich die Immunität aller Bundes-Beamten gegenüber der Preußischen Communalsteuer behaupten möchte, gewissermaßen die Exterritorialität gegenüber den Landesregirungen. Staatsrechtlich aber vermag ich die Bestimmungen der Bundes-Verfassung im Art[ikel] 53 nur dahin auszulegen, daß die Norddeutsche Marine eine Bundesmarine ist. Wir haben dieses Resultat bei Herstellung der Verfassung sorgfältig u[nd] bewußter Weise erstrebt u[nd] darin nicht eine Verminderung der Stellung des Königs gesehn, zu der ich gewiß nicht die Hand geboten hätte, sondern eine Mediatisirung der übrigen Bundesstaaten zu Gunsten S[eine]r Majestät bezüglich der Marine, wie sie analog in Betreff des Post u[nd] Telegraphenwesens u[nd] mancher andern juristischen Gebiete stattgefunden hat.

    Die Form, in welcher der König die Herrschaft in Deutschland übt, hat mir niemals eine besondere Wichtigkeit gehabt; an die Thatsache, daß Er sie übt, habe ich alle Kraft des Strebens gesetzt, die mir Gott gegeben, u[nd] daß unser Herr der Gebieter über die deutschen Seekräfte in vollstem Maße ist, steht außer Zweifel. Sollen wir denen, die nicht den Namen Preußen führen, die Unterordnung, ohne welche die Einheit unmöglich ist, durch äußerliche Formen erschweren? gewiß nicht, in verbis simus faciles, u[nd] in der Sache bleibt es dasselbe, mögen Sie die Marine Preußisch, Deutsch oder Norddeutsch nennen, es ist unsres Königs Marine. Mecklenburg, Oldenburg, die Hansestädte waren 1866 unsre Bundesgenossen, denen wir, nach dem rechtzeitigen Entschlusse, den sie zu unsern Gunsten gegen Hanover u[nd] viele Chancen gefaßt hatten, Gewalt nicht anthun konnten. Sie haben ihrer See-Hoheit u[nd] vielen andern Rechten zu Gunsten des jedesmaligen Königs von Preußen bereitwillig entsagt, aber nicht zu Gunsten Preußens, sondern des Bundes-Oberhauptes. Denken wir uns in die Lage der Leute. Ihre Unterordnung hätte sich erzwingen lassen; aber die freiwillige ist doch ein großer Gewinn, u[nd] an der Freiwilligkeit hat der Name einen wesentlichen Antheil. Keiner von ihnen u[nd] Keiner von uns bestreitet, ein Deutscher u[nd] für jetzt ein Norddeutscher zu sein; aber das particularistische u[nd] dynastische Gefühl widerstrebt der Einbeziehung unter die Benennung als Preußen. Hätten wir 1866 sofort das „Deutsch“ oder auch nur „Norddeutsch“ dem „Preußisch“ substituiren können, wir wären jetzt schon um 20 Jahre weiter. Wie schwer solche Namen wiegen, das zeigt Ihr eigenes Beispiel, u[nd] Sie werden doch zugeben, daß wir beide u[nd] unser allergn[ädigster] Herr geborene Norddeutsche sind, während vor etwa 170 Jahren unsre Vorfahren sich im höheren Interesse ruhig gefallen ließen, den glorreichen Namen der Brandenburger gegen den damals ziemlich verschollenen der Preußen zu vertauschen, ohne Preußen zu sein. Ich hoffe zu Gott, daß die Zeit kommen wird, wo unsre Söhne es sich zur Ehre rechnen werden, den Söhnen des Königs in einer Königlich deutschen Flotte u[nd] im Kön[iglich] deutschen Heere zu dienen. Dazu aber müssen wir uns Freunde mit dem ungerechten (?) Mammon der Redensart machen u[nd] nicht als Preußen, wie an jeder andern Spitze, auch an der des Particularismus stehen.

    Sie sehn aus Vorstehendem, daß ich in dem ministeriellen Streite nicht, u[nd] zwar mit nationaler Schwärmerei principiell, nicht auf Ihrer Seite stehe, obschon oder weil ich mit Begeisterung Preuße u[nd] Vasall des Königs, ja des Markgrafen von Brandenburg bin, u[nd] bei entstehender practischer Spaltung bis zum letzten Athemzuge bleiben werde. Aber so lange die Gewässer in demselben Bette, u[nd] zwar in dem von uns gegrabenen u[nd] beherrschten Bette fließen, ist es m[eines] E[rachtens] nicht unsre Aufgabe, die Scheidelinie zwischen dem gelben Gewässer des Main u[nd] dem klaren unsres Rheines durch eine Betonung mit Preußlischer Flagge zu kennzeichnen. Vor allem aber scheint mir die Frage nicht von der Bedeutung, daß Sie vor Gott u[nd] Ihrem Vaterlande durch dieselbe berechtigt würden, dem Könige in seinem 73sten Jahre den Stuhl vor die Thüre zu legen u[nd] auf Ihre Collegen, mich eingeschlossen, durch Ihr Ausscheiden einen Schatten zu werfen, der in der Armee u[nd] in der conservativen Partei die treuen Herzen beirren u[nd] zu der Frage berechtigen würde, ob an einer Sache, der der älteste Zeuge für dieselbe den Rücken dreht, nicht aus Müdigkeit, sondern in principieller Verurtheilung, ob an dieser Sache die Königlichen u[nd] die conservativen Interessen noch den berechtigten Antheil haben. Sie kennen die Leichtigkeit, mit der das Urtheil der Massen durch das Beispiel einer Persönlichkeit wie die Ihrige bestochen wird, Sie wissen, wie begierig unter den Besten des Landes der Hang zur Kritik, die Mißgunst, die Beschränktheit jeden Vorwand ergreift, um den lange in der Tasche getragenen Stein auf die Regirung zu werfen, auf eine Regirung, deren lange Pfade ungebahnt u[nd] schwer zu kennen sind, wie die Hannibals über die Alpen. Sie sagen, u[nd] ich weiß es, daß Ihre persönliche Freundschaft für mich die alte ist u[nd] als ich im September 62 ohne Bedenken in Ihre Hand einschlug, da habe ich wohl an Kniephof u[nd] Sabow gedacht, aber nicht an die Möglichkeit, daß wir nach 7 glorreichen Campagne-Jahren über die actenmäßige Bezeichnung der Marine in principielle Meinungsverschiedenheiten gerathen könnten.

    Was uns damals verband: das Streben, dem Könige in schwieriger Zeit zu dienen, gilt noch heut. Lesen Sie die Loosung vom 14. August [Lucas 16,9: Machet euch Freunde mit dem ungerechten Mammon usw.] mit weltlicher Interpretation, wie sie sich mir aufdrängte; den Abschied erhalten Sie doch nicht, Sie haben einen Kampf mit dem Könige, aus dem er als Sieger hervorgeht u[nd] Sie als Minister. Einen practischen Erfolg könnte der Schritt höchstens dann haben, wenn wir seine Spitze nach einer andern Seite zu wenden vermöchten. Wollen Sie da hinaus, dann müssen Sie den Topf 8 Tage lang am Feuer erhalten u[nd] zum 5. mit dem Könige nach Stettin kommen. Ich würde in dem Falle sicher auch kommen u[nd] bitte telegr[aphische] Nachricht. Dann würde ich aber in Ihrer Stelle kein formales Abschiedsgesuch an den König richten, weil S[ein]e Majestät das immer als Fahnenflucht übel nehmen, sondern dem Könige nur die Streitfrage zur Instruction allerhöchster Entscheidung vorlegen u[nd] eventuell für die Marinebeamten eine ihren Gemeindelasten äquivalente Zulage verlangen, um sie mit dem Landheere gleichzustellen. Vielleicht läßt sich auf diesem Wege die Immunität factisch erreichen. Doch ist es nur ein augenblicklicher, sachlich ungeprüfter Einfall. Aber, wie immer die Sache sich entwickelt, keine Entschließung ab irato, u[nd] sein Sie gewiß, daß ich sie, wenn auch als College andrer Meinung, doch als Freund mit Ihnen aus der Welt schaffe, wenn wir uns nur darüber besprechen können. Noch keine Nachricht aus Genthin? [zur erwarteten Geburt einer Enkelin Roons]

    Mit herzlichen Empfehlungen an Ihre Frau Gemalin der Ihrige
    v.B.