Brief an die Ehefrau Johanna von Bismarck, Hohenmauth, 9. Juli 1866

    Weißst Du noch, mein Herz, wie wir vor 19 Jahren auf der Bahn von Prag nach Wien hier durch fuhrn? Kein Spiegel zeigte die Zukunft, auch nicht, als ich 1852 mit dem guten Lynar diese Eisenbahn passirte. Wie wunderbar romantisch sind Gottes Wege. Uns geht es gut, trotz Napoleon; wenn wir nicht übertrieben in unsern Ansprüchen sind und nicht glauben, die Welt erobert zu haben, so werden wir auch einen Frieden erlangen, der der Mühe werth ist. Aber wir sind ebenso schnell berauscht wie verzagt, und ich habe die undankbare Aufgabe, Wasser in den brausenden Wein zu gießen und geltend zu machen, daß wir nicht allein in Europa leben, sondern mit noch 3 Mächten, die uns hassen und neiden.

    Die Oestreicher stehn in Mähren, und wir sind so kühn, daß für morgen unser Hauptquartier da angesagt wird, wo sie heut noch stehn. Gefangne passiren noch immer ein, und Kanonen seit dem 3. bis heut 180. Holen sie ihre Südarmee heran, so werden wir sie mit Gottes gnädigem Beistände auch schlagen, das Vertrauen ist allgemein. Unsre Leute sind zum Küssen, jeder so todesmuthig, ruhig, folgsam, gesittet, mit leerem Magen, nassen Kleidern, nassem Lager, wenig Schlaf, abfallenden Stiefelsohlen, freundlich gegen alle, kein Plündern und Sengen, bezahlen, was sie können, und essen verschimmeltes Brod. Es muß doch ein tiefer Fond von Gottesfurcht im gemeinen Manne bei uns sitzen, sonst könnte das alles nicht sein.

    Nachrichten über Bekannte sind schwer zu haben; man liegt meilenweit aus einander, keiner weiß, wo der Andre, und niemand zu schicken, Menschen wohl, aber keine Pferde. Seit 4 Tagen lasse ich nach Philipp [Sohn Bernhard von Bismarcks] suchen, der durch einen Lanzenstich am Kopfe leicht verwundet ist, wie Gerhard [von Thadden] mir schrieb, aber ich kann nicht entdecken, wo er liegt, und jetzt sind wir schon 8 Meilen weiter.

    Der König exponirte sich am 3. allerdings sehr, und es war gut, daß ich mit war, denn alle Mahnungen Andrer fruchteten nicht, und niemand hätte gewagt, ihn so hart anzureden, wie ich es mir beim letzten Male, welches half, erlaubte, nachdem ein Knäuel von 10 Kürassieren und 15 Pferden vom 6. Kür.Reg. sich neben uns blutend wälzte und die Granaten den Herrn in unangenehmster Nähe umschwirrten. Die schlimmste sprang zum Glück nicht. Er kann mir noch nicht verzeihn, daß ich ihm das Vergnügen, getroffen zu werden, verkümmerte: „an der Stelle, wo ich auf allerhöchsten Befehl wegreiten mußte“, sagte er gestern noch mit gereiztem Fingerzeig auf mich. Es ist mir aber doch lieber so, als wenn er die Vorsicht übertriebe. Er war enthusiasmirt über seine Truppen, und mit Recht, so exaltirt, daß er das Sausen und Einschlagen neben sich garnicht zu merken schien, ruhig und behaglich wie am Kreuzberg, und fand immer wieder Bataillone, denen er danken und „guten Abend Grenadiere“, sagen mußte, bis wir dann richtig wieder ins Feuer hineingetändelt waren. Er hat aber so viel darüber hören müssen, daß er es künftig lassen wird, und Du kannst ganz beruhigt sein; ich glaube auch kaum noch an eine wirkliche Schlacht.

    Wenn Ihr von jemand keine Nachricht habt, so könnt Ihr unbedingt annehmen, daß er lebt und gesund ist, denn alle Verwundungen von Bekannten erfährt man in längstens 24 Stunden. Mit Herwarth und Steinmetz sind wir, auch der König, noch garnicht in Berührung gekommen, ich habe also auch Schreck nicht gesehn, weiß aber, daß beide gesund sind. Gerhard führt ruhig seine Schwadron mit dem Arm in der Binde. Leb wohl, ich muß in Dienst.

    Dein treuster
    vB.