Brief an Robert von der Goltz, Berlin, 24. Dezember 1863
..... Was die dänische Sache betrifft, so ist es nicht möglich daß der König zwei auswärtige Minister habe, d.h. daß der wichtigste Posten in der entscheidenden Tagesfrage eine der ministeriellen Politik entgegengesetzte immediat bei dem Könige vertrete. Die schon übermäßige Friction unsrer Staatsmaschine kann nicht noch gesteigert werden. Ich vertrage jeden mir gegenüber geübten Widerspruch, sobald er aus so competenter Quelle, wie die Ihrige, hervorgeht; die Berathung des Königs aber in dieser Sache kann ich amtlich mit niemandem theilen, und ich müßte, wenn Se. M. mir dieß zumuthen sollte, aus meiner Stellung scheiden. Ich habe dieß dem Könige bei Vorlesung eines Ihrer jüngsten Berichte gesagt. S. M. fand meine Auffassung natürlich, und ich kann nicht anders als an ihr festhalten. Berichte, welche nur die ministeriellen Anschauungen widerspiegeln, erwartet Niemand; die Ihrigen sind aber nicht mehr Berichte im üblichen Sinne, sondern nehmen die Natur ministerieller Vorträge an, die dem Könige die entgegengesetzte Politik von der empfehlen, welche er mit dem gesammten Ministerium im Conseil selbst beschlossen und seit 4 Wochen befolgt hat. Eine, ich darf wohl sagen, scharfe, wenn nicht feindselige Kritik dieses Entschlusses ist aber ein andres Ministerprogramm und nicht mehr ein gesandschaftlicher Bericht. Schaden kann solche kreuzende Auffassung allerdings, ohne zu nützen; denn sie kann Zögerungen und Unentschiedenheiten hervorrufen, und jede Politik halte ich für eine bessere, als eine schwankende.
Ich gebe Ihnen die Betrachtung vollständig zurück, daß eine „an sich höchst einfache Frage preußischer Politik“ durch den Staub, den die dänische Sache aufrührt, durch die Nebelbilder, welche sich an dieselbe knüpfen, verdunkelt wird. Die Frage ist, ob wir eine Großmacht sind oder ein deutscher Bundesstaat, und ob wir, der erstern Eigenschaft entsprechend, monarchisch oder, wie es in der zweiten Eigenschaft allerdings zulässig ist, durch Professoren, Kreisrichter und kleinstädtische Schwätzer zu regiren sind. Die Jagd hinter dem Phantom der Popularität „in Deutschland“, die wir seit den vierziger Jahren betrieben, hat uns unsre Stellung in Deutschland und in Europa gekostet, und wir werden sie dadurch nicht wieder gewinnen, daß wir uns vom Strome treiben lassen, in der Meinung ihn zu lenken, sondern nur dadurch, daß wir fest auf eignen Füßen stehn und zuerst Großmacht, dann Bundesstaat sind. Das hat Oestreich zu unsrem Schaden stets als richtig für sich anerkannt, und es wird sich von der Komödie, die es mit deutschen Sympathien spielt, nicht aus seinen europäischen Allianzen, wenn es überhaupt solche hat, herausreißen lassen. Gehn wir ihm zu weit, so wird es scheinbar noch eine Weile mitgehn, namentlich mitschreiben, aber die 20 Procent Deutsche, die es in seiner Bevölkerung hat, sind kein in letzter Instanz zwingendes Element, sich von uns wider eignes Interesse fortreißen zu lassen. Es wird im geeigneten Momente hinter uns zurückbleiben und seine Richtung in die europäische Stellung zu finden wissen, sobald wir dieselbe aufgeben. Die Schmerlingsche Politik, deren Seitenstück Ihnen als Ideal für Preußen vorschwebt, hat ihr Fiasko gemacht. Unsre von Ihnen im Frühjahr sehr lebhaft bekämpfte Politik hat sich in der polnischen Sache bewährt, die Schmerlingsche bittre Früchte für Oestreich getragen. Ist es denn nicht der vollständigste Sieg, den wir erringen konnten, daß Oestreich zwei Monate nach dem Reformversuch froh ist, wenn von demselben nicht mehr gesprochen wird, und mit uns identische Noten an seine frühern Freunde schreibt, mit uns seinem Schooßkinde, der Bundestags-Majorität, drohend erklärt, es werde sich nicht majorisiren lassen? Wir haben diesen Sommer erreicht, wonach wir 12 Jahre lang vergebens strebten, die Sprengung der Bregenzer Coalition [zwischen Österreich, Bayern und Württemberg], Oesterreich hat unser Programm adoptirt, was es im October v. J. öffentlich verhöhnte; es hat die preußische Allianz statt der Würzburger gesucht, empfängt seine Beihülfe von uns, und wenn wir ihm heute den Rücken kehren, so stürzen wir das Ministerium.
Es ist noch nicht dagewesen, daß die Wiener Politik in diesem Maaße en gros und en détail von Berlin aus geleitet wurde. Dabei sind wir von Frankreich gesucht, Fleury bietet mehr als der König mag; unsre Stimme hat in London und Petersburg das Gewicht, was ihr seit 20 Jahren verloren war; und das 8 Monate, nachdem Sie mir die gefährlichste Isolirung wegen unsrer polnischen Politik prophezeiten. Wenn wir jetzt den Großmächten den Rücken drehn, um uns der in dem Netze der Vereinsdemokratie gefangnen Politik der Kleinstaaten in die Arme zu werfen, so wäre das die elendste Lage, in die man die Monarchie nach Innen und nach Außen bringen könnte. Wir würden geschoben, statt zu schieben; wir würden uns auf Elemente stützen, die wir nicht beherrschen und die uns nothwendig feindlich sind, denen wir uns aber auf Gnade und Ungnade zu ergeben hätten. Sie glauben, daß in der „deutschen öffentlichen Meinung“, Kammern, Zeitungen etc. irgend etwas steckt, was uns in einer Unions- oder Hegemonie-Politik stützen oder helfen könnte. Ich halte das für einen radicalen Irrthum, für ein Phantasiegebilde. Unsre Stärkung kann nicht aus Kammern- und Preßpolitik, sondern nur aus waffenmäßiger Großmachtspolitik hervorgehn, und wir haben nicht nachhaltiger Kraft genug, um sie in falscher Front und für Phrasen und Augustenburg zu verpuffen. Sie überschätzen die ganze dänische Frage und lassen sich dadurch blenden, daß dieselbe das allgemeine Feldgeschrei der Demokratie geworden ist, die über das Sprachrohr von Presse und Vereinen disponirt und diese an sich mittelmäßige Frage zum Moussiren bringt. Vor zwölf Monaten hieß es zweijährige Dienstzeit, vor acht Monaten Polen, jetzt Schleswig-Holstein. Wie sahen Sie selbst die europäische Lage im Sommer an? Sie fürchteten Gefahren jeder Art für uns und haben in Kissingen kein Hehl gemacht über die Unfähigkeit unsrer Politik; sind denn nun diese Gefahren durch den Tod des Königs von Dänemark plötzlich geschwunden, und sollen wir jetzt an der Seite von Pfordten, Koburg und Augustenburg, gestützt auf alle Schwätzer und Schwindler der Bewegungspartei, plötzlich stark genug sein, alle vier Großmächte zu brüskiren, und sind letztere plötzlich so gutmüthig oder so machtlos geworden, daß wir uns dreist in jede Verlegenheit stürzen können, ohne etwas von ihnen zu besorgen zu haben?
Sie nennen es eine „wundervolle“ Politik, daß wir das Gagernsche Programm ohne Reichsverfassung hätten verwirklichen können. Ich sehe nicht ein, wie wir hätten dazu gelangen sollen, wenn wir, im Bunde mit den Würzburgern, auf deren Unterstützung angewiesen, Europa hätten besiegen müssen. Entweder standen die Regirungen uns ehrlich bei, und der Kampfpreis war ein Großherzog mehr in Deutschland, der aus Sorge für seine neue Souveränetät am Bunde gegen Preußen stimmt, ein Würzburger mehr; oder wir mußten, und das war das Wahrscheinlichere, unsern Verbündeten durch eine Reichsverfassung den Boden unter den Füßen wegziehn und dennoch dabei auf ihre Treue rechnen. Mißlang das, wie zu glauben, so waren wir blamirt; gelang es, so hatten wir die Union mit der Reichsverfassung.
Sie sprechen von dem Staatencomplex von 70 Millionen mit einer Million Soldaten, der in compacter Weise Europa trotzen soll, muthen also Oestreich ein Aushalten auf Tod und Leben bei einer Politik zu, die Preußen zur Hegemonie führen soll, und trauen doch dem Staate, der 35 dieser 70 Millionen hat, nicht über den Weg. Ich auch nicht; aber ich finde es für jetzt richtig, Oestreich bei uns zu haben; ob der Augenblick der Trennung kommt, und von wem, das werden wir sehn. Sie fragen: wann in aller Welt sollen wir denn Krieg führen, wozu die Armeeorganisation? und Ihre eignen Berichte schildern uns das Bedürfniß Frankreichs, im Frühjahr Krieg zu haben, die Aussicht auf eine Revolution in Galizien daneben. Rußland hat 200 000 Mann über den polnischen Bedarf auf den Beinen und kein Geld zu Phantasie-Rüstungen, muß also muthmaßlich doch auf Krieg gefaßt sein; ich bin es auf Krieg und mit Revolution combinirt. Sie sagen dann, daß wir uns dem Kriege garnicht aussetzen; das vermag ich mit Ihren eignen Berichten aus den letzten drei Monaten nicht in Einklang zu bringen. Ich bin dabei in keiner Weise kriegsscheu, im Gegentheil, bin auch gleichgültig gegen revolutionär oder conservativ, wie gegen alle Phrasen; Sie werden sich vielleicht sehr bald überzeugen, daß der Krieg, auch in meinem Programme liegt; ich halte nur Ihren Weg, dazu zu gelangen, für einen staatsmännisch unrichtigen. Daß Sie dabei im Einverständniß mit Pfordten, Beust, Dalwigk und wie unsre Gegner alle heißen, sich befinden, macht für mich die Seite, die Sie vertreten, weder zur revolutionären noch zur conservativen, aber nicht zur richtigen für Preußen. Wenn der Bierhaus-Enthusiasmus in London und Paris imponirt, so freut mich das, es paßt ganz in unsern Kram; deshalb imponirt er mir aber noch nicht und liefert uns im Kampfe keinen Schuß und wenig Groschen. Mögen Sie den Londoner Vertrag revolutionär nennen: die Wiener Tractate waren es zehnmal mehr und zehnmal ungerechter gegen viele Fürsten, Stände und Länder, das europäische Recht wird eben durch europäische Tractate geschaffen. Wenn man aber an letztere den Maßstab der Moral und Gerechtigkeit legen wollte, so müßten sie ziemlich alle abgeschafft werden.
Wenn Sie statt meiner hier im Amte wären, so glaube ich, daß Sie Sich von der Unmöglichkeit der Politik, die Sie mir heut empfehlen und als so ausschließlich „patriotisch“ ansehn, daß Sie die Freundschaft darüber kündigen, sehr bald überzeugen würden. So kann ich nur sagen: la critique est aisée; die Regirung, namentlich eine solche, die ohnehin in manches Wespennest hat greifen müssen, unter dem Beifall der Massen zu tadeln, hat nichts Schwieriges; beweist der Erfolg, daß die Regirung richtig verfuhr, so ist von Tadeln nicht weiter die Rede; macht die Regirung Fiasco in Dingen, die menschliche Einsicht und Wille überhaupt nicht beherrschen, so hat man den Ruhm, rechtzeitig vorhergesagt zu haben, daß die Regirung auf dem Holzwege sei. Ich habe eine hohe Meinung von Ihrer politischen Einsicht; aber ich halte mich selbst auch nicht für dumm; ich bin darauf gefaßt, daß Sie sagen, dies sei eine Selbsttäuschung. Vielleicht steigen mein Patriotismus und meine Urtheilskraft in Ihrer Ansicht, wenn ich Ihnen sage, daß ich mich seit 14 Tagen auf der Basis der Vorschläge befinde, die Sie in Ihrem Bericht No.... machen. Mit einiger Mühe habe ich Oestreich bestimmt, die holsteinischen Stände zu berufen, falls wir es in Frankfurt durchsetzen; wir müssen erst darin sein im Lande. Die Prüfung der Erbfolgefrage am Bunde erfolgt mit unsrem Einverständniß, wenn wir auch mit Rücksicht auf England nicht dafür stimmen; ich hatte Sydow ohne Instruction gelassen, er ist zur Ausführung subtiler Instructionen nicht gemacht.
Vielleicht werden noch andre Phasen folgen, die Ihrem Programm nicht sehr fern liegen; wie aber soll ich mich entschließen, mich über meine letzten Gedanken frei gegen Sie auszulassen, nachdem Sie mir politisch den Krieg erklärt haben und Sich ziemlich unumwunden zu dem Vorsatz bekennen, das jetzige Ministerium und seine Politik zu bekämpfen, also zu beseitigen? Ich urtheile dabei blos nach dem Inhalt Ihres Schreibens an mich und lasse alles bei Seite, was mir durch Colportage und dritte Hand über Ihre mündlichen und schriftlichen Auslassungen in Betreff meiner zugeht. Und doch muß ich als Minister, wenn das Staatsinteresse nicht leiden soll, gegen den Botschafter in Paris rückhaltslos offen bis zum letzten Worte meiner Politik sein. Die Friction, welche jeder in meiner Stellung mit den Ministern und Räthen, am Hofe, mit den occulten Einflüssen, Kammern, Presse, den fremden Höfen zu überwinden hat, kann nicht dadurch vermehrt werden, daß die Disciplin meines Ressorts einer Concurrenz zwischen dem Minister und dem Gesandten Platz macht und daß ich die unentbehrliche Einheit des Dienstes durch Discussion im Wege des Schriftwechsels herstelle. Ich kann selten so viel schreiben, wie heut in der Nacht am heiligen Abend, wo alle Beamte beurlaubt sind, und ich würde an Niemand als an Sie den vierten Theil des Briefes schreiben. Ich thue es, weil ich mich nicht entschließen kann, Ihnen amtlich und durch die Bureaus in derselben Höhe des Tones zu schreiben, bei welchem Ihre Berichte angelangt sind. Ich habe nicht die Hoffnung, Sie zu überzeugen, aber ich habe das Vertrauen zu Ihrer eignen dienstlichen Erfahrung und zu Ihrer Unparteilichkeit, daß Sie mir zugeben werden, es kann nur Eine Politik auf einmal gemacht werden, und das muß die sein, über welche das Ministerium mit dem Könige einig ist. Wollen Sie dieselbe und damit das Ministerium zu werfen suchen, so müssen Sie das hier in der Kammer und der Presse an der Spitze der Opposition unternehmen, aber nicht von Ihrer jetzigen Stellung aus, und dann muß ich mich ebenfalls an Ihren Satz halten, daß in einem Conflict des Patriotismus und der Freundschaft der erstere entscheidet. Ich kann Sie aber versichern, daß mein Patriotismus von so starker und reiner Natur ist, daß eine Freundschaft, die neben ihm zu kurz kommt, dennoch eine sehr herzliche sein kann.
v. Bismarck.