Brief an John Lothrop Motley, Berlin, 17. April 1863
My dear Motley,
Du hast mir eine große Freude gemacht durch Deinen Brief vom 9., und ich werde Dir sehr dankbar sein, wenn Du Wort hältst to write oftener and longer. I hate politics, aber wie Du sehr richtig sagst, like the grocer hating figs, ich bin nichtsdestoweniger genöthigt, meine Gedanken unablässig mit jenen figs zu befassen. Auch in diesem Augenblick, während ich Dir schreibe, habe ich die Ohren davon voll. Ich bin genöthigt, ungewöhnlich abgeschmackte Reden aus dem Munde ungewöhnlich kindischer und aufgeregter Politiker anzuhören, und habe dadurch einen Augenblick unfreiwilliger Muße, die ich nicht besser benützen kann, als indem ich Dir von meinem Wohlbefinden Nachricht gebe. Ich habe niemals geglaubt, daß ich in meinen reifen Jahren genöthigt werden würde, ein so unwürdiges Gewerbe wie das eines parlamentarischen Ministers zu betreiben. Als Gesandter hatte ich, obschon Beamter, doch das Gefühl, ein gentleman zu sein. Als Minister ist man Helot. Ich bin heruntergekommen und weiß doch selber nicht, wie.
April 18. – So weit schrieb ich gestern, dann schloß die Sitzung: 5 Stunden Kammer bis 3 Uhr, dann 1 Stunde reiten, 1 Stunde Vortrag bei Seiner Majestät, 3 Stunden auf einem langweiligen Diner, old important Whigs, dann 2 Stunden Arbeit, schließlich ein Souper bei einem Collegen, der es mir übel genommen hätte, wenn ich seinen Fisch verschmäht hätte. Heut früh kaum gefrühstückt, da saß mir Karolyi schon gegenüber; ihn lösten ohne Unterbrechung Dänemark, England, Portugal, Rußland, Frankreich ab, dessen Botschafter ich darauf aufmerksam machen mußte, daß es für mich Zeit sei, in das Haus der Phrasen zu gehn. In diesem sitze ich nun wieder, höre die Leute Unsinn reden und beendige meinen Brief; die Leute sind Alle darüber einig, unsre Verträge with Belgien gut zu heißen, und doch sprechen 20 Redner, schelten einander mit der größten Heftigkeit, als ob jeder den Andern umbringen wollte; sie sind über die Motive nicht einig, aus denen sie übereinstimmen, darum der Zank; echt deutsch, leider, Streit um des Kaisers Bart, querelle d’Allemand; Etwas davon habt Ihr Anglo-Saxon Yankees auch. Wißt Ihr eigentlich, aber genau, warum Ihr so wüthend Krieg miteinander führt? Alle wissen es gewiß nicht; aber man schlägt sich con amore todt, das Geschäft bringt’s halt so mit sich. Eure Gefechte sind blutig, unsre geschwätzig; die Schwätzer können Preußen wirklich nicht regiren, ich muß den Widerstand leisten, sie haben zu wenig Witz und zu viel Behagen, dumm und dreist. Dumm in seiner Allgemeinheit ist nicht der richtige Ausdruck; die Leute sind, einzeln betrachtet, zum Teil recht gescheut, meist unterrichtet, regelrechte deutsche Universitätsbildung, aber von der Politik, über die Kirchthurm-Interessen hinaus, wissen sie so wenig, wie wir als Studenten davon wußten, ja noch weniger, in auswärtiger Politik sind sie auch einzeln genommen Kinder; in allen übrigen Fragen aber werden sie kindisch, sobald sie in corpore zusammentreten, massenweis dumm, einzeln verständig.
When over-reading my letter, just before I go to meet in my bed „tired nature’s sweet restorer“, I find that under the noisy distractions of parliamentary bullying I have written down a suite of dull commonplaces, and I was about to burn it, but considering the difficulty in this dreary sort of life of finding out an undisturbed moment, and a more sensible disposition of mind, I think, like Pontius Pilate, „Quod scripsi, scripsi“. These drops of my own ink will show you at least, that my thoughts, when left alone, readily turn to you. I never pass by old Logier’s House, in the Friedrichstraße, without looking up at the windows that used to be ornamented by a pair of red slippers sustained on the wall by the feet of a gentleman sitting in the Yankee way, his head below and out of sight. I then gratify my memory with remembrance of „good old colony times, when we were roguish chaps“. (Poor) Flesh is travelling with his daughter, I do not know where in this moment. My wife is much obliged for your kind remembrance, and also the children. The little one wrenched his foot in tumbling down a staircase, and my daughter in bed with a sore throat, but no harm in that. They are well after all. Gott sei Dank. Nun leb herzlich wohl. Ich kann so spät am Abend eine so unorthographische Sprache wie englisch nicht länger schreiben. Aber bitte versuche Du es bald wieder. Deine Hand sieht aus wie Krähenfüße, ist aber sehr leserlich; meine auch?
Dein treuer alter Freund
v. Bismarck