Brief an Albrecht von Bernstorff, Montpellier, 12. September 1862
Verehrtester Freund und Gönner,
Nachdem ich meine Kur, Gott sei Dank mit sehr günstigem Erfolge, beendigt habe, denke ich morgen wieder in Paris einzutreffen und habe zunächst Ihre Nachsicht anzurufen, weil ich meinen Urlaub schon 6 Tage überschritten; es sei denn, daß Sie die Theorie einiger Collegen gutheißen, nach welcher der Gesandte in dem Lande seiner Mission überall auf dem Posten ist. Ich weiß nicht, ob in Paris Geschäfte meiner warten; sollte dieß, wie bei der Abwesenheit des Kaisers zu vermuthen steht, nicht der Fall sein, so würde ich gern auf einige Tage nach Hause reisen. Ich habe meine Frau und Kinder seit dem 8. Mai nicht gesehn und führe seitdem eine Existenz, welche allen Gewohnheiten eines Familienvaters widerspricht. Die Meinigen sind auf dem Lande in Hinterpommern, meine Sachen noch in Petersburg, meine Wagen in Stettin, meine Pferde in Schönhausen, und ich selbst weiß nicht, wo ich mein Haupt zu Winter niederlegen werde. Ich appellire an Ihre eignen deutsch-hausväterlichen Gefühle, ob ein solches Leben auf die Dauer für einen Gatten und Vater von achtbarem Schlage erträglich ist.
Ich wüßte nicht, welchen Posten ich mir von der Gnade des Königs lieber erbitten möchte als den des Gesandten oder gar Botschafters Sr. M. in Paris, sobald ich meine Ernennung als eine definitive betrachten könnte und meine Lebens-Einrichtung danach treffen. Wenn ich eine Gewißheit darüber, daß von meinem Eintritt in das Ministerium überhaupt Abstand genommen ist, jetzt nicht erhalten kann, so würde S. M. vielleicht doch die Gnade haben, mir zuzusichern, daß ich bis zum 1. April oder Neujahr oder bis zu irgend einem festen Termine in Paris bliebe; dann würde ich mich danach einrichten können. Einstweilen habe ich den 1. Oktober als Termin ins Auge gefaßt, um meine Familie nach Paris überzusiedeln; wenn ich den Umzug meines zahlreichen Hausstandes mit Kindern und Lehrpersonal einmal bewirkt habe, so wäre es eine Härte, in die ich mich nicht leicht zu finden wüßte, wenn ich unmittelbar danach wieder einpacken sollte. Da ich mich niemals geweigert habe, sobald S. M. es befiehlt, auch ohne Portefeuille in das Ministerium zu treten, so weiß ich im Grunde nicht, was einer allerhöchsten Entscheidung über meine Zukunft entgegensteht.
Der Zeitpunkt meiner Ernennung, falls dieselbe von Sr. M. noch beabsichtigt wird, kann, nach der Convenienz unsrer Stellung zu den Kammern, beliebig verschoben werden; für mich ist nur die Entscheidung darüber Bedürfniß, ob ich Paris als Wohnsitz ansehn kann oder nicht. Einstweilen kann ich mich an nichts andres als an die Realität halten, daß ich Gesandter in Paris und nichts weiter bin, und muß mich demgemäß verhalten. Ich habe daher nach Petersburg geschrieben, daß man meine Effecten mit dem letzten, Anfangs October nach dem Havre gehenden Dampfschiff dorthin abschickt, und bitte um geneigte Erlaubnis, mich zur Abholung meiner Familie nach Pommern begeben zu dürfen. Befiehlt der König anderweit über mich, so kann ich bis zum letzten dieses Monats auch meine Einrichtungen noch demgemäß abändern. Wenn S. M. erlaubt, daß ich mich in den nächsten Tagen zur Vorbereitung meiner Uebersiedlung nach Paris und zur Abholung der Meinigen nach Pommern begebe, so haben Sie wohl die große Güte, mich hiervon telegraphisch zu benachrichtigen. Ich würde dann zunächst ad audiendum verbum Regis in Berlin erscheinen und dann, je nach Ausfall der allerhöchsten Entscheidung, nach Pommern gehn und meine Familien-Caravane in Bewegung setzen, um gesicherte Winterquartiere zu erreichen.
Ich habe keine andre Gelegenheit als die Post, um diesen Brief zu befördern, und aus der gasthofmäßigen Beschaffenheit des Papiers ersehn Sie, daß mir während der unerwartet langen Dauer meiner Reise die Schreibmaterialien ausgegangen sind. Ich habe auf den Rath meines Biarritser Arztes die Seebäder im äußersten Maße gebraucht, 28 Tage lang täglich 2, nachdem ich mäßiger angefangen hatte, und ich blieb schließlich eine volle Stunde im Wasser. Der Arzt rieth mir gewisse Symptome abzuwarten; diese traten in der That ein, und ich kann den Erfolg nicht genug loben. Ich habe mich seit 10 Jahren nicht so wohl befunden wie jetzt.
Ich habe meine Reise von Biarrits aus mit Orlows aus Brüssel gemacht, und trenne mich morgen von ihnen. Reuß erwartet mich in Paris mit Sehnsucht, er will irgend einen hühnerschießenden Urlaub antreten. Ich halte es für unbedenklich, im Nothfall Hatzfeld die Geschäfte auf einige Tage zu geben; er verspricht ein tüchtiger und umsichtiger, für seine Jahre sogar etwas pedantischer Geschäftsmann zu werden.
Mit der Bitte, mich der Frau Gräfin zu Gnaden zu empfehlen, bin ich in freundschaftlicher Verehrung der Ihrige.