Brief an den preußischen Ministerpräsidenten Otto von Manteuffel, Frankfurt, 26. April 1856


    E. E. kann ich zwar seit der Zeit, wo ich die Ehre hatte, Sie hier zu sehn, nichts Neues von hier berichten; doch ist das Alte und Bekannte wichtig genug, um mich auf Ihre Nachsicht rechnen zu lassen, wenn ich es nochmals versuche, meine Ansichten über unsre politische Lage zusammenhängender zu formuliren, als ich bei mündlicher Besprechung dazu im Stande war.

    Ohne mich in gewagte Conjecturen über die muthmaßliche Dauer des neuen Friedens [Friede von Paris] einzulassen, darf ich doch als ein Symptom des geringen Vertrauens zu derselben das besorgliche Unbehagen hervorheben, mit welchem die meisten europäischen Cabinete in die Zukunft blicken, auch nachdem der Friede gesichert ist. Alle, die großen, wie die kleinen, suchen sich einstweilen, in Erwartung der Dinge, welche kommen können, die Freundschaft Frankreichs zu erwerben oder zu erhalten, und der Kaiser Napoleon, so neu und so schmal anscheinend auch die Grundlagen seiner Dynastie in Frankreich selbst sind, hat die Wahl unter den zu seiner Disposition stehenden Bündnissen.

    Es scheint nicht, daß die auffälligen Bemühungen Orloff’s den Apfel schon vom Baum geschüttelt haben; aber wenn er reif ist, fällt er von selbst, und die Russen werden zur rechten Zeit die Mütze darunter halten. Auch den acte de soumission des Grafen Buol, das Streben Ostreichs nach der Ehre, der erste Rheinbundstaat zu sein, wenn nur Preußen dadurch der zweite oder dritte wird, scheint der Kaiser N[apoleon] lediglich mit zurückhaltender Höflichkeit aufgenommen zu haben; die offiziöse Wiener Presse giebt aber deshalb die Hoffnung auf eine katholische Ligue mit Frankreich nicht auf und preist einstweilen den Voltairianer Kaunitz als den ersten Staatsmann Östreichs, weil er es mit Frankreich hielt. Die deutschen Mittelstaaten sind nach wie vor bereit, sich derjenigen der deutschen Großmächte zu fügen, welche die meiste Aussicht auf Frankreichs Beistand hat, und den letztem direct zu suchen, wenn die Umstände es räthlich erscheinen lassen.

    Nicht minder legt England Werth auf die Fortdauer der guten Beziehungen zu Frankreich, und die etwas mürrisch gewordne Ehe der beiden Westmächte wird wohl so hastig nicht geschieden werden. Der Bruch zwischen ihnen ist für beide das Kostspieligste und Gefährlichste, was ihnen passiren kann; der Krieg hat die französische Flotte groß gezogen, und im etwaigen Kampfe mit ihr muß England darauf gefaßt sein, zugleich gegen Amerika und Rußland seine Kräfte zu zersplittern. Auch der dermalige Zustand der englischen Landmacht empfiehlt die Erhaltung des westlichen Bündnisses, und der Verdruß über den „französischen Frieden“ und was daran hängt, wird sich einstweilen wohl nicht einmal in Neckereien gegen Frankreich Luft machen. Ebenso dürfte Louis Nap[oleon] vor der Hand durch den Zustand seiner Finanzen und durch die Besorgniß vor Verlegenheiten im Innern in Schach gehalten sein. Sollte er einen Bruch mit England voraussehn, so wird er ohne Zweifel vorher thun, was er kann, um das französische Nationalgefühl gegen das perfide Albion wieder so zu montiren, daß englische Versuche, Unruhen zu erregen, an ihm abgleiten, wie Wasser von der Ente.

    Es ist kaum anzunehmen, daß Louis N[apoleon] den Krieg jemals um des Krieges willen suchen wird und daß ihn der Ehrgeiz des Eroberers stimulirt; es läßt sich erwarten, daß er den Frieden vorzieht, so lange er ihn mit der Stimmung der Armee, und also mit der eignen Sicherheit, verträglich findet. Für den Fall, daß er hiernach des Krieges bedürfen sollte, denke ich mir, daß er sich eine Frage offen hält, welche jederzeit eine nicht allzu muthwillige und ungerechte Veranlassung zu Händeln liefern kann. Hierzu eignet sich die italiänische Frage jetzt vorzugsweise. Die Krankheit der dortigen Zustände, der Ehrgeiz Sardiniens, die buonapartischen und muratistischen Reminiscenzen, die corsische Landsmannschaft bieten dem „ältesten Sohn der römischen Kirche“ vielseitige Anknüpfungspuncte, der Haß gegen die Fürsten und die Östreicher ebnet ihm die Wege, während er in Deutschland von unsrer räuberischen und feigen Demokratie gar keinen und von den Fürsten erst dann Beistand zu erwarten hätte, wenn er ohnehin der Stärkere wäre.

    Wenn der Krieg selbst nun auch wohl nicht in so naher Aussicht steht, wie trübe Propheten behaupten, so werden sich doch wahrscheinlich neue politische Gruppirungen bilden, deren Bedeutung und Einfluß schließlich auf dem Hintergedanken der Möglichkeit eines Krieges unter einer bestimmten Constellation von Bündnissen beruht. Eine nähere Verbindung Frankreichs mit Rußland in diesem Sinne ist gegenwärtig zu natürlich, als daß man sie nicht erwarten sollte; es sind diese beiden diejenigen unter den Großmächten, welche nach ihrer geographischen Lage und ihren politischen Zielen die wenigsten Elemente der Gegnerschaft in sich tragen, da sie so gut wie keine nothwendig collidirende Interessen haben. Bisher hat die Festigkeit der heiligen Allianz und die Abneigung des Kaisers Nikolaus gegen die Orleans beide in der Entfremdung von einander erhalten; aber der jetzt beendete Krieg sogar wurde ohne Haß geführt und diente mehr den innern als den auswärtigen Bedürfnissen Frankreichs. Nachdem die Orleans beseitigt, der Kaiser Nikolaus todt und die heilige Allianz von Oestreich gesprengt ist, sehe ich nichts, was den natürlichen Zug jener beiden Staaten zu einander hemmen sollte, und die Liebenswürdigkeiten, welche sie mit einander austauschen, sind mehr ein Beweis der vorhandenen Sympathie, als ein Mittel, dieselbe zu erwecken.

    Zur Zeit des Fürsten Schwarzenberg war viel von dem Plane die Rede, Östreich mit Rußland und Frankreich gegen Preußen und England zu verbinden. Bei der gegenwärtigen Stimmung der Russen gegen Östreich, und bei den gesteigerten Ansprüchen Frankreichs auf Einfluß in Italien, läßt sich nicht annehmen, daß Östreich von Hause aus berufen sein werde, als Dritter im Bunde zu figuriren, obschon es ihm an dem guten Willen dazu nicht fehlen dürfte. Ostreich wird vielmehr die Gefahren, welche aus dem Zusammenhalten Rußlands und Frankreichs für das übrige Europa entstehn können, zu theilen haben, und muß sie durch rechtzeitige Opfer abwenden, indem es etwa Concessionen in Italien gegen Vortheile in Deutschland macht, oder es muß sich durch Bündnisse zur Abwehr stärken. Ich glaube, daß es den erstem Ausweg vorzieht, indem es vielleicht gleichzeitig Rußlands Vertrauen durch einen Personal-Wechsel im Ministerium wieder zu gewinnen sucht. Von unserm und englischem Beistande wird Östreich sich nur im äußersten Nothfalle abhängig machen wollen. Wenn es sich auch bestreben sollte, uns durch neue Verträge für seine auswärtigen Besitzungen einstehn zu lassen, so glaube ich doch nicht, daß es von solchem Vertrage einen andern Gebrauch machen würde, als ihn auf dem Felde der Diplomatie, so gut und so lange als es geht, zum eignen Vortheil und zu unserm Nachtheil figuriren zu lassen.

    Wenn ich auch annehmen wollte, daß der Hochmuth und der Haß dem Wiener Cabinet gestatteten, um den Beistand Englands zu bitten und die Kaiserlichen Erblande durch Preußen geschützt zu sehn, so ist es doch m. E. zu vorsichtig, um, selbst im Bündniß mit uns und England, den Kampf gegen Frankreich und Rußland ernstlich aufzunehmen, wenn es sich irgendwie per fas et nefas vermeiden läßt. Es wird die Partie der Germanen für zu schwach halten, um mit ihr zu gehn, und wie mir scheint, nicht mit Unrecht. Wenn sich erwarten ließe, daß in einem derartigen Kriege Preußen, Östreich, der Deutsche Bund und England ihre vollen Kräfte ehrlich, innig und vertrauensvoll Zusammenwirken ließen, so wäre es Feigheit, am Siege zu zweifeln. So aber stehn die Sachen nicht. Ich will annehmen, daß England entschlossen zu uns steht und daß es ihm, trotz der französischen, russischen und etwa der amerikanischen, vielleicht auch der dänischen und holländischen Flotten gelingt, sich einer Invasion zu erwehren, die See siegreich zu behaupten, die Nord- und Ostseeküsten vor den uns feindlichen Flotten zu schützen, auch gelegentlich mit 10 oder 20 000 Mann die französischen Küsten zu harassiren. Es würde das meine Erwartungen übertreffen.

    Aber der Continentalkrieg gegen die Landheere Frankreichs und Rußlands würde der Hauptsache nach auf den Schultern Deutschlands ruhn. Die 4 letzten Armeecorps des Bundesheeres haben an sich nicht die Kriegstüchtigkeit der Armee einer Großmacht, und wieviel davon auf unsrer Seite stehn würde, das könnte nur der Erfolg lehren. Auf der Basis von Rußland, Östreich und Preußen würde der Bund so ziemlich zusammenhalten, weil er an den schließlichen Sieg der erstem, mit oder ohne Mittelstaaten, glaubte; in einem so fraglichen Falle aber, wie ein Krieg nach Osten und Westen zugleich, würden die Fürsten, au fur et à mesure daß sie nicht in der Gewalt unsrer Bajonette wären, sich durch Neutralitätsverträge sichern, wenn sie nicht gegen uns im Felde erscheinen. Ich kann versichern, daß kaum unter meinen Collegen jemand ist, der für den Fall einer ernsten Gefahr, wie sie in dem Bündniß Frankreichs mit Rußland oder mit Östreich läge, den Bundesverträgen irgend welchen Werth beilegt.

    Von den dirigirenden Ministern von Baiern, Würtemberg, Baden, Darmstadt, Nassau habe ich es im vorigen Jahre zur vollsten Evidenz erfahren können, daß sie es für ihre ehrliche Pflicht halten, den Bund aufzugeben, wenn das Interesse oder gar die Sicherheit des eignen Fürsten und Landes durch Festhalten am Bunde gefährdet wäre. Manche der Fürsten mögen den besten Willen haben; aber von welchen läßt sich wohl erwarten, daß sie, gegen den Rath ihrer Minister, gegen die Bitten ihrer Unterthanen, ihr Land den Drangsalen des Krieges preisgeben und ihre Schlösser bis zur Wiedereroberung mit dem Aufenthalt im preuß.-östr. Lager vertauschen! Sie werden sich leicht überzeugen, daß die Pflichten gegen ihre Unterthanen höher stehn, als die gegen den Bund, daß so mächtige Herrn, wie die Kaiser von Rußland und Frankreich, sie schließlich nicht fallen lassen werden und daß im allerschlimmsten Falle Östreich und Preußen sich gegenseitig nichts gönnen und weder Baiern im Rieder Vertrag [zwischen Österreich und Bayern], noch die Rheinbundstaaten überhaupt 1813 und 14 zu kurzkamen.

    Der Rheinbund hatte seine Lasten, aber die für einen Fürsten besonders verdrießliche constitutionelle Unbequemlichkeit war wenigstens nicht darunter, und jeder beglückte seine Unterthanen in seiner Weise, wenn er nur die nöthigen Truppen an Frankreich lieferte. Diese Dienstbarkeit hatte ihre schätzbaren Fleischtöpfe und war für die Fürsten nicht so beschwerlich, daß sie, um sich ihr zu entziehn, Land und Leute hätten aufs Spiel setzen und wie jener Kaiser in Bürgers Gedicht, „in Flitz’ und in Kälte, im Kriegesgezelte, bei Schwarzbrot und Wurst, bei Hunger und Durst“, um ihre und Deutschlands Freiheit hätten werben sollen. Daß die Nachfolger der Rheinbundfürsten eine wesentlich andre Gesinnung nicht belebt, davon habe ich, in aller Devotion vor den Mitgliedern des Durchlauchtigsten Bundes, für meine Person mich in den letzten Jahren hinreichend überzeugen können, und nicht bloß die Furcht vor dem Verlust der gewohnten fürstlichen Existenz, nicht bloß die Leidenscheu, auch der saevus habendi cupido manches ziemlich kleinen Herrn wird am Tage der Prüfung den Bund zu Fall bringen.

    Mit einer Million Soldaten der heiligen Allianz im Rücken mag der Bund haltbar genug aussehn; wie die Sachen jetzt liegen, besteht er aber nach meiner pflichtmäßigen Überzeugung eine wirkliche Gefahr von außen nicht. Es bedarf, um das Ausland darüber aufzuklären, gar keiner Reisen von Pfordten und Beust nach Paris und keiner Minister wie Dalwigk; es bedarf auch keiner besondern Verführung, die Ratten aus dem Hause zu locken, wenn es den Einsturz droht. Die fremden Gesandten hier hören es mit sarkastischer Höflichkeit an, wenn gelegentlich von „Bundeskrieg“ im großen Style gesprochen wird, und wir Bundestagsgesandte bedürfen der Ernsthaftigkeit der römischen Augurn von guter Schule, um unsre Bundeskriegsverfassung mit gehöriger Gründlichkeit zu revidiren. Es wäre vielleicht früher auch nicht anders gewesen, wenn die heilige Allianz früher zerfallen wäre; daß aber jetzt die innre Morschheit des Bundes so zur Anschauung und zum Bewußtsein bei Aus- und Inland gekommen ist, das danken wir insbesondre dem Verhalten Östreichs in den beiden letzten Jahren, wie es im Dezembervertrage und in der Note vom 14. Januar seinen Culminationspunkt fand.

    Der Bund könnte sich auch ohne Verfassungsbruch aus einem Kriege seiner Großmächte frei halten, wenn 1/3 des Plenum (etwa Frankfurt, Nassau, Luxemburg, Holstein, Gr. Hessen, Baden, Würtemberg, Baiern) der Kriegserklärung nicht zustimmten. Aber das wagen sie nicht; sie votiren lieber, und lassen uns dann nach Bedürfniß sitzen. Können wir nun nöthigenfalls im Bunde mit Östreich uns gegen Osten und Westen wehren, wenn dem letztern Sardinien, wahrscheinlich die belgische Armee und ein Theil des deutschen Bundes zutritt? Wenn alles wäre, wie es sein sollte, so würde ich daran nicht verzweifeln.

    Aber der Kaiser Franz Joseph ist nicht in demselben Maße Herr seines Landes und seiner Unterthanen, wie unser allergnädigster Herr. Östreich ist in der Offensive nicht zu verachten; es mag mehr als 200 000 Mann guter Truppen außer Landes verwenden können und noch genug zu Hause behalten, um seine Italiäner, Magyaren und Serben nicht aus dem Auge zu lassen. Auf der Defensive aber im eignen Lande von Osten und Westen angegriffen, halte ich das heutige Östreich für sehr schwach, und leicht kann auf den ersten glücklichen Stoß des Gegners ins Innre das ganze künstliche Bauwerk seines centralisirten Schreiberregiments wie ein Kartenhaus zusammenfallen. Aber wenn ich auch von dieser Gefahr absehe, so liegt die größere darin, daß die Seele eines preuß.-östr. Bündnisses, auch in der größten gemeinsamen Gefahr, das Gegentheil von alle dem sein würde, was ein Bündniß fest macht. Gegenseitiges politisches Mißtrauen, militärische und politische Eifersucht, der Argwohn des Einen, daß der Andre in Separatverträgen mit dem Gegner bei gutem Glück die Vergrößerung des Bundesgenossen zu hindern, bei schlechtem sein eignes Heil zu sichern suchen werde; das alles würde zwischen uns jetzt stärker und lähmender sein, als in irgend einem schlecht assortirten Bündniß der Vergangenheit. Kein General würde dem andern den Sieg gönnen, bis es zu spät wäre.

    Wir haben in unsrer Geschichte die Verträge von Vossem [1673] und St. Germain [1679], die Erinnerung an unser Schicksal auf dem Wiener Congreß, welche uns berechtigen, gegen die Erfolge östreichischer Bundesgenossenschaft mißtrauisch zu sein, und die Politik der beiden letzten Jahre beweist uns, daß die perfiden Practiken in Wien nicht aus der Übung gekommen sind. Vielleicht würde man uns Garantien durch einen Personalwechsel geben wollen, nachdem Buol ohnehin Glauben und Vertrauen bei allen Cabineten eingebüßt hat; aber die traditionelle Politik Östreichs und seine Eifersucht gegen uns würde damit nicht beseitigt sein, und ich könnte dem alten Fuchs im neuen Pelz ebensowenig trauen, wie bisher im räudigen Sommerhaar. Nach der Wiener Politik ist einmal Deutschland zu eng für uns beide; so lange ein ehrliches Arrangement über den Einfluß eines jeden in Deutschland nicht getroffen und ausgeführt ist, pflügen wir beide denselben streitigen Acker, und so lange bleibt Östreich der einzige Staat, an den wir nachhaltig verlieren und von dem wir nachhaltig gewinnen können.

    Durch das Concordat und was daran hängt, ist diese historisch nothwendige Reibung neu geschärft und die Verständigung neu erschwert. Wir haben auch ohne das aber eine große Zahl streitender Interessen, die keiner von uns aufgeben kann, ohne auf die Mission, an die er für sich glaubt, zu verzichten, und die durch diplomatische Correspondenz im Frieden nicht entwirrt werden können. Selbst der schwerste Druck von außen, die dringendste Gefahr der Existenz beider, vermochte 1813 und 49 dies Eisen nicht zu schmieden. Der deutsche Dualismus hat seit 1000 Jahren gelegentlich, seit Carl V. in jedem Jahrhundert, regelmäßig durch einen gründlichen innern Krieg seine gegenseitigen Beziehungen regulirt, und auch in diesem Jahrhundert wird kein andres als dieses Mittel die Uhr der Entwicklung auf ihre richtige Stunde stellen können.

    Ich beabsichtige mit diesem Raisonnement keineswegs zu dem Schlusse zu gelangen, daß wir jetzt unsre Politik darauf richten sollten, die Entscheidung zwischen uns und Östreich unter möglichst günstigen Umständen herbeizuführen. Ich will nur meine Überzeugung aussprechen, daß wir in nicht zu langer Zeit für unsre Existenz gegen Östreich werden fechten müssen, und daß es nicht in unsrer Macht liegt, dem vorzubeugen, weil der Gang der Dinge in Deutschland keinen andern Ausweg hat. Ist dieß richtig, was allerdings mehr Frage des Glaubens als des Beweisens bleibt, so ist es auch für Preußen nicht möglich, die Selbstverläugnung so weit zu treiben, daß wir die eigne Existenz einsetzen, um die Integrität von Östreich zu schützen, und zwar in einem, m. E. hoffnungslosen Kampfe. Unter den Schwächen, mit welchen unsre Seite in diesem Kampfe behaftet sein würde, habe ich obenein derjenigen nicht erwähnt, welche in den eignen Verhältnissen Englands liegen. Seit der Reformbill hat die erbliche Weisheit der frühern Tage noch nicht wieder die Leidenschaften eines ungeordneten Parteigetriebes lichten können, und wo Zeitungsartikel mehr zu bedeuten haben, als staatsmännische Erwägungen, da ist es mir nicht möglich, Vertrauen zu gewinnen. Die insularische Sicherheit macht es England leicht, einen continentalen Bundesgenossen je nach dem Bedürfniß der brittischen Politik fallen oder sitzen zu lassen, und ein Ministerwechsel reicht zur Bewirkung und Rechtfertigung des Revirements hin, wie Preußen das im siebenjährigen Kriege erlebt hat. Die gegenseitige Abneigung und die gleichmäßige Arroganz Ostreichs und Englands, der politische und religiöse Gegensatz würden ein Bündniß beider vielfach lockern und lahm legen.

    Und wenn wir wirklich gegen ein französisch-russisches Bündniß siegreich blieben, wofür hätten wir schließlich gekämpft? Für die Erhaltung des östreichischen Übergewichts in Deutschland und der erbärmlichen Verfassung des Bundes; dafür können wir doch unmöglich unsre letzte Kraft ein- und unsre Existenz aufs Spiel setzen. Wollten wir aber in dieser Beziehung Änderungen zu unsern Gunsten in Gemeinschaft mit Östreich durchsetzen, so würde es uns gehen wie 1815, und Östreich würde seine Verträge von Ried und Fuld[a] [zwischen Österreich und Württemberg] zur rechten Zeit abgeschlossen haben und am Ende vom Liede sich durch Verträge mit dem Gegner in die Lage bringen, uns wie damals den Kampfpreis nach Belieben zuzumessen. Jede Perfidie wird es jetzt wie früher ausüben, um Preußen nicht zu einer höhern Geltung in Deutschland gelangen zu lassen und uns unter dem Drucke unsrer dermaligen geographischen Lage und einer ungünstigen Bundesverfassung zu erhalten.

    Wenn ich hier Eventualitäten und Phantasiebilder ausmale, welche sich vielleicht niemals realisiren, so will ich damit vorzugsweise nur meine Behauptung rechtfertigen, daß Östreich selbst die Chancen eines Deutsch-preuß.-Englischen Bündnisses gegen Rußland und Frankreich nicht acceptiren wird, weil sie zu unsicher, zu schwach sind. Wenn es also wahr ist, was man hier erzählt, daß Östreich schon in München Garantieverträge wegen Italien angeregt habe, daß es bei uns Ähnliches beabsichtige, daß Graf Buol zu diesem Zwecke Hanover und Dresden besucht habe, so glaube ich nicht, daß dem der Gedanke zu Grunde liegt, Deutschland fest um sich zu schaaren und dann einer Welt in Waffen zu trotzen; sondern das Wiener Cabinet wird unsre und andre etwaige Zusicherungen lediglich diplomatisch ausbeuten, um sich mit Frankreich und, wenn es sein kann, mit Rußland beßre Bedingungen einer Verständigung auf unsre Kosten zu verschaffen. Es wird den Don Juan bei allen Cabineten spielen, wenn es einen so stämmigen Leporello wie Preußen produciren kann, und getreu dieser Rolle wird es stets bereit sein, sich auf unsre Kosten aus der Klemme zu ziehn und uns darin zu lassen. Bleibt Frieden, so wird es uns, aus Dankbarkeit für unsre bundesfreundliche Gesinnung, im Punkte der Solidarität der deutschen Interessen beim Worte zu halten suchen, um uns den Zollverein aus der Hand zu winden. Wird Krieg, so wird es sich durch alle in seiner Tasche befindlichen Garantie-Verträge nicht abhalten lassen, sich mit ebensoviel Geschmeidigkeit als Unverschämtheit auf der Seite anzudrängen, wo es die beste Aussicht auf Vortheil hat und namentlich auf Herrschaft in Deutschland, deren es bei seiner dermaligen germanisirenden Centralisation mehr als früher bedarf.

    Ich bin überzeugt, daß jene Gerüchte von Garantie-Verträgen ihren Ursprung nur in etwaigem guten Willen Östreichs haben. Letztres kann selbst nicht glauben, daß wir oder Baiern uns zu einem so durchaus einseitigen Geschäfte in einem Augenblick hergeben werden, wo die Situation noch völlig unklar, keine Gefahr indicirt, keine Gruppirung gebildet ist. Wir würden ja damit nichts erreichen, als, gebunden an einen so unberechenbaren und übelwollenden Passagier wie Östreich, in das unbekannte Land der Zukunft hinein zu reisen. Im Jahre 1851, besonders zu Anfang, lagen die Gefahren eines Debordirens der Revolution aus Frankreich und Italien noch näher, und es war eine Solidarität der Monarchien gegen diese Gefahr vorhanden, welche unsern Mai-Vertrag ganz natürlich herbeiführte; eine ähnliche Situation würde erst wieder da sein, wenn das französische Kaiserthum gestürzt wäre. So lange es steht, handelt es sich nicht um Abwehr der Demokraten, sondern um Cabinets-Politik, bei der die Intressen Östreichs eben nicht mit den unsrigen zusammenfallen.

    Ein ähnlicher Vertrag, zum Schutz Italiens jetzt abgeschlossen, würde nur den Effect einer vorzeitigen Provocation Frankreichs und einer Abkühlung Rußlands gegen uns haben. Das läge ganz in Östreichs Interesse, und man würde in Wien schon dafür sorgen, daß die Thatsache in Petersburg und Paris nicht unbekannt bliebe; die Schuld der Indiscretion würde dann obenein auf uns geschoben. In allem aber, was Östreich ohne uns zu thun die Lust und die Fähigkeit hat, würde es sich durch den besten Garantie-Vertrag Preußens und Deutschlands nicht irre machen lassen. Hat es doch den Aprilvertrag von 54 zu nichts Anderm benutzt, als um ihn in seinem Interesse moussiren zu lassen, uns schlecht zu behandeln und eine ebenso doppelzüngige als unweise Politik zu betreiben; den Dezembervertrag aber heimlich abzuschließen und es mit jedem Andern je nach eignem Vortheil zu halten, hat es sich durch unsre Garantien nicht hindern lassen. Wäre der Calcül des Grafen Buol nicht an dem Thronwechsel in Rußland und der in Wien offenbar unerwarteten Nachgiebigkeit des Kaisers Alexander gescheitert, so hätten wir Östreichs Dank gegen uns für den April-Vertrag wohl noch anders kennen gelernt, als in dem heimlichen Widerstande gegen unsre Zuziehung zu den Conferenzen.

    Meines g. Dafürhaltens ist unsre Lage, als die eines gesuchten Bundesgenossen, eine günstige, so lange neue politische Gruppirungen sich noch nicht zu scharf zeichnen, so lange ihre Thätigkeit eine diplomatische bleibt, und ein gutes Vernehmen mit den Einen nicht den Bruch mit den Andern involvirt. Käme es aber zur Verwirklichung einer russisch-französischen Allianz mit kriegerischen Zwecken, so können wir meiner Überzeugung nach nicht unter den Gegnern derselben sein, weil wir da wahrscheinlich unterliegen, vielleicht, pour les beaux yeux de l’Autriche et de la Diète, uns siegend verbluten würden.

    Um uns jede Chance offen zu erhalten, scheint für den Augenblick ja nichts erforderlich, als vielleicht etwas mehr kostenlose Freundlichkeit gegen Louis Napoleon und Ablehnung jedes Versuches, uns gratuitement und vor der Zeit an das Schlepptau eines Andern zu fesseln. Bei der Ratification des Friedens wird ohne Zweifel ein Ordens-Austausch der Souveräne stattfinden, und es würde für uns wohl nicht von practischem Nutzen sein, wenn wir uns von dieser wohlwollenden Demonstration Paris gegenüber ausschlössen, oder uns erheblich später als Andre dazu herbeiließen. Es ist gewiß, daß Louis Napoleon an seinem neuen Hofe und nach seinen persönlichen Dispositionen das Eingehn oder Ausbleiben dieses Freundschaftsbeweises höher anschlägt, als die Träger alter Kronen pflegen.

    Verzeihn E. E. daß ich soviel Conjectural-Politik über Kriege und Bündnisse mache, die noch in das Gebiet der Träume gehören; aber ich muß die Eventualitäten in das Gebiet meiner Betrachtung ziehn, um meine g. Ansicht von der Gegenwart zu motiviren. E. E. werden es vielleicht als ein Glück ansehn, daß der Postschluß mich nöthigt, diesen unbescheiden langen Brief hier abzubrechen, obschon mich noch ein residuum meiner Betrachtungen über die unerschöpfliche Frage kitzelt, Ihre Geduld noch ferner in Anspruch zu nehmen. So aber will ich nur hinzufügen, daß Rechberg noch immer nicht aufstehn kann, in Folge eines Schlages, welchen er von dem Pferde unsres französischen Collegen erhielt, als er vorigen Mittwoch mit diesem und mir ausritt. Wenn er abergläubisch ist, so kann er ein politisches Augurium darin sehn. Mit unbegränzter Verehrung verharre ich ...