Brief an Leopold von Gerlach, Frankfurt, 15. September 1855


    Verehrtester Freund,

    Ihr Schreiben vom 8. ist mir zugegangen; ich war eher nach Hause gekommen, als ich ursprünglich beabsichtigte, weil unbestimmte Gerüchte nach Paris gelangten, daß Se. Majestät der König schon in den ersten Tagen dieses Monats, und spätestens am 5., in hiesiger Gegend eintreffen würden. Außerdem befällt mich stets das Heimweh, wenn die Blätter gelb werden, und das waren sie in Paris schon. Auf das Seebad habe ich verzichtet; ich war elend aus Mangel an Bewegung bei zu gutem Leben; die Strapazen des Touristen, verbunden mit absoluter Trägheit des Geistes, haben mich hergestellt.

    Sie schelten mich, daß ich in Babylon gewesen bin, aber Sie können von einem lernbegierigen Diplomaten diese politische Keuschheit nicht verlangen, die einem Soldaten, wie Lützow, oder einem unabhängigen Landjunker so wohl ansteht; ich muß m. E. die Elemente, in denen ich mich zu bewegen habe, aus eigner Anschauung kennen lernen, soviel sich mir dazu Gelegenheit bietet. Fürchten Sie dabei nicht für meine politische Gesundheit; ich habe viel von der Natur der Ente, der das Wasser von den Federn abläuft, und es ist bei mir ein ziemlich weiter Weg von der äußern Haut bis zum Herzen.

    Ich habe an Vorliebe für den Bonapartismus nichts gewonnen; im Gegentheil, mir fiel es wie eine Last von der Brust, als ich die Gränze wieder hinter mir hatte; ich hätte den ersten schwarz-weißen Pfahl umarmen können, und sogar für zwei Pfälzische Fabrikanten, die mit mir im Wagen saßen, hatte ich eine Anwandlung landsmannschaftlicher Gefühle.

    Es ist wahr, wenn ich an meinem letzten Besuch in Paris, unter Louis Philipp, denke, so finde ich die Pariser wunderbar fortgeschritten in der Disciplin und dem äußern Anstande. Der einzige Mensch, der mit Selbstbewußtsein über die Straße geht, ist der Soldat, vom General bis zum Trainknecht, und wer garnichts von der neusten Geschichte wüßte, würde doch aus einem Vergleich der Physiognomie des Straßenlebens entnehmen können, daß die Herrschaft von der July-Bourgeoisie auf die Armee übergegangen ist. Die Beleuchtung ist glänzend, aber doch sieht man noch mehr Polizisten, als Laternen; es giebt keinen Winkel in allen Straßen, wo man nicht sicher wäre, in irgend einer Richtung wenigstens, dem beobachtenden Blicke eines uniformirten agent de police, gendarmes, municipal, und wie sie alle heißen, zu begegnen; man kann nicht still stehn, ohne neben sich zu hören: circulez, s’il vous plaît. Ich würde mich garnicht gewundert haben, beim Aufwachen des Morgens in ein Gesicht mit 3 Bärten und schiefem Hut zu blicken, welches mir der gelangweilten Höflichkeit eines Gefängnißschließers sagte: Pissez, s’il vous plaît, changez de chemise s. v. pl. Man hört auf, nach eignem Willen zu niesen oder zu schnauben, wenn man den Fuß in diese Tretmühle gesetzt hat. Der Franzose sagt: c’est précisément ce qu’il nous faut; le despotisme est la seule forme de gouvernement compatible avec l’esprit français. Das mag richtig sein, ist aber eine scharfe Selbst-Kritik.

    Merkwürdig war die Gleichgültigkeit gegen den Krieg und die Nachrichten aus der Krim. Die Aufnahme der Königin von England im Publikum war unzweifelhaft kalt; man sah das an, wie man eine Menagerie oder eine Parade sieht, machte seine Witze, und der Enthusiasmus war allein auf Seiten der Engländer. Ich habe keinen Franzosen gesprochen, der nicht den Frieden gewünscht hätte; am lautesten die Militärs. So lange Louis Napoleon [Napoleon III.] lebt, glaube ich übrigens, daß er fest sitzt. Er hat in der Garde und in der zahllosen Gendarmerie zu viele gut bezahlte Leute, welche wünschen, daß alles so bleibe, wie es jetzt ist, und zahlreich genug sind, um Paris im Zaum zu halten. Geld ist alles in Paris, und Montmorency oder ein Marschall ein Hund neben Rothschild, Fould und Pereyre.

    Hatzfeldt kränkelt noch unter dem Aerger, den ihm die Olbergsche Geschichte gemacht hat; außerdem ist er gereizt gegen Manteuffel, weil der ihm den Rosenberg als Secretär gegeben hat. Ich habe H[atzfeldt] sehr zugeredet, F[fra] D[iavolo] gegen die Angriffe zu Hülfe zu kommen, wozu er, wie er selbst sagt, sehr gutes Material hätte. H[atfeldt] mischt sich aber nicht hinein, wenn er nicht dazu aufgefordert wird. Ich habe das F[ra] D[iavolo] geschrieben. Olberg passirt in Paris komischer Weise für einen Russischen Agenten, und zwar in dem Maße, daß man ihn hat ausweisen wollen Er soll die komischen Streiche gemacht haben, in Verkleidungen und blonden Perrücken die Volksstimmung erforscht und dabei auf das lächerlichste von der Polizei genasführt worden sein, als Fuchs in Holzschuhen. Hatzfeldt gefällt mir übrigens besser, wenn man ihn näher kennt; er ist ehrlich, und das ist viel; seine Stellung bietet ihm vorzügliche Quellen, die er noch nutzbarer machen würde, wenn er nicht disgustirt wäre.

    Der langweilige Kerl, der Reitzenstein, verläßt mich eben, nachdem er mir zwei Stunden mit seiner weitschweifigen Wichtigkeit todtgeschlagen hat.

    Wenn Rechberg wieder herkommt, so bietet sich bessere Aussicht für Hamburg; soll es aber zu einer Bundescommission kommen, so müssen die Ober-Alten sich noch mehr rühren und mit positiven Anträgen an den Bund kommen. Bis jetzt haben sie bloß gebeten, daß wir uns die Verhandlungen vorlegen lassen. Hübbes Anträge allein wuchten nicht, es muß eine von den Corporationen mit auf die Bresche.

    Das Hanöversche Ministerium, fürchte ich, wird auch wieder furchtsam; sie gehen damit um, Münchhausen anzustellen; ein Symptom der Feigheit.

    Heut kommt die Kronprinzessin von Würtemberg her und hat mir schreiben lassen, daß sie mich zu sehen wünsche, ich bin neugierig, weshalb; vielleicht wollen die auch ihren Kammern zu Leibe gehen, die allerdings etwas anachronistischer Färbung sind.

    Se. Majestät wird nun, wie ich heut aus der Reiseroute sehe, nicht hier, sondern in Speier Nachtquartier nehmen. Wir hatten uns hier schon auf die Ehre vorbereitet, gebohnt, gewaschen, gestaubt. Ich werde mich in Guntershausen am 20. melden, obschon es in dem Schreiben heißt, daß aller Empfang und Begleitung untersagt sind. Ich weiß nicht, wohin ich Ihnen addressiren soll; am Besten doch wohl nach dem Wilhelmsplatz.

    Ich wollte mit Frau und Kind noch einige Tage am Rhein leben; in Folge der Reise des Königs habe ich es aufgegeben; hätte ich gewußt, daß er nur durchreist, so wäre ich doch nach Rolandseck gegangen; es stinkt hier so in dieser Jahreszeit. In Stolzenfels wage ich mich doch nicht einzufinden, wenn Se. Majestät es nicht befiehlt; es ist wenig Platz da.

    Den Meinigen geht es wohl, und ich leide für jetzt nur am Reitzenstein! Herzliche Grüße von meiner Frau und von mir an Ihre Damen.

    In alter Treue.

    Die Anlage ist ein hier seit Kurzem erscheinendes ultramontanes und Oestreichisches Blatt.