Brief an Leopold von Gerlach, Frankfurt, 9. April 1854


    Verehrtester Freund,

    einige Briefe, die ich aus den ministeriellen Regionen erhalte, beunruhigen mich aufs Aeußerste; ich muß danach annehmen, daß wir uns von Oestreich bereden lassen, mit ihm zusammen die Erstlinge eines neuen Rheinbundes zu werden, indem wir uns, aus Feigheit, zur Action gegen Rußland fortreißen lassen. Bei meiner Abreise lag die Politik so, daß wir Oestreich durch enges Bündniß mit ihm halten und calmiren konnten und dabei ganz Deutschland neben uns hatten. Lassen wir aber dieses Bündniß von Wien aus dazu benutzen, daß wir zum Schrecken aller übrigen Bundesregirungen von [der] Bankruttirer- und Aventürier-Politik des Ministers Bach fortgerissen werden, so sehe ich nicht ein, welchen Zweck unsre verschwenderische Passion für Oestreich haben kann; ich sehe dann in diesem Schutz- und Trutzbündniß nur das Resultat einer Furchtsamkeit, deren ich mich als Preuße schäme, sobald wir nicht durch dasselbe der Oestreichischen Rheinbundpolitik Zaum und Zügel anlegen.

    Kein Mensch glaubt hier auch nur einen Augenblick daran, daß Oestreich sich ohne uns den Westmächten anschließen werde; wenn ich Befürchtungen darüber äußere, so erblickt man darin nur eine Beschönigung unsrer eignen Lust, mit Frankreich zu gehn. Haben wir uns wirklich zu einer derartigen Politik von Oestreich bereden lassen, so haben wir wieder einmal das Vertrauen der Deutschen Regirungen in uns ruinirt, die hofften, daß wir die Courage haben würden, Oestreich in bessern Wegen zu erhalten; daß wir es können, bezweifelt niemand. Eine feige Politik hat noch immer Unglück gebracht; daß wir unsre Kraft wie ein guthmütiger Narr dem Egoismus Oestreichs hingeben, um uns schließlich von ihm bemogeln zu lassen, ist noch das Wenigste; brechen wir aber wirklich auf dem Wege dieser Bedienten-Politik, Fremden zu Liebe, mit Rußland, so kostet es den Franzosen ein Wort der Annäherung an Rußland, und die sämmtlichen Deutschen Regirungen fallen ihnen zu, wir und Oestreich aber sind die dupes in der Falle, und England zuckt die Achseln.

    Die Leichtigkeit, die Frankreich, vermöge seiner geographischen Lage und seiner Interessen, hat, sich mit Rußland zu verständigen, macht den Louis Nap[oleon] zum Herrn der Situation, sobald unser erster Schuß gegen Rußland gefallen ist. Dabei würde die Wendung gegen England bei den Franzosen begeistert populär sein. Das Alles scheint mir so mathematisch klar, daß ich garnicht begreife, wie wir uns verblenden lassen können, aus Furcht vor dem Tode Selbstmord zu treiben, denn das ist es, was wir thun. In Oestreich ist die ganze Angelegenheit ebenso gut ein Spiel der innern Parteien, wie bei uns. Bach, die Ministerial-Juden, Hübner, der ganze Oestreichische Bonapartismus, fürchten den Sieg der Alt-Conservativen, wenn es ihnen nicht gelingt, den Kaiser zum Bruch mit Rußland zu bringen, und der Kaiser wird mit seiner Abneigung gegen die Alt-Conservativen gekirrt, den Juden zu folgen. Prokesch muß ich die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er die antirussische Kriegspartei in Wien für die Verderber Oestreichs hält. Ich dachte, wir würden Oestreich vor der Pression Frankreichs sicher stellen, ihm Garantien von Rußland schaffen und es dadurch ruhig erhalten; dafür hätten uns alle Deutschen Regirungen die Hände geküßt. Statt dessen lassen wir uns selbst fortreißen. Ich hoffe, es ist nicht wahr; wäre es doch, so muß ich sagen, daß wir nicht im Stande sind, auf der mäßigsten Höhe zu stehn, ohne schwindlich zu werden, und ohnmächtig in die Arme des nächsten nervenstärkeren Menschen zu sinken.

    Beruhigen Sie mich baldigst mit zwei Zeilen, wenn die Lage besser ist, als sie mir vorschwebt; ist meine Besorgnis gegründet, so sehe ich schwärzer als am 22. März 48, wo mir doch die Möglichkeit, zu sagen: „Besen, seid gewesen“ keinen Augenblick zu fehlen schien, sondern nur der Wille. Hier aber wird kein Wille mehr helfen, wenn wir einmal in der Rheinbund-Galeere drin sind.

    Der Ihrige
    v. Bismarck.

    Bonins Vatermörderei [Bonin hielt den Anschluss Preußens an Russland für ebenso unmöglich wie einen „Vatermord im alten Athen“] hat ein unangenehmes Ridicüle auf uns geworfen und wird sehr exploitirt. Man sagt hier, Bernstorff ginge nach London für Bunsen; ist’s wahr?