Brief an die Braut Johanna von Puttkamer, Schönhausen, 7. Februar 1847


    Mein Herz


    Soeben durch ein wildes Schneegestöber von einem Termin zurückgekehrt (der leider durch den Brandschaden einer armen Familie veranlaßt war) habe ich mich an Deinem lieben Brief gewärmt; im Halbdunkel erkannte ich schon Dein „Hochwohlgeboren“. Es zuckt mir in allen Gliedern, noch heut nach Berlin zu fliegen und die unaussprechliche Redensart der Poberowschen [Puttkamer-Poberow] auf die Deiche und die Gewässer anzuwenden. Das unerbittliche Thermometer zeigt 1 unter 0, dabei heulenden Wind und grobe Flocken, als wollte es bald regnen. Was ist Pflicht? vergleiche Falstaffs Redensarten über Ehre. Wenigstens will ich Dir schreiben, sollte ich mich auch in Porto ruiniren und sollten auch keine vernünftigen Gedanken durch den Brandschutt, der meine Phantasie noch beherrscht, ihren Weg finden.

    Ich habe nach Lesung Deines letzten Wortes mir nur die Cigarre angesteckt und die Tinte umgerührt. Erst wie ein Geschäftsmann zur Beantwortung Deines Briefes. Ich beginne das mit einer nach dem Actentisch schmeckenden Bitte. Daß Du nämlich in Deinem Schreiben, wenn es Dir so gefällt, ausdrücklich erwähnst, welche Briefe dem Datum nach Du von mir erhalten hast; man ist sonst in Ungewißheit über die richtige Besorgung, wie ich zweifelhaft bin, ob Du meinen ersten Brief erhalten hast, den ich auf einer Geschäftsreise am Tage meiner Ankunft hier, in Jerichow, wenn ich nicht irre, auf sehr schlechtem Papier schrieb, Freitag den 29. Januar. Daß Du des Abends nicht schreibst, das danke ich Dir recht, mein Lieb, wenn ich auch selbst darunter leiden soll; jeder künftige Blick in Dein grau-blau-schwarzes Auge mit der großen Pupille wird mich für etwaige verspätete oder verkürzte Briefe entschädigen. –

    Könnte ich doch von Dir träumen, wenn Du von mir; aber ich träume seit einiger Zeit garnicht; schauderhaft gesund und prosaisch; oder ob meine Seele nächtlich nach Reinfeld fliegt und mit der Deinen verkehrt? Dann kann sie allerdings hier nicht träumen; aber sie müßte doch am Morgen von ihrer Reise erzählen; das mürrische Ding schweigt über ihre nächtlichen Beschäftigungen, als wenn sie mitschliefe wie ein Dachs. –

    Deine Erinnrung an den Quälgeist Fritz mit der Posttasche versetzt mich recht nach Reinfeld und erweckt meine Sehnsucht noch lebhafter nach der Zeit, wo ich meine schwarze Jeannette wieder zum Gutenmorgen am Schreibtisch umarmen kann. Von dem Brief mit der fabelhaften Addresse, sichtlich von einer Damenhand, möchte ich Dir gern eine romantische Geschichte erzählen; muß aber jede Illusion mit der Erklärung zerstören, daß er von einem verbrauchten Freunde herrührt, der, wenn ich nicht irre, sich einst in Kniephof Abschrift von einer italiänischen Addresse nahm, die ich erhielt. Wieder eine Coulisse, hinter der man alle Poesie der Welt vermuthet und die matteste Prosa findet. (Ich sah einst in Aachen, auf einer Wanderung um die Bühne die Prinzessin von Eboli, nachdem ich sie soeben auf der Szene zerknirscht und ohnmächtig zu den Füßen der Königin bemitleidet hatte, hinter derselben eine Butterstulle essen und schlechte Witze machen.) Daß mich Vetter Woedtke liebt und die Versiner Wurst- und Brief-Sache in Ordnung ist, freut mich. –

    Daß ich an dem Leiden der guten Mutter den herzlichen Antheil nehme, brauche ich nicht zu betheuern; ich hoffe, Ruhe und Sommer werden heilsam auf sie wirken, und sie wird sich später in der Freude erholen, ihre Kinder glücklich zu sehn. Sie soll auch, wenn sie hier ist, keine Treppe zu steigen haben, um zu Dir zu kommen, und unmittelbar neben Dir wohnen. –

    Warum bist Du traurig, in Kleid und Herz schwarz, mein Engel? pflege das Grün der Hoffnung, das heut recht freudig in mir rauschte, als ich sein äußres Abbild sah, indem der Gärtner die ersten Frühlingsboten, Hyacinthen und Krokus, auf mein Fenster stellte; et dis-moi donc, pourquoi es-tu paresseuse? pourquoi ne fais-tu pas de musique? Ich dachte mir, Du spieltest c dur, wenn der hohle Thauwind durch die dürren Zweige der Linden heult, und d moll, wenn die Schneeflocken in fantastischem Wirbel um die Ecken des alten Thurmes jagen und nach ausgetobter Verzweiflung die Gräber mit ihrem Leichentuch decken. O wenn ich Keudell wäre, ich spielte jetzt den ganzen Tag, und Töne trügen mich über Oder, Rega, Persante, Wipper – ich weiß nicht, wohin.

    A propos de paresse, will ich mir noch eine Bitte an Dich erlauben, aber mit einem Vorwort. Wenn ich Dich um etwas bitte, so sage ich dabei (nimm es nicht für Lästerung oder Spott): Dein Wille geschehe, der Deinige nämlich, und liebe Dich nicht weniger und bin Dir nicht eine Secunde gram, wenn Du meine Bitte nicht erfüllst; ich liebe Dich, wie Du bist und wie Du zu sein für gut findest. Nachdem ich dieß aus innerster ungeschminkter Wahrheit, ohne „Heusselei und Schmeisselei“ vorausgeschickt habe, bitte ich Dich, beschäftige Dich etwas mit dem Französischen, nicht viel, aber etwas, indem Du französische Sachen liest, die Dich interessiren, und Dir mit dem dictionaire klar machst, was Dir nicht klar ist; wenn es Dich langweilt, so laß es; darum versuch es aber mit Büchern, die Dich interessiren, mag es sein, was es will, Romane oder sonst war. Ich weiß nicht, wie die Mutter über dergleichen Lectüre denkt, meiner Ansicht nach giebt es nichts, was Du, für Dich, nicht lesen könntest. Ich bitte dieß nicht um meinetwillen, denn wir wollen uns in unsrer Muttersprache schon verständigen; aber Du wirst in der Berührung mit der Welt nicht selten in Fälle kommen, wo es Dir unangenehm, selbst kränkend sein wird, wenn Dir das Französische fremd ist; ich weiß zwar nicht, in welchem Grade dieß der Fall ist, aber Lectüre ist jedenfalls ein Weg, um das, was Du hast, zu bewahren und mehr einzuprägen; gefällt es Dir, so finden wir schon Mittel, daß Dir auch das Sprechen geläufiger wird, als es, wie Du sagst, ist. Gefällt es Dir nicht, so halte Dich mit vollem Vertrauen an die Vorrede zu meiner Bitte. –

    An den armen Moritz habe ich gestern geschrieben, und bei Deiner Schilderung seiner Traurigkeit liegt mir mein Brief wie ein Stein im Gewissen; wie ein herzloser Egoist habe ich seinen Schmerz gehöhnt mit der Schilderung meiner Zufriedenheit und in 5 Seiten mit keiner Silbe seiner Trauer gedacht, nur von mir und wieder von mir gesprochen und ihn als Beichtvater benutzt; man ist ein ungeschickter Tröster, wenn man den Schmerz selbst nicht, oder nicht mehr lebhaft genug mitempfindet. Mein erster Schmerz war der leidenschaftliche, selbstsüchtige, über den Verlust, den ich erlitten; über Marie [um] ihrer selbst willen, empfinde ich ihn nicht, denn ich weiß sie gut aufgehoben, aber daß mein Mitgefühl mit dem Leiden meines wärmsten Freundes, dem ich Dank in alle Ewigkeit schulde, nicht mächtig genug ist, ein Wort des Trostes, kräftigen Trostes aus überströmendem Gefühl, hervorzutreiben, das drückt mich schwer. Weine nicht, mein Engel, laß Dein Mitgefühl stark und voll Vertrauen auf Gott sein, tröste ihn wirklich mit Frische, nicht mit Thränen und, wenn Du kannst, doppelt, für Dich und für Deinen undankbaren Freund, dessen Herz für jetzt voll von Dir ist und nicht Raum für Andres hat. Bist Du ein welkes Blatt, ein ausgewaschnes Kleid? ich will sehn, ob meine Liebe das Grün wieder heranpflegen, die Farben auffrischen kann. Frische Blätter mußt Du treiben, und die alten will ich zwischen das Buch meines Herzens legen, daß wir sie beim Lesen finden als Zeichen lieber Erinnrung. Du hast die Kohle, die unter Asche und Trümmer in mir glühte, neu angefacht, sie soll Dich in belebende Flammen hüllen. –

    Le souper est servi, der Abend ist vorbei, und ich habe nichts gethan als mit Dir geplaudert und geraucht; ist das eine schickliche Beschäftigung für den Herrn Deichhauptmann? Why not. Vor mir liegt …..‘s geheimnißvoller Brief; er schreibt aus einer an ihm neuen Tonart, giebt vor, daß er einsehe, seiner ersten Frau manches Unrecht gethan, ihre Schwachheit nicht immer richtig geführt und getragen [zu] habe[n], dem „Kinde“ keine Stütze gewesen sei, und glaubt durch diese herbe Züchtigung geläutert zu sein. Qu’est ce qu’il me chante? Hat der Brief in dem christlichen Klima von Reinfeld eine Verwandlung erlitten, oder ist er so aus der Hand dieses sonst oberflächlichen Gecken gekommen? Er behauptet übrigens mit seiner jetzigen Frau, die er 8 Tage vor der Verlobung kennen gelernt und 6 Wochen nach derselben geheiratet hat, in nie geahntem Glück zu leben, was er durch seine erste Ehe recht schätzen gelernt habe. Kennst Du die Geschichte von dem französischen Dachdecker, der herabstürzt und im Vorbeifallen beim 2. Stockwerk ausruft: Ça va bien, pourvu que ça dure! Think only, wenn wir uns am 12. October 44 [Tag der Vermählung von Moritz und Marie von Blanckenburg] verlobt und am 23. November geheirathet hätten. Welche Besorgniß für Mama. –

    Die todeselenden englischen Gedichte fechten mich jetzt nicht mehr an, das war sonst als ich kalt und starr ins Nichts blickte, Schneegestöber im Herzen. Jetzt spielt eine schwarze Katze im Sonnenschein damit wie mit einem rollenden Knäuel, und ich sehe sein Rollen gern; am Schluß will ich Dir noch einige Verse aus jener Zeit geben, von denen sich noch fragmentarische Abschriften wie ich sehe in meiner Schreibmappe erhalten haben. Du kannst mir immer gestatten, sie zu lesen, sie schaden mir nicht mehr. Thine eyes have still (and will always have) a charm for me. Die fraglichen Hochzeitspläne schreibe mir ja im nächsten Brief; ich glaube, by Jove, die Sache wird Ernst mit uns; bis der Tag bestimmt ist, scheint es mir noch immer, als hätten wir geträumt; oder bin ich wirklich 14 Tage in Reinfeld gewesen und habe Dich in meinen Armen gehalten? Ist denn Finette [Lieblingshund von Johannas Mutter] wiedergefunden?

    Erinnerst du Dich unsrer Gespräche, als wir mit ihr ausgingen, an der Koppel, wo Du kleiner Bösewicht sagtest, Du hättest mich korbbeladen abziehn lassen, wenn sich Gott nicht meiner erbarmt und mich wenigstens durch das Schlüsselloch seiner Gnadenthür hätte sehn lassen? Das fiel mir ein, als ich gestern 1. Corinth. 7.13 und 14 las. Ein Erklärer dazu, der Christ soll in allen Lebensverhältnissen das Reich Gottes als das mächtigere, sieghafte, zuletzt jeden Widerstand überwältigende, das der Finsterniß als das ohnmächtige, immer mehr zusammenstürzende ansehn. Wie habt Ihr doch meist so wenig Vertrauen in Euern Glauben und wickelt ihn so sorgfältig in die Baumwolle der Abgeschlossenheit, damit kein Luftzug der Welt ihn erkälte, Andre aber sich an Euch ärgern und Euch für Leute ausschrein, die sich zu heilig dünken, um von Zöllnern etc. berührt zu werden. Wenn jeder so dächte, der das Wahre gefunden zu haben glaubt, und viele ernste aufrichtige, demüthige Sucher glauben es doch wo anders oder in andrer Gestalt zu finden, zu welchem pensilvanischen Zellengefängniß würde Gottes Erde werden, in 1000 und aber 1000 exclusive Coterien durch unübersteigliche Scheidewände eingetheilt. Vergleiche noch Röm. 14. 22 und 15. 2, besonders auch 1. Cor. 4.5; 8.2; 9.20 auch Cap. 12. V. 4 und folgende, ferner 13.2., alles im 1. an die Corinth., was mir in das Thema zu gehören scheint.

    Wir sprachen auf jenem Spatzirgange oder einem andern auch viel von der „Werkheiligkeit“; ich will Dich in dieser Beziehung nicht mit Schriftstellen überschwemmen, Dir nur sagen, wie herrlich ich die Epistel Jacobi finde. (Matth. 25 V. 34 und folgende, Röm. 2. 6., 2. Cor. 5. 10., Röm. 2. 13., 1. Ep. Joh. 3. V. 7., unzählige andre). Es ist zwar unfruchtbar, mit abgerissenen Sätzen der Schrift außer dem Zusammenhang zu rechten; aber es giebt viele, die aufrichtig streben und dabei auf Stellen wie Jacobi 2. V. 14 mehr Gewicht legen wie auf Ev. Marc. 16. 16 und für letztre Stelle Auslegungen geben und für richtig halten, die mit der Deinigen, buchstäblich nicht stimmen werden. Welcher Auslegung ist nicht das Wort Glauben in sich selbst und in Bezug auf das, was die Schrift zu glauben befiehlt, in jedem einzelnen Falle, wo sie das Wort gebraucht, fähig. Ich gerathe wider Willen in geistliche Discussion und Streitfragen. Bei den Katholiken wird die Bibel von Laien garnicht oder mit großer Vorsicht gelesen, ausgelegt nur von Geistlichen, die sich lebenslänglich mit dem Studium der Quellen beschäftigt haben. Auf die Auslegung kommt zuletzt alles an. – Concert in Bütow amüsiert mich; die Idee von Bütow ist mir aller Musik entgegengesetzt. –

    Ich bin recht geschwätzig gewesen, nicht wahr? jetzt muß ich noch etwas Actenstaub rühren und meine Feder neu spitzen zu polizeilich-amtlichem Styl für Landrath und Regirung. Könnte ich mich doch mit einsiegeln oder als Poststück in einem Lachskorb mitgehn. Auf Wiedersehn, dearest black one. Je t’aime c’est tout dire.


    Bismarck

    (Ich vergesse die englischen Verse:)

    Sad dreams, as when the spirit of our youth
    Returns in sleep, sparkling with all the truth
    And innocence, once ours, and leads us back
    In mournful mockery over the shining track
    Of our young life, and points out every ray
    Of hope and peace, we’ve lost upon the way!

    Ich glaube von Moore, perhaps Byron.
    To-morrow, and to-morrow, and to-morrow
    Creeps in this petty pace from day to day,
    To the last syllable of recorded time,
    And all our yesterdays have lighted fools
    The way to dusty death. Out, out, brief candle!
    Life’s but a walking shadow, a poor player,
    That struts and frets his hour upon the stage
    And then is heard no more; it is a tale
    Told by an idiot, full of sound and fury
    Signifying nothing

    Herzliche Grüße an die Eltern und die Reddentiner [Below-Reddentin].