Gespräch mit Kaiser Wilhelm II. und seiner Umgebung, Friedrichsruh

    15. Dezember 1897

     

    Solange der Kaiser sich auf sein Offizierskorps stützen kann, sieht Bismarck keine Gefahr für die Monarchie.

    Ich bin noch zweimal bei dem alten Herrn gewesen, das letztemal im Gefolge des Kaisers, der sich nach der feierlichen Verabschiedung des nach Tsingtau gehenden Prinzen Heinrich mit der ganzen Gesellschaft von Rendsburg aus etwas plötzlich in Friedrichsruh angesagt hatte. Bismarck empfing den Kaiser im Rollstuhl an der bescheidenen Eingangstür des Landhauses. Wir gingen gleich zu Tisch, Bismarck setzte sich mit fremder Unterstützung, war aber, nachdem er saß, wieder ganz frisch. Ich hatte den Platz schräg gegenüber dem Fürsten, neben dem der Kaiser saß, zu meiner Seite der spätere Generaloberst von Moltke. Der Fürst versuchte, politische Gespräche anzuspinnen über unser Verhältnis zu Frankreich und so weiter. Zu meinem größten Bedauern ging der Kaiser auf diese Gespräche nicht ein, sondern es wurde die an der kaiserlichen Tafel häufige Anekdötchenunterhaltung geführt. Immer, wenn Bismarck von Politik anfing, vermied es der Kaiser, darauf zu achten. Moltke flüsterte mir zu: „Es ist furchtbar“; wir fühlten den Mangel an Ehrfurcht vor einem solchen Manne. Da sprach Bismarck aus irgendeinem Zusammenhange heraus ein Wort, das sich uns in seiner prophetischen Schwere eingrub: „Majestät, so lange Sie dies Offizierskorps haben, können Sie sich freilich alles erlauben; sollte das nicht mehr der Fall sein, so ist das ganz anders.“ An der scheinbaren Nonchalance, mit welcher das herauskam, als ob nichts darin läge, zeigte sich eine großartige Geistesgegenwart; daran konnte man den Meister erkennen.

    Als wir aufbrachen, begleitete der Fürst den Kaiser im Rollstuhl bis an die Türe und dann nahmen wir einzeln Abschied. Bismarck verabschiedete sich freundlich von Bülow, von Miquel und anderen. Vor mir kam der Kabinettschef von Lucanus daran, der 1890 bei Bismarcks Entlassung mitgewirkt hatte. Er versuchte dem Fürsten die Hand zu geben und einen Bückling zu machen. Da entwickelte sich ein merkwürdiges Schauspiel, das von gewaltigem Eindruck war. Der Fürst saß da wie eine Statue, kein Muskel rührte sich, er sah ein Loch in die Luft, und vor ihm zappelte Lucanus. Der Fürst drückte an sich nichts aus, es lag keine Abneigung in seinen Zügen, aber er war unbeweglich Maske, bis Lucanus begriff und sich entfernte. Dann kam ich, und nach mir mein treuer Kapitän von Heeringen. Der war so hingerissen (er war ein temperamentvoller Herr), daß er sich hinunterbückte und dem Fürsten die Hand küßte. Ich freute mich darüber, ich hatte auch versucht, dem Fürsten etwas zu fühlen zu geben, soweit man es kann, aber die Handlung des Herrn von Heeringen war stärker. Da nahm der Fürst Heeringens Kopf und küßte ihn auf die Stirn.

    Das ist meine letzte Erinnerung an Bismarck.