Konzept eines Artikels für die „Hamburger Nachrichten“

    14. Oktober 1896


    Die russisch-französische Allianz ist für Bismarck das Resultat des „Missbehagens“ Gortschakows über Deutschlands selbstständige Rolle in der europäischen Politik und Bismarcks Bestreben, den Frieden in Europa zu sichern. Gortschakow habe mit Neid auf den „diplomatischen Lehrling“ geschaut, während Bismarck selbst stets an der Seite Russlands gestanden habe.

    Das russisch-französische Einvernehmen, das in den letzten Tagen durch die glänzenden Feste von Cherbourg, Paris und Chalons seine offizielle Bestätigung erfahren hat, läßt sich in seinen Anfängen auf das Mißbehagen des Fürsten Gortschakow über die selbständige Rolle zurückführen, die das Deutsche Reich in der europäischen Politik zu spielen sich gestattete. Für die Bestrebung des deutschen Reichskanzlers, durch Herstellung eines Drei-Kaiser-Bundes Europa den Frieden zu sichern, hatte Fürst Gortschakow kein Verständnis; er sah mit Neid auf seinen „diplomatischen Lehrling“. Das Jahr 1875 brachte den ersten Beweis dafür, daß das Rußland Gortschakows sich von der Basis freundschaftlichen Einverständnisses, auf dem das Dreikaiserbündnis beruhte, innerlich entfernt hatte und den Anschluß an Frankreich suchte. Gortschakow gab sich – obwohl ihm die friedlichen Tendenzen der maßgebenden Persönlichkeiten Deutschlands aus bester Quelle bekannt waren – dazu her, jene Komödie zu inszenieren, die neulich an der Hand eines Briefes des Fürsten Bismarck an Kaiser Wilhelm I. näher beleuchtet worden ist.

    Die unfreundliche und unehrliche Rolle, die Gortschakow bei dieser Gelegenheit gespielt hat, hätte einen empfindlichen Staatsmann wohl verstimmen können, aber Fürst Bismarck hat es jederzeit verstanden, persönliche Stimmungen den politischen Interessen unterzuordnen, und da für ihn das wichtigste politische Interesse die Erhaltung des Friedens, dieses Ziel aber nur durch sorgsame Pflege der Beziehungen Deutschlands zu Rußland und Österreich, wie dieser Staaten untereinander zu erreichen war, so fuhr er – des ungetrübten Vertrauens der drei Kaiser sicher – fort, in allen Divergenzen, die zwischen Österreich und Rußland aus dem Zusammenstößen ihrer beiderseitigen Interessen auf der Balkanhalbinsel entsprangen, das Amt des „ehrlichen Maklers“ zu verwalten. Schwieriger noch war die Aufgabe, die ihm nach Beendigung des russisch-türkischen Krieges zufiel, als es galt, die mannigfach sich kreuzenden Interessen Rußlands, Österreichs und Englands auszugleichen und bald hier, bald dort zu Nachgiebigkeit und Mäßigung zu mahnen. Fürst Bismarck hat sich auf dem Berliner Kongreß, wie er selbst einmal gesagt hat, als den „vierten russischen Bevollmächtigten“ betrachtet und alle russischen Wünsche, soweit es ohne Verletzung deutscher Interessen möglich war, nach Kräften unterstützt, die meisten auch durchgesetzt. Dank hat er dafür nicht geerntet. Graf Schuwalow, der mit voller Überzeugung Bismarcks russenfreundliche Haltung anerkannte, fiel durch Intrigen in Ungnade, gegen Bismarck aber eröffnete die russische Presse eine Kampagne, in der eine künstliche und berechnete Gereiztheit gegen Deutschland und den Leiter der deutschen Politik an den Tag trat.

    Zu einer französisch-russischen Intimität ist es in den Tagen des alten Kurses nicht gekommen, es blieb der Ära Caprivi Vorbehalten, die Keime von 1875 zu kräftiger Entwicklung zu bringen.

    Ein historisches Dokument mag bezeugen, wie Fürst Bismarck im vollen Einverständnis mit Kaiser Wilhelm I. Rußland auch in schwierigen Situationen Treue hielt. Die russischen Truppen waren nach anfänglichen Erfolgen am 30. und 31. Juli 1877 bei Plewna zurückgeschlagen worden und hatten sich nach dem Schipkapasse zurückgezogen. England bereitete, gestützt auf die Klagen der Türkei über angebliche Grausamkeiten russischer Truppen, eine gemeinsame Aktion der Mächte vor, in deren Auftrag der Deutsche Kaiser im Interesse der Humanität beim Zaren vorstellig werden sollte. Daß sie nicht zustande kam, hatte Rußland dem Kaiser Wilhelm zu danken, der das englische Ansinnen mit dem Hinweis auf die strenge Neutralität ablehnte, die seine Regierung sich zur Pflicht gemacht habe. Kaiser Wilhelm, in dem die Erinnerung an die russisch-preußische Waffengemeinschaft von 1813 immer lebendig blieb, nahm an dem Mißgeschick der tapferen russischen Truppen persönlich den wärmsten Anteil und schrieb in diesem Sinne am 6. August von Gastein aus seinem Kanzler.