Ansprache an die Vertreter der Lehrkörper der Universitäten und Technischen Hochschulen des Deutschen Reichs, Friedrichsruh
1. April 1895
Bismarck sei in außenpolitischer Hinsicht stolz darauf, dass seit der Reichsgründung Frieden herrsche, und er freue sich in innenpolitischer Hinsicht, dass seine politischen Gegner ihm noch immer grollten. „Dieser fortdauernde Zorn ist mir also eine befriedigende Quittung, daß die Herrn Siegesbewußtsein nicht haben.“
Ich bin tiefbewegt von der hohen Ehre, die Sie mir erzeigen, daß die Spitzen der deutschen Wissenschaft in Gestalt der Leiter der Universitäten mich in corpore mit ihrem Besuche beehren, um mich zu begrüßen an dem Tage, den die Natur zur Abrechnung über meine Vergangenheit mir geschenkt hat. Ich fühle, daß ich dabei der Empfänger einer Anerkennung bin, die natürlich nicht meiner Person gelten kann, sondern dem Werke, an dem ich gearbeitet habe und das ich zu schaffen versucht habe, also allen meinen Mitarbeitern und dem glücklich gewonnenen Resultat. Es ist ja für mich erhebend und zugleich beschämend bis zu einem gewissen Grade, daß diese starke Bewegung, die ganz Deutschland in der heutigen Zeit ergreift, sich an meinen Namen knüpft, aber ich betrachte dabei meinen Namen nicht als die Hauptsache, sondern als ein Feldgeschrei, unter dem die nationalgesinnten Reichsfreunde sich geeinigt haben sich zu sammeln; die Verdienste, die ich für unsre nationalen Bestrebungen habe, teile ich mit vielen, vor allen Dingen, wie ich das vor wenig Tagen schon gesagt habe, mit den deutschen Fürsten, mit ihren Regierungen, mit der ganzen Volkskraft so, wie sie die drei Kriege durchgefochten hat, die zur Herstellung unsrer Einheit, wie ich glaube, nicht zu vermeiden waren.
Der dänische Krieg wurde uns gebracht als Einleitung, der österreichische war nötig zu einer Scheidung, zur Herbeiführung eines Gottesurteils über einen tausendjährigen Streit zwischen den verschiedenen mit einander kämpfenden deutschen Stämmen, und der französische war vorauszusehen, sobald wir den österreichischen geführt hatten ohne Einmischung Frankreichs. Ich habe nie gezweifelt, daß wir ihn führen mußten, von Nikolsburg ab. – Die meisten Leute waren 1871 der Meinung, daß keine fünf Jahre bis zur Erneuerung des Kriegs verrinnen würden; es ist – wenn ich auf irgend etwas stolz bin, so ist es dies – gelungen, den Frieden seit den fünfundzwanzig Jahren zu erhalten, und es ist keine Aussicht, daß er in kurzer Zeit gestört werde, während man es zehn Jahre lang teils gefürchtet, teils gehofft hat. Daß mir, ich kann nicht sagen: der ungeteilte, aber doch ein so hohes Maß von Beifall meiner Landsleute zu Teil wird, rührt namentlich daher, daß weder mein alter Herr noch seine Ratgeber sich durch die Erfolge, die Gott uns verliehen hat, haben weiterführen lassen, als ein Bedürfniß für die deutsche Entwicklung war. Man ist natürlich dankbar für den Frieden; allzeit ist der Deutsche ad utrumque paratus (bereit für beides): den Frieden zu erhalten, wenn es sein kann, zu fechten, wenn es sein muß, aber ein Glück ist das Letztere für niemanden.
Der Zustimmung, deren ich mich, ich glaube bei der Majorität der selbständigen Deutschen – ich unterscheide genau zwischen selbständigen und unselbständigen – erfreue, ist ja keine Einstimmigkeit. Aber die feste und klare Aussprache für die nationale Gesinnung bewirkt doch eine Scheidung, die an und für sich immer dazu nützlich ist, daß man seine Freunde und Feinde erkennt und daß wie auf dem Maskenball die Demaskierung eintritt. Ich würde keine Freunde haben, wenn ich nicht auch Feinde hätte; man kann nicht beides zugleich, kalt und warm, sein, und aus Kampf besteht das Leben in der ganzen Natur, in der Schöpfung; bei den Pflanzen – als Forstmann erlebe ich das in meinen Kulturen –, durch die Insekten zu den Vögeln, von den Raubvögeln bis zu den Menschen aufwärts: Kampf ist überall, ohne Kampf kein Leben, und wollen wir weiter leben, so müssen wir auch auf weitere Kämpfe gefaßt sein.
Unsere Gegner, ich möchte sagen: die Gegner des Reichs – die Herrn sind ja sehr gereizt gewesen, wenn ich sie Reichsfeinde genannt habe, sie sind ja theoretisch nicht Reichsfeinde: jeder von ihnen kann sich irgend ein Reich denken, mit dem er sich befreunden würde und in dem er gern leben und gern herrschen würde vor allen Dingen, aber grade das Reich, wie es existiert, das wollen sie nicht; sie müssen doch selbst sagen, daß, wenn sie wieder entzweischlagen, was mühsam erreicht worden ist, man einstweilen noch kein zweites Exemplar auftreiben kann. Ich halte also den Protest gegen den Namen Reichsfeind nicht berechtigt, das kann ich sagen, nachdem ich fünfundzwanzig Jahre gegen diese Fraktionen im Reichsinteresse habe fechten müssen. Aber ich gebe gern zu, daß er nicht theoretisch, sondern nur in Anwendung ad hoc zu nehmen ist, sie lieben dieses Reich nicht.
Die katholische Kirche kennt ein Reich, in dem sie eine hervorragende Stellung einnehmen würde, was sie wohl akzeptieren würde. Ich habe mit dem Bischof Ketteler anno 1870 in dem Sinne zu verhandeln gehabt. Die Sozialdemokratie würde einem Reiche nicht abgeneigt sein, in dem die geschicktesten Redner und Agitatoren eine herrschende Stellung, nicht bloß im Staate, sondern auch in der Familie und im Hause einnähmen; die Polen würden sich mit einem Reiche befreunden können, das auf das Weichselgebiet verzichtet und Posen und Danzig herausgibt; also Reichsfeinde theoretisch und absolut prinzipiell sind die Herrn nicht, aber das Reich wie wir es haben, paßt ihnen nicht. Ich befinde mich nun am Abschlusse, und schon nach dem Abschlusse, des langen Kampfes mit ihnen, und da ist mir bei dem Abschluß, den mir das Wohlwollen meiner Freunde verschönert, doch auch der Gedanke tröstlich, daß die Gegner offenbar kein Siegesgefühl haben, nachdem ich fünf Jahre außer Dienst bin, sonst würden sie nicht mit dieser giftigen verleumderischen Verbissenheit heut noch gegen mich kämpfen; wenn sie mich für einen Besiegten hielten in unserm früheren dreißigjährigen Kampfe, dann würden sie nachsichtiger sein. So ungroßmüthig ist niemand, daß er einen geschlagenen Feind noch in dem Maße verfolgt und verleumdet, wie es mir heutzutage in sozialdemokratischen und Zentrumsblättern toto die (alle Tage) geschieht. Dieser fortdauernde Zorn ist mir also eine befriedigende Quittung, daß die Herrn Siegesbewußtsein nicht haben,
(Heiterkeit.)
und ich glaube auch nicht an ihren Sieg.
Ich bedauere, daß der Reichstag darauf verzichtet hat, einen zweiten Präsidenten aus den Sozialdemokraten zu nehmen. Er würde dadurch die Herrn der Notwendigkeit näher gerückt haben, sich zu demaskieren und über das Ziel, dem sie zustreben, gelegentlich etwas mehr Auskunft zu geben und in dem Sinne zu handeln. Daß die Sozialdemokraten keine Neigung haben, auf dergleichen einzugehen, das zeigt doch, daß sie an die Möglichkeit ihres definitiven Erfolges noch nicht glauben, sonst würden sie bereitwillig dieses Hilfsmittel übernehmen; aber sie fürchten, daß ein Moment kommt, wo sie sagen müssen: „Weh mir, ich bin erkannt!“ Und wer sie erkannt hat, wer sie in ihren Zielen und Zwecken genau erkannt hat, der hat keine Möglichkeit mehr, mit ihnen zu gehen.
Ich möchte nun empfehlen, diesen ganzen Kampf nicht zu tragisch zu nehmen, es geht auf und ab damit. Es wird auch unter Umständen mit schwerem Blutvergießen gefochten, wir haben viel schwerere Kämpfe mit unseren heutigen Bundesgenossen gehabt, als wir je im Inlande gehabt haben. Im Inlande beschränkt es sich doch auf ein homerisches gegenseitiges Schimpfen,
(Heiterkeit.)
auf gegenseitiges Insultieren. Es wird nicht einmal der Versuch gemacht, den Gegner zu gewinnen, sondern man sucht ihn nur zu kränken: das ist heutzutage der Hauptinhalt unseres parlamentarischen und publizistischen Streits, daß man sagen kann: „Dem habe ich es gut gegeben.“ Was für Wirkung es macht, ist gleichgültig. Ich nehme deshalb die Sache nicht so ernsthaft. Wir haben ja hier in Deutschland doch seit der Reformation und auch schon ein paar hundert Jahre vorher die Kämpfe gehabt, deren Widerhall noch heut vernehmlich wird. Wir haben in den Städteverfassungen die Kämpfe der Geschlechter und Zünfte gehabt, wir haben die Bauernkriege gehabt; dasselbe findet sich ja noch wieder in den sozialdemokratischen Bestrebungen. Wir haben seit der Reformation die konfessionellen Kämpfe gehabt, die Religionskämpfe des dreißigjährigen Krieges, wir haben nachher den siebenjährigen Krieg gehabt als Analogon, was doch auch beinahe ein konfessioneller Kampf war, und wir haben uns doch wieder zusammengefunden, und Gott wird uns auch in der Zukunft wieder zusammenführen. Ich möchte nur nicht, daß irgend jemand, der richtigen Kampfeszorn in sich fühlt, auf unserer Seite sich durch ein falsches Friedensbedürfnis und durch die Sorge, er könnte Schaden anrichten, wenn er den Degen zieht, abhalten läßt, ihn ruhig zu ziehen und zu fechten. Wir haben uns immer bekämpft und geschlagen in Deutschland, sei es rhetorisch, sei es kriegerisch, und es würde gewissermaßen ein dead lock (Blockade), ein toter Moment eintreten, wenn wir plötzlich Alle einig würden,
(Heiterkeit.)
wenn wir keine Fraktionen hätten, wenn wir Alles, wie der Kantor vorsingt, nachsängen, und das würde uns Deutschen doch schwer ankommen.
(Heiterkeit.)
Unser Herrgott ist doch ein einsichtigerer Regent, als irdische Fürsten sein können, und es gibt unter uns viele Leute, die mit dem Regimente der Vorsehung innerlich, wenn sie frei reden sollten, auch nicht vollständig zufrieden sind. Ich bemühe mich, es zu sein, und das Gebet im Vaterunser: „Dein Wille geschehe!“ ist mir immer maßgebend. Ich gebe mir Mühe, ihn zu verstehen, aber verstehen tue ich ihn nicht immer. – Wir wollen auch den Willen der Regierung immer gern verstehen: selbst wo sie keinen hat, suchen wir einen und schieben ihr einen unter.
(Heiterkeit.)
Die Leute sind auch in der Regel nicht so böse, wie die Gegner meinen.
(Heiterkeit.)
Und so, meine Herren, möchte ich meinen Dank für Ihre Begrüßung wiederholen und Sie bitten, mit mir der weiteren Entwicklung mit voller Gemütsruhe entgegenzusehen. Man wird mit achtzig Jahren kühler, wie man mit vierzig Jahren gewesen ist, aber im Ganzen bleibe ich doch in der Überzeugung: Gott läßt keinen Deutschen zu Grunde gehen, am allerwenigsten Deutschland, und in dieser Überzeugung danke ich Ihnen. Ich hoffe, die Herren unter Ihnen, die der Gottesgelehrtheit angehören, werden mit dafür sorgen, daß der Himmel uns günstig bleiben möge.
(Heiterkeit.)