Konzept für einen Zeitungsartikel
Juni 1889
Die deutschen Kolonialbestrebungen leiden nach Bismarcks Ansicht darunter, dass Kapital und Risikobereitschaft nicht wie in England miteinander einhergehen. Das hat nach seiner Einschätzung mit dem deutschen Neid auf Reichtum zu tun. Sobald Bankiers ihr Vermögen neidloser gegönnt werde, würden sie ebenso großen Unternehmergeist in Übersee zeigen wie Engländer.
Unsere Kolonial-Bestrebungen leiden daran, daß Kapital und Energie bei uns seltener in ein und derselben Hand sich befinden als in England. Der deutsche Kapitalist ist in der Regel ängstlich, ein homo novus („neuer Mann“, Aufsteiger), der sich an weit aussehende Unternehmungen noch nicht heranwagt, dagegen ist französischer Unternehmungsgeist bei uns in der Kategorie der Besitzlosen weit verbreitet. In England sind für afrikanische und ähnliche Unternehmungen Millionen von Pfunden, bei deren Ueberrechnung in Mark man mit 20 zu multipliziren hat, leicht bereit, weil sich dort die Vermögen, welche mit Millionen rechnen, in größerer Anzahl befinden und in dem Gefühl des älteren Besitzes sich freier und sicherer bewegen als bei uns. Dagegen stehen die größeren deutschen Vermögen noch unter dem Druck der Sorge, zu verlieren, was sie noch nicht lange besitzen. In dieser Thatsache liegt zum großen Theil die Erklärung dafür, daß wir in dem kolonialen Wettbewerbe England gegenüber im Nachtheil sind, weil in England eben wealth und energy sich häufig in einer Hand befinden, bei uns aber in der Regel jede dieser beiden Eigenschaften nicht vereinigt, sondern nur vereinzelt auftritt.
Hiermit hängt es auch zusammen, daß in Deutschland der Besitzlose seinen wohlhabenderen Mitbürgern den Reichthum weniger gönnt, als dies in England der Fall ist, und daß bei uns mehr als dort das Uebelwollen der Majorität im Lande gegen die reichere Minorität, namentlich gegen die Bankiers, in die Erscheinung tritt. An reichen Leuten im französischen und englischen Maßstabe fehlte es früher in Deutschland, und namentlich in Preußen, absolut. Die Wenigen, welche reich waren, in Berlin z. B. die Gebrüder Schickler und andere Bankiers, gingen nach Paris oder etablirten ihr Geschäft in England und fanden ihre dortige gesellschaftliche Position angenehmer als in Berlin. Die Möglichkeit, Preußische Kriegsanleihen durch inländische Mittel zu bestreiten, war früher, wie das Beispiel von 1866 gezeigt hat, kaum vorhanden, und die Berliner haute finance (Hochfinanz) fühlte sich nicht stark genug an Kapital, um den Muth zu haben, das, was sie besaß, für das Schicksal des Staates aufs Spiel zu setzen. Es kann zugegeben werden, daß vom gesellschaftlichen Standpunkt aus gesehen, und namentlich wenn man das National-Uebel des Deutschen, den Neid gegen den Landsmann, in Berechnung zieht, für denjenigen, der nicht selbst Millionär ist, der Anblick eines solchen gerade kein erfreulicher ist; aber vom politischen Standpunkt betrachtet, ist es doch nützlich, wenn es große inländische Vermögen giebt, welche in Zeiten der Gefahr dem Lande die Möglichkeit geben, den finanziellen Anforderungen gegenüber auf eigenen Füßen zu stehen, ohne an die Hülfe des Auslandes gewiesen zu sein. Wir halten das englische Gefühl für richtiger, nach welchem die Mehrzahl der Engländer sich freut, wenn es möglichst viel große Vermögen in England giebt, und eine nationale Genugthuung darüber empfindet, daß ihre Mitbürger größere Geschäfte machen. Auch bei uns wird man dahin gelangen, den Bankiers ihr Vermögen neidloser als bisher zu gönnen, und dann ist zu erwarten, daß ihr Selbstvertrauen und ihr Unternehmungsgeist auf überseeischen Gebieten hinter dem der Engländer nicht mehr zurückstehn wird. Bisher trägt die Betheiligung unsrer Finanziers an colonialen Unternehmungen mehr den Character einer Gefälligkeit gegen herrschende Strömungen der öffentlichen Meinung und amtliche Einflüsse, als den freier und auf Gewinn berechneter kaufmännischer Unternehmungen.