Rede im Reichstag, Berlin

    12. März 1885

     

    Bismarck verteidigt die neue Kolonialpolitik der Reichsregierung. Die Gebiete in Afrika würden sich wirtschaftlich rentieren: In Kamerun werde Baumwolle attraktiv werden, in Südwest-Afrika seien Bergbaugewinne zu erwarten. Dass davon zuerst reiche Unternehmer profitierten, störe ihn nicht, denn sie „sind doch sozusagen auch Menschen, ja sogar Deutsche.“ Ihr Gewinn bringe einen Prosperitätszuwachs für alle.

    Der Herr Redner hat in der Hauptsache nicht gerade gegen unsere Vorlage, die Dampfersubvention, sondern gegen die Kolonialpolitik im allgemeinen gesprochen. Er nötigt mich deshalb auch, mehr als in meiner Absicht war, von der Vorlage und deren Thema abzuweichen und auf die von ihm in den Vordergrund gestellte Kolonialfrage einzugehen. Daß beides in engem Zusammenhang steht, habe ich schon im vorigen Jahre gesagt in der Budgetkommission, indem ich darauf hinwies, daß die Ablehnung dieser Vorlage eine Entmutigung für die Regierung auf dem Wege der Kolonialpolitik notwendig sein müsse.

    Der Herr Vorredner hat diese Entmutigung uns sehr viel direkter zuteil werden lassen. Er hat nicht nötig, noch gegen diese Vorlage zu stimmen; er hat uns durch seine Rede an und für sich schon zu verstehen gegeben, daß er mit der Kolonialpolitik des Deutschen Reichs nicht einverstanden ist. Er hat zwar damit begonnen, daß er und seine politischen Freunde im allgemeinen für Kolonialpolitik gestimmt wären, vielleicht in Berücksichtigung des lebhaften Interesses, das sich in unserer öffentlichen Meinung und auch bei den Wählern dafür geltend macht. Er hat dann zu dem gewöhnlichen Mittel gegriffen, Vorlagen der Regierung abzulehnen, die man im Prinzip nicht bekämpfen mag, indem er sie angebrachtermaßen ablehnte. Er sagt: Ja, Kolonien wollen wir wohl, aber gerade diese nicht, und dann hat er gegen sie Motive angeführt, die in Bezug auf diese Kolonien gerade am allerwenigsten zutreffen. Ich werde darauf nachher zurückkommen.

    Einstweilen nehme ich davon Akt, daß der Herr Vorredner die Verbindung der heutigen Vorlage mit der Kolonialpolitik seinerseits auf das schärfste, viel schärfer als ich akzentuiert hat. Ich möchte aber bitten, unter der Abneigung gegen die Kolonialpolitik doch diese Vorlage nicht unbedingt leiden zu lassen. Der Herr Vorredner hat so gesprochen, als wenn wir gar keine Dampferverbindung mit den östlichen Meeren brauchten, wenn wir nicht diese Kolonien in Besitz genommen hätten oder zu nehmen beabsichtigten, daß ohne Kolonialpolitik keine Dampfersubvention nötig wäre. Meine Position ist umgekehrt. Ich sage: Ohne Dampfersubvention habe ich keine Aussicht auf Kolonialpolitik. Der Herr Vorredner hat das umgedreht und hat so gesprochen, als wenn das Bedürfnis der Dampfersubventionen erst durch die Kolonialpolitik entstanden wäre. Ich mache den Herrn Vorredner darauf aufmerksam, daß die wichtigste der Linien, die, wie es scheint, auch er und seine Freunde bewilligen wollen, die nach Ostasien, mit unserer Kolonialpolitik in gar keiner Verbindung steht. Seine ganze Rede schwebt also in Bezug auf diese Hauptlinie der heutigen Vorlage vollständig in der Luft. Auch die Linie nach Australien, die schon mehr Beifall hat als die afrikanische Linie, als die Koloniallinien, aber mehr Anfechtungen als die nach Ostasien, hat mit den bestehenden Kolonien einstweilen noch keine Beziehung. In Samoa haben wir keine Kolonien, sondern nur Handelsverbindungen. Der Herr Vorredner wird mir also zugeben, daß seine Rede an dem Ziele, das er im Auge hatte, weit vorbeigeschossen und dasselbe gar nicht getroffen hat. Er hat lediglich gegen die Kolonialpolitik gesprochen, aber in einer Weise, die zur Ablehnung der uns heute beschäftigenden Vorlage nicht um eines Strohhalms Breite Material geliefert hat. Unsere Kolonialpolitik hat mit der Linie nach Ostasien nicht entfernt etwas zu tun; mit der nach Samoa auch nicht, mit der nach Neuholland auch nicht.

    Nun, die afrikanische Linie hat nicht viel Chancen; und, meine Herren, wenn Sie diese Linie ablehnen, und wenn Sie auch noch eine und die andere ablehnen, so ist dies ein Fall, in dem wir von seiten der Regierung durchaus nicht berechtigt sind zu sagen: Ganz oder gar nicht! Wir sind in der Verpflichtung, auch kümmerliche Abschlagszahlungen auf diesem Gebiete, auf dem wir für die öffentliche Wohlfahrt gegen parlamentarische Opposition zu kämpfen haben, zu akzeptieren; wir dürfen sie nicht ablehnen. Also wenn Sie uns nur eine Linie bewilligen, so werden wir sie dankbar annehmen; wenn Sie uns zwei Linien bewilligen, so glauben wir, daß die öffentliche Wohlfahrt noch mehr Grund hat, sich bei den Abgeordneten zu bedanken. Aber die Ablehnung einer von den vier Linien oder mehrerer ist nicht für dieses Gesetz, wie man sagt, eine Kabinettsfrage. Wir müssen eben nehmen, was wir bekommen. Ich sagte schon gestern, daß diese Einrichtung ja nicht vollständig fertig ins Leben springen und nach allen Seiten jeder Kritik gerecht werden könnte, sondern immer durch die Erfahrung korrigiert, richtiggestellt und vervollständigt werden müsse. Wenn Sie uns eine von diesen Linien bewilligen, so, glaube ich, werden die Erfahrungen, welche auf dieser Linie gesammelt werden, sehr bald das Bedürfnis, daß auf diesem Wege unserem Export und unserer Schiffahrt noch weiter geholfen werde, klarer als bisher zur Erkenntnis aller bringen. Sie werden dann, hoffe ich, selbst einsehen, daß wir auf dem richtigen Wege waren, und werden dann uns selbst Zureden, auf diesem Wege weiterzugehen. Wir verlangen ja nicht, daß Sie gegen Ihre Überzeugung uns irgend etwas bewilligen sollen. Haben Sie die Überzeugung noch nicht, teilen Sie die der Regierung noch nicht bezüglich dessen, was unserem wirtschaftlichen Verkehr und unserer Entwicklung in Handel und Schiffahrt über See nützlich ist - teilen Sie diese Überzeugung noch nicht, nun natürlich, dann werden Sie ablehnen und werden gegen uns stimmen. Ich schmeichle mir nicht, daß wir Sie zu alledem, was wir wünschen, heute werden überreden können; aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß die Umstände, die Geschichte, die nationale Entwicklung Sie übers Jahr im Reichstag werden weitergebracht haben.

    Also ich werde darum jede Teilzahlung, die Sie uns bewilligen, als einen Schritt vorwärts auf diesem Wege betrachten; aber damit Sie dabei doch nicht zu ängstlich werden, so möchte ich versuchen, einige der Bedenken, die der Herr Vorredner gerade gegen diese Kolonien als besonders schlimm und übel gewählte geltend gemacht hat, zu widerlegen.

    Dem Herrn Vorredner schienen als Kolonien vorzugsweise solche Länder vorzuschweben, nach denen hin der Deutsche aus allen Ständen auswandert – namentlich schien ihm derjenige Deutsche dazu prädestiniert, der im Vaterlande sein Fortkommen nicht gefunden hat, er deutete an, daß auch der Auswurf der Nation dahin gehen werde wo diese in Masse sich etablieren könnten und in ihrem Geschick, in ihren Nebenmenschen nachsichtigere Richter finden würden, als sie zu Hause gefunden haben. Das paßt auf keine der bisherigen Kolonien. Die bedeutendsten und zukunftsreichsten derselben liegen unter dem Äquator oder fast unmittelbar am Äquator; auch schon Angra Pequeña, das ich hier ausnehme, liegt in einem sehr heißen Klima und ist eine Kolonie, die erst Wert bekommen kann, wenn sich die nach dem Urteil Sachkundiger begründete Hoffnung bestätigt, daß sich dort eine Montanindustrie entwickeln wird. Hauptsächlich sind die Hoffnungen auf Kupfer gerichtet. Ob von dem Herrn Vorredner eine besondere Konkurrenz mit unseren Kupferwerken im Lande befürchtet wird, das lasse ich dahingestellt sein, das ist eine Nebensache; aber auf die anderen Kolonien passen weder die Argumente des Herrn Vorredners in Bezug auf die mangelnden Konsumenten dort, noch in Bezug auf den von dort zu befürchtenden konkurrierenden Import nach Deutschland. Die Bevölkerung dieser Kolonien selbst werden keine Konsumenten sein, welche deutsche Erzeugnisse in sehr umfangreichem Maße verbrauchen; die dort etablierten kaufmännischen Filialen - mir fällt die richtige Bezeichnung nicht ein - sind eben die Spediteure des diesseitigen Handels für die Vermittlung des deutschen Absatzes nach dem Innern von Afrika. Daß der sich bloß auf Branntwein beschränken wird, wie der Herr Vorredner sich ausdrückte, ist mir neu. Wenn die Engländer auf ihre dortigen Kolonien einen so starken Wert legen, wenn sie – nicht die Regierung, aber viele von ihren Untertanen – uns das Leben dort so schwer gemacht haben, wenn sie mit großer Zähigkeit an den Stellungen, die sie dort gewonnen haben, festhalten und sich mit einer nachahmenswerten Energie auszudehnen und zu verbreiten suchen – sollte das ein bloßes Phantasiegebilde von den Engländern sein, sollte es nur auf irgendeine phantastische „Schützenfestlaune“ hinauslaufen? Sollten da nicht solide englische Interessen dahinterstecken, die Hoffnung, englische Manufakturen in großer Masse durch ihre Faktoreien an der Küste und nach dem Innern von Afrika an die Hunderte von Millionen abzusetzen, die diese Länder bewohnen und die allmählich an einen größeren Verbrauch von europäischen Waren sich gewöhnen? Sie spotten über das bunte Papier, von dem hier die Rede gewesen ist: Aber von der Fabrikation dieses bunten Papiers leben in unseren Gebirgsdörfern eine rechte Masse achtbarer Arbeiter, über deren Bedürfnisse Sie doch sonst bei den Wahlen zu lachen nicht so sehr geneigt sind.

    (Sehr wahr! rechts.)

    Ich möchte den Herren, die heute darüber spotten, empfehlen, in den thüringischen und anderen Dörfern, wo dieses bunte Papier und Glasperlen gemacht werden, die höhnischen Bemerkungen zu wiederholen, die sie hier gemacht haben, dann werden sie wohl die richtige Antwort darauf bekommen.

    (Sehr richtig! rechts.)

    Aber es beschränkt sich nicht auf diese Kleinigkeiten, Zierate und Schmucksachen. Der Abg. Woermann hat schriftlich und mündlich uns Verzeichnisse geliefert von den Hunderten von Artikeln, die die deutsche Industrie nach jenen Gegenden hin liefert; und wenn nicht jeder hier bloß für seine Fraktion und seinen Wahlkreis zu sprechen und zu hören gewohnt wäre, so würde diese sehr lehrreiche Darlegung des Abg. Woermann die Herren abgehalten haben von den Spöttereien über die Unbedeutendheit der Ausfuhr. Selbst die Portugiesen - warum halten sie denn ihre Kolonien so fest und sind eifersüchtig auf jedes Stückchen davon? Und den Engländern mögen Sie vorwerfen, was Sie wollen, aber dumm in Handelssachen sind sie nicht;

    (Heiterkeit.)

    man läuft Gefahr, selbst dem Vorwurf zu verfallen, wenn man ihn den Engländern macht.

    Ich halte für die aussichtsreichsten Kolonien diejenigen, die hier als „Gründungen“ qualifiziert werden, weil die Namen Hansemann, Bleichröder darunter stehen, die in Neuguinea. Nach allem, was ich von dort gehört habe, gibt es große fruchtbare und der Kultur leicht zugängliche Gegenden, die jetzt mit steppenartigem, mannshohem Grase bewachsen sind, unter dem Äquator liegen, sich also für Kultur von Kaffee, Baumwolle und dergleichen tropischen Produkten vorzüglich eignen.

    Nun sagt der Herr Vorredner: Das kommt doch nur einigen reichen Geschäftshäusern zugute, die ohnehin reich genug sind. Ja, meine Herren, diese reichen Kaufleute sind doch sozusagen auch Menschen, ja sogar Deutsche,

    (Heiterkeit.)

    die auf unseren Schutz für ihren Reichtum und nach Maßgabe ihrer Unternehmungen denselben Anspruch haben, den der reiche Engländer von seiner Regierung beansprucht. Wenn es in England nicht eine erheblich größere Anzahl Millionäre gäbe als bei uns, so würde es dort auch nicht einen erheblich reicheren Mittelstand geben als bei uns. Das hängt eng zusammen. Schaffen Sie uns nur viele! Wir haben jetzt wenig reiche Häuser, das ist wahr; aber ich hoffe, wünsche und strebe auf jede Weise, durch die es zu erreichen ist, daß wir mehr solche reichen Häuser ins Land bekommen.

    Sie erinnern oft an altpreußische Maximen; die Herren namentlich, die die altpreußische Zollgeschichte gar nicht kennen, haben mir die wunderlichsten Belehrungen darüber erteilt. Aber ich erinnere Sie daran, wieviel Friedrich dem Großen, wieviel Friedrich Wilhelm I., dem großen Hausvater seines Landes, daran lag, reiche Leute ins Land zu ziehen, im Lande zu erhalten, reiche Leute zu machen. Ich wollte, wir könnten sofort ein paar hundert Millionäre im Lande mehr schaffen; sie würden ihr Geld im Lande ausgeben, und diese Ausgaben würden befruchtend auf den Arbeitsverkehr wirken nach allen Seiten hin. Die Leute können ja doch ihr Geld nicht selbst essen, sondern sie müssen die Zinsen davon an andere wieder ausgeben; also freuen Sie sich doch, wenn Leute bei uns reich werden: da fällt immer für die Gesamtheit etwas ab und nicht bloß für den Steuerfiskus.

    So kleinliche Auffassungen, wie der Herr Vorredner in der Beziehung uns zu mutet, muß ich von den Regierungen weit fortweisen. Wir wirtschaften und streben für die Hebung des wirtschaftlichen Gesamtvermögens der deutschen Nation; dazu gehören die reichen Leute so gut wie die armen; und wenn wir dabei zugleich eine Verbesserung des fiskalischen Einkommens des Deutschen Reichs erreichen, dann freuen Sie sich auch mit uns, dann werden Sie weniger Mühe haben mit den Ihnen so unbequemen Bewilligungen von Mitteln.

    (Bravo! rechts.)

    Die Kolonien wie Kuba, wie Porto Rico, wie die westindischen und alle die äquatorialen Kolonien sind vom Mutterlande stets in ihrem Geldwert sehr hoch geschätzt. Deshalb ist dahin aber noch keine große Auswanderung gegangen; man hat nicht darauf gerechnet, daß dort Weizen oder Wolle produziert werde, welche nachher zum Schrecken des Herrn Vorredners zollfrei bei uns eingelassen werden sollten; sondern es sind eben tropische Produkte, die bei uns nicht wachsen. Das ist gerade die Hauptsache, dort Plantagen anzulegen, Deutsche des gebildeten und halbgebildeten Standes auf diesen Plantagen zu beschäftigen. Wer, wie ich, in der Nähe von Hamburg wohnt, der weiß, daß unter den gebildeten Hamburger Familien kaum eine ist, die nicht ein Mitglied zählte, welches einmal über See, „drüben“, gewesen ist, wie sie sagen, und dort den besten Teil seiner Jugend zugebracht, dort Vermögen erworben hat und wiedergekommen ist. Das ist dort auf fremdem Gebiet erworben. Nehmen Sie an, wenn ein Teil der Baumwolle, des Kaffees, den wir bei uns importieren, auf deutschem Grund und Boden über See wüchse, wäre denn das nicht eine Vermehrung des deutschen Nationalreichtums?

    (Sehr wahr! rechts.)

    Wir kaufen jetzt die sämtliche Baumwolle von Amerika und sind auf ein gewisses Monopol der Amerikaner angewiesen, weil die indische und ägyptische Baumwolle nicht in der Vollkommenheit bearbeitet und vorbereitet wird, daß sie sofort leicht in Verbrauch zu nehmen ist wie die amerikanische. Wenn wir demgegenüber mit der gleichen Intelligenz, wie die Amerikaner ihre Baumwolle pflanzen und bearbeiten, in Gegenden wie Neuguinea, wie Kamerun, wie die afrikanischen äquatorialen Gegenden, Baumwolle züchten könnten, die wir nicht mehr von Ausländern, sondern von deutschen überseeischen Besitzern kaufen würden, so wäre das ein Vorteil für unser Nationalvermögen, während jetzt das Geld, das wir für Baumwolle, Kaffee, Kopra und alle solche äquatorialen Produkte ausgeben, rein à fonds perdu (verlorenes Geld) herausgeht aus unserem Vermögen. Ich kann mir doch nicht denken, daß diese Vorteile dem Herrn Vorredner so ganz entgangen sein sollten, daß er nicht darüber nachgedacht hat, was denn eigentlich andere Nationen davon haben, daß sie an ihren Kolonien festhalten.

    Er hat auf die Schwierigkeiten der Franzosen in Hinterindien hingewiesen. Ja, die liefern mir doch nur den Beweis, daß eine kluge und richtig rechnende Nation wie die Franzosen auf den Besitz solcher Kolonien einen außerordentlich hohen Wert legt und Opfer, die wir niemand zumuten, nicht scheut, um solche Kolonien zu erwerben. Ich bin auch weit entfernt, der französischen Politik auf diesem Pfade zu folgen; wir folgen überhaupt keinem fremden Beispiele, sondern wir folgen unseren Kaufleuten mit unserem Schutze. Das ist das Prinzip, das wir von Hause aus beobachtet haben und woran Sie uns irre machen können, wenn Sie uns die Mittel dazu nicht bewilligen. Aber dann, meine Herren, wiederhole ich immer, muß ich auch fordern, daß Sie vor dem Volke die Tatsache klarstellen, daß nicht die Regierungen es sind, die die Mittel nicht hergeben wollen für diesen Schutz, sondern daß die Abgeordneten des Volkes es sind, die die Mittel dazu verweigert haben. Die Klarheit darf ich verlangen.

    (Sehr richtig! rechts.)

    Sie dürfen nicht die Tatsache, daß Sie uns die Mittel dazu verweigern, verdecken, bemänteln durch allerhand andere Gründe: Wir würden sie bewilligen, wenn dies, wenn das nicht wäre, wenn die Herren in der Kommission kulanter wären, wenn wir dies und jenes gewußt hätten, dann würden wir vielleicht haben – damit kommen Sie nicht durch. Wir werden jedes Mittel anwenden, um Sie dahin zu bringen, daß Sie cartes sur table (mit offenen Karten) spielen und Farbe bekennen müssen vor Ihren Wählern und dem Publikum, ob Sie Kolonialpolitik wollen oder nicht wollen,

    (Bravo! rechts.)

    ob Sie Kolonien wollen oder nicht wollen. Wir werden von Ihnen das Fragenstellen lernen, wie es in der Kommission geschehen ist, und wir werden Sie mit Vorlagen und Fragen so in die Enge treiben, daß Sie Farbe bekennen müssen.

    (Bravo! rechts.)

    Ich habe über die Qualität unserer Kolonien gesprochen und, glaube ich, die Bedenken des Herrn Vorredners bezüglich der Gefahren, die von ihnen drohen, widerlegt und ausgeführt, daß sie diejenigen Ansprüche, die der Herr Vorredner an die Kolonien zu machen schien, zu realisieren überhaupt nicht bestimmt sind. Nach meiner Überzeugung ist, wie gesagt, auf die tropischen Kolonien hauptsächlich Wert zu legen; auf Angra Pequeña insoweit, als die Untersuchungen, die über den dortigen Metallreichtum angestellt werden, ein Resultat liefern; nach allem, was wir hören, ist das des Versuches immer wert; und doch macht es Ihnen eine gewisse Freude, wenn Sie recht geringschätzig von dieser „Sandbüchse“ sprechen können. Sie sollten, glaube ich, lieber mit uns die Hoffnung teilen, daß die deutschen Bergleute einmal dort ihren lohnenden Erwerb werden finden können, und uns die Hand dazu bieten zu ermitteln, ob das nicht der Fall sein könnte. Die Kamerunkolonie sind wir in der Hoffnung zu konsolidieren durch Verhandlungen, die zwischen uns und der englischen Regierung schweben und die bisher einen erfreulichen Fortgang nehmen über gewisse Austausche und gegen-seitige Anerkenntnisse;

    (Bravo! rechts.)

    ebenso glaube ich, daß wir über die Abgrenzung unseres Gebietes auf Neuguinea mit England zu einer Einigung gelangt sind.

    (Bravo!)

    Schließlich möchte ich noch auf eine Äußerung zurückkommen, die der Herr Vorredner am Eingang seiner Rede tat. Ich habe mir neulich gestattet, eine Analogie aus der altgermanischen Mythologie zu zitieren, bei der ich das Wort „Völkerfrühling“ gebrauchte, auf das der Herr Vorredner zurückkam. Ich fürchte, daß ich dabei dunkler geblieben bin, als ich zu sein wünschte, und daß ich nicht deutlich ausgedrückt habe, was ich meinte; aber es liegt nicht in meiner
    Gewohnheit, mythologische Anspielungen weit auszuspinnen. Es war nur etwas, was – ich kann es nicht leugnen – mich in den letzten zwanzig Jahren ununterbrochen gequält und beunruhigt hat, diese Analogie unserer deutschen Geschichte mit unserer deutschen Göttersage. Ich habe unter dem Begriff „Völkerfrühling“ mehr verstanden als die Kolonialpolitik, ich habe meine Auffassung – ich will nicht sagen: so niedrig – aber so kurz in Zeit und Raum nicht gegriffen. Ich habe unter dem Frühling, der uns Deutschen geblüht hat, die ganze Zeit verstanden, in der sich – ich kann wohl sagen – Gottes Segen über Deutschlands Politik seit 1866 ausgeschüttet hat, eine Periode, die begann mit einem bedauerlichen Bruderkriege, der zur Lösung eines verschürzten gordischen Knotens unabweisbar und unentbehrlich war, der überstanden wurde, und zwar ohne die Nachwehen, die man davon zu befürchten hatte. Die Begeisterung für den nationalen Gedanken war im Süden wie im Norden so groß, daß die Überzeugung, daß diese – ich möchte sagen – „chirurgische Operation“ zur Heilung der alten deutschen Erbkrankheiten notwendig war...: sobald sie sich Bahn brach, war auch aller Groll vergessen, und wir konnten schon im Jahre 1870 uns überzeugen, daß das Gefühl der nationalen Einheit durch das Andenken dieses Bruderkrieges nicht gestört war und daß wir alle als „ein einig Volk von Brüdern“ den Angriffen des Auslandes entgegentreten konnten.

    (Lebhaftes Bravo!)

    Das schwebte mir als „Völkerfrühling“ vor; daß wir darauf die alten deutschen Grenzländer wiedergewannen, die nationale Einheit des Reiches begründeten, einen Deutschen Reichstag um uns versammelt sahen, den Deutschen Kaiser Wiedererstehen sahen, das alles schwebte mir als „Völkerfrühling“ vor – nicht die heutige Kolonialpolitik, die bloß eine Episode bildet in dem Rückgänge, den wir seitdem gemacht haben. Dieser Völkerfrühling hielt nur wenig Jahre nach dem großen Siege vor. Ich weiß nicht, ob der Milliardensegen schon erstickend auf ihn gewirkt hat. Aber dann kam, was ich unter dem Begriff „Loki“ verstand: der alte deutsche Erbfeind, der Parteihader, der in dynastischen und in konfessionellen, in Stammesverschiedenheiten und in den Fraktionskämpfen seine Nahrung findet - der übertrug sich auf unser öffentliches Leben, auf unsere Parlamente, und wir sind angekommen in einem Zustand unseres öffentlichen Lebens, wo die Regierungen zwar treu Zusammenhalten, im Deutschen Reichstage aber der Hort der Einheit, den ich darin gesucht und gehofft hatte, nicht zu finden ist, sondern der Parteigeist überwuchert uns; und der Parteigeist, wenn der mit seiner Lokistimme den Urwähler Hödur, der die Tragweite der Dinge nicht beurteilen kann, verleitet, daß er das eigene Vaterland erschlage, der ist es, den ich anklage vor Gott und der Geschichte, wenn das ganze herrliche Werk unserer Nation von 1866 und 1870 wieder in Verfall gerät und durch die Feder hier verdorben wird, nachdem es durch das Schwert geschaffen wurde.

    (Lebhaftes Bravo! rechts. Zischen links.

    Erneuter lebhafter Beifall rechts. – Beifallklatschen auf den Tribünen.)