Rede im Reichstag, Berlin

    17. September 1878


    In der ersten Lesung des Sozialistengesetzes attackiert Bismarck „die bis zum Königsmord gesteigerten Bestrebungen“ der Sozialdemokratie August Bebels. Zugleich erinnert er höchst positiv an die Gespräche mit Ferdinand Lassalle 1863/64 über die Verbesserung des Loses der Arbeiter. „Er war einer der geistreichsten und liebenswürdigsten Menschen, mit denen ich je verkehrt habe“. An ein etwaiges Gespräch mit Bebel knüpft Bismarck den Wunsch zu erfahren, „wie Herr Bebel und Genossen sich den Zukunftsstaat […] denken“.

    Ich hatte, nachdem ich zwei Monate lang gezwun¬gen gewesen bin, mich jeder amtlichen Beschäftigung zu enthalten, nicht die Absicht und habe sie auch heute noch nicht, mich an den Diskussionen der ersten Lesung zu beteiligen, sondern dieselbe vorzugsweise zu meiner Orientierung nach einer langen Pause zu verwenden. Wenn ich dennoch jetzt das Wort ergreife, so geschieht dies nicht etwa, um auf das prinzipielle und rhetorische Feld einzugehen, welches der Herr Vorredner [Hänel] soeben betreten hat; es werden sich die Sachen in ihre praktischen Details wohl auflösen, wenn wir sie in der Kommission und in der zweiten Lesung verhandeln. Ich bin nur zum Reden gezwungen durch den Umstand, daß der Herr Abgeordnete Bebel gestern, sowie früher der Herr Abgeordnete Richter auch schon ähnliche Andeutungen gemacht hat, daß aber jetzt namentlich der Herr Abgeordnete Bebel einer Legende über mich zum Organ gedient hat, die, wenn ich ihr nicht widerspreche, schließlich Geschichte werden könnte, wie so manche Zeitungs- und andere Lüge, die auf meine Kosten verbreitet worden ist und die allmählich Konsistenz gewonnen hat.

    Der Herr Abgeordnete Richter hat bei den Verhandlungen über die sogenannte Hödelsche Vorlage in meiner Abwesenheit schon angedeutet, ich hätte mich früher mit der Sozialdemokratie in Beziehungen befunden, die mir eine gewisse Mitverantwortlichkeit für die jetzige Entwicklung derselben auferlegten; wenigstens war es offenbar sein Wunsch, diesen Eindruck im Publikum und in der Versammlung zu machen. Ich bin, als ich das in der ländlichen Einsamkeit gelesen habe, doch etwas erstaunt gewesen, daß der Herr Abgeordnete Richter sich an den äußerlichen Buchstaben des Wortes „Sozialdemokratie“ klammert, und daß er nicht unterscheidet zwischen den ehrlichen Bestrebungen nach Verbesserung des Loses der Arbeiter, die uns allen am Herzen liegen, und zwischen dem, was wir heute zu unserem Bedauern und mit Schmerz genötigt sind, unter dem Begriff Sozialdemokratie zu begreifen.

    Will der Herr Abgeordnete Richter das Kind mit dem Bade ausschütten und uns veranlassen, daß wir, wenn wir die bis zum Königsmord gesteigerten Bestrebungen der jetzigen Sekte niederzuhalten suchen, gleichzeitig dabei auch jede Bemühung niederhalten, das Los des Arbeiters, seinen Anteil an dem Lohn, den die Gesamtarbeit, seine und seiner Arbeitgeber hat, zu verbessern, dann gehe ich nicht mit ihm, und ich bin entschlossen, die Bestrebungen, die man mir von damals vorwirft, sobald ich Zeit und Möglichkeit dazu habe und meine Ressortverhältnisse mir das erlauben, auch heut fortzusetzen, und ich rechne mir das zur Ehre an.

    Der Herr Abgeordnete Richter wird doch schwerlich Leute, die sich damit vor nunmehr 16, 15 Jahren befaßten, das Los der Arbeiter zu verbessern, diejenigen – ich nenne jemanden, der mir durch Lesen seiner Bücher, weniger persönlich, nähergestanden hat, also Rodbertus und ähnliche Leute der Wissenschaft und des Wohlwollens für Arbeiter – die wird er doch nicht mit dem Mord-messer der Nihilisten und mit der Schrotflinte von Nobiling in eine Kategorie werfen wollen! Es ist das ein Stück, welches seiner rhetorischen Geschicklichkeit alle Ehre macht; aber im übrigen will ich es nicht näher charakterisieren. Ich möchte ihn überhaupt bitten, doch von seinen Bestrebungen – was ich freilich schon öfters vergeblich getan habe, und wenn er es nicht tun will, ist es mir auch recht (Heiterkeit) – mir persönlich irgendeine Torheit oder ein Unrecht in meiner Vergangenheit oder in meinem Privatleben nachzuweisen, abzulassen; es hat ja gar nichts mit dem zu tun, was sachlich hier verhandelt wird.

    Ich könnte ein viel üblerer Mensch sein, als ich bin, und doch sachlich recht haben. Ich kann dabei auch die Betrachtung nicht unterdrücken, daß der Herr Abgeordnete Richter in seinen Schriften und in seinen Reden ja einer der stärksten Verfolger der Sozialdemokratie ist, er hat sehr harte Worte für sie, wie ich sie niemals in meinem Leben gebraucht habe, aber wenn es zu praktischen Leistungen kommt, so wird er ein Freund der Sozialdemokratie. Gehen wir seinen Abstimmungen nach, so werden wir ihn in allen Phasen des parlamentarischen Lebens, durch die wir gegangen sind, immer auf die Seite der Sozialdemokratie fallen sehen. Er bekämpft und verfolgt sie mit Worten, aber er kann den Maßregeln, die zur wirksamen Bekämpfung bestimmt sind, nicht zustimmen. Das war eine nachträgliche Betrachtung, die mir abgenötigt ist durch die Äußerungen des Herrn Abgeordneten Richter außerhalb der heutigen Diskussion.

    Ich möchte dabei den Herrn Abgeordneten Richter auch noch an etwas anderes erinnern. Er hat bei dieser Gelegenheit und bei mehreren anderen mir vorgeworfen, daß ich krank wäre und daß meine schwache Gesundheit mich sehr häufig hindert, meinen Pflichten so nachzukommen, wie es wohl wünschenswert wäre. Meine Herren, ich kann das nicht leugnen, es ist mir nur überraschend, daß jemand, der nachdenkt über diese Sache, mir meine Krankheit zum Vorwurf macht. Ich habe sie mir ehrlich verdient im Dienste des Landes und des Königs und sie gewonnen durch Überanstrengung meiner Kräfte in diesem Dienst. Ich möchte doch dafür dasselbe Benefizium in Anspruch nehmen wie ein Soldat, der verwundet und invalid ist, und dem man den geforderten Abschied verweigert, und der aus Gründen, die man achten sollte, in seiner Stellung bleibt. Ich verbleibe auf Wunsch Seiner. Majestät des Kaisers und Königs in meiner Stellung, den ich in dieser Lage gegen seinen Willen nicht verlassen kann; sonst wüßte ich nicht, was mich hielte und veranlaßte, für die Herren die Unannehmlichkeiten unserer gegenseitigen Beziehungen zu verlängern. (Heiterkeit.)

    Aber mir Krankheit unter solchen Umständen vorzuwerfen, das ist doch, ich will mich mäßig ausdrücken, Mangel an Zartgefühl. Indessen ich erwarte Zartgefühl von dem Herrn Abgeordneten Richter nicht. Ich will mich nur dispensiert halten, auf dieses Thema zurückzukommen, wenn er mir wieder vorwirft, daß ich nicht hier bin.

    Ich wende mich dann zu dem, was der Herr Abgeordnete Bebel gestern gesagt hat. Bei ihm nehme ich nicht an, daß er mit der Unwahrheit alles dessen, was er gesagt hat, bekannt gewesen ist. Es ist ihm erzählt, er hat es geglaubt und erzählt es weiter. Wenn er diese Zusammenstellung von Wahrem und Falschem, die ich mir aus dem gestrigen Berichte habe geben lassen, selbst erfunden hätte, nun dann hätte er vielleicht Talent, Korrespondent der „Times“ oder sonst einer größeren Zeitung zu werden, (Heiterkeit) und ich könnte ihm diese sehr einträgliche Beschäftigung empfehlen. Er fängt seine Geschichtserzählung mit Details an, als hätte er sie genau im Gedächtnis oder selbst erlebt, mit Anführungszeichen bei Worten von mir, die er anführt, aber leider setzt er sie etwas zu früh an:

    „Im September 1862 erschien eines Sonntags in Mitte unseres Komitees ein Herr Eichler im Auftrag der preußischen Regierung, speziell des Fürsten Bismarck!“

    Nun wissen die älteren unter uns, daß ich in meine amtliche Funktion eingetreten bin am 23. September 1862, also in der letzten Woche dieses Monats, in welchem ich den Eichler mit dem Aufträge versehen haben sollte. Ich kam damals aus dem Auslande, nach einer Abwesenheit von ich weiß nicht wieviel Jahren, aber während welcher ich keine Gelegenheit gehabt hatte, mich mit inländischer Politik, namentlich mit einem so wenig bekannten Mann, wie Eichler, zu beschäftigen. Ich habe damals von der Existenz Eichlers gar nichts gewußt und sollte im September 1862, also in dem Moment, wo ich aus der behaglichen Temperatur der Diplomatie in das sehr heiße Gefecht gegenüber dem damaligen Landtag hineingeriet, wo ich jeden Abend Kommissionssitzung hatte, wo ich sozusagen froh war, wenn ich das ministerielle Leben weiterführen konnte, wo ich Kollegen zu werben, nach Paris zurückzugehen und mich zu verabschieden hatte – in der Zeit soll ich hier mit Herrn Eichler gesprochen haben, so daß dieser damals schon und im speziellen Aufträge des Herrn von Bismarck auftreten konnte. Ja, wenn man jedem Manne von der Kategorie wie Eichler alles glauben will, wenn er sich mit Beziehungen zu mir rühmt, so kann man weit kommen. Bei diesem ist es einfach nicht möglich, das ist eine einfach nachgewiesene Lüge, die sich der Herr Abgeordnete Bebel aufbinden ließ, ich weiß nicht von wem, die er doch mit mehr Vorsicht und Prüfung hier vortragen sollte. Mag Eichler selbst ein so verlogener Mensch sein wie er will – wenn er behauptet hätte, er hätte von mir einen Auftrag erhalten, so ist das gar nicht möglich nach der Zeit, in der einzigen Woche des September, in der ich überhaupt Minister gewesen bin. Mir ist er nur erinner¬lich, weil er späterhin Forderungen an mich gestellt hat für Dienste, die er mir nicht geleistet hatte. – (Ruf: Aha!) Aha? Weiß der Unterbrecher vielleicht, wem er sie geleistet hat, so bitte ich, sich zu melden! Ich sagte, mir hat er sie nicht geleistet – aber es ist zu bedauern, daß solche Unterbrechungen anonym bleiben, man hat dann keine Anhaltspunkte zu entgegnen.

    Bei der Gelegenheit erst ist mir in Erinnerung gekommen, daß Herr Eichler im Dienste der Polizei gewesen ist und daß er Berichte geliefert hat, von denen einige zu meiner Kenntnis gekommen sind, aber es ist das nicht mein spezielles Departement, und ich habe mit diesen Leuten niemals direkte Verbindung gehabt. Von diesen Berichten betraf keiner die sozialdemokratische Partei, sie bezogen sich vielmehr auf die intimen Verhandlungen der Fortschrittspartei und, wenn ich nicht irre, des Nationalvereins. Das ist das einzige von diesem Agenten, wobei ich mich erinnere, den Namen gehört zu haben. Im übrigen kann ich versichern, daß ich nie in meinem Leben mit irgendeinem Sozialdemokraten geschäftlich verhandelt habe und kein Sozialdemokrat mit mir; denn Lassalle rechne ich nicht dazu, das war eine viel vornehmere Natur, als seine Epigonen, das war ein bedeutender Mann, mit dem konnte man wohl sprechen. Aber der Inhalt dieser Unterhaltungen ist vollständig von Anfang bis zu Ende unwahr angegeben, und Herrn Bebel wird es gewiß lieb sein, dies zu erfahren, denn ich stelle dadurch der Sozialdemokratie das Zeugnis aus, daß sie nie gebuhlt hat mit der ministeriellen Macht, um sich zum Werkzeuge gegen andere Parteien gebrauchen zu lassen. Aber es ist auch unwahr, daß das von ministerieller Seite jemals versucht worden ist.

    Es haben auch zu meinem Bedauern andere Herren bei ihren Wahlreden Andeutungen gemacht, daß „maßgebende“ Persönlichkeiten sich mit den Sozialisten eingelassen hätten; es ist dies eine Gattung von Beredsamkeit, die da angebracht werden kann, wo sie keine Widerlegung findet, aber hübsch ist es nicht, wenn solches argumentum ad hominem gegen besseres Wissen und Urteil gebraucht wird. Ich brauche niemand zu nennen, jeder wird sich selbst seiner Wahlreden erinnern. Was die Fabel betrifft, daß ich damals überhaupt mit den Sozialisten gegen die Fortschrittspartei mich hätte einlassen wollen – jeder, der noch das Gedächtnis an jene Zeit hat, wird sich erinnern, daß unsere Politik im Winter von 1862 auf 1863 so lag, daß ich offenbar auf Versöhnung und nicht auf einen Konflikt mit dem Landtage rechnete. Ich brauche nur an das Vinckesche Amendement zu erinnern, dessen Genehmigung von seiten Seiner Majestät des Königs ich damals erreicht hatte, was aber die dadurch angestrebte Vermittlung nicht brachte, weil ich mich auch noch auf die Motive verpflichten sollte.

    Es ist nicht meine Absicht, alte Streitigkeiten zu erneuern, sondern zu beweisen, daß ich damals durchaus nicht in der Stim¬mung war, nach einem Bündnis mit wilden Völkerschaften zu suchen, sondern daß mein Streben auf Versöhnung gerichtet war. Auch diese Eichlersche Summe von 60 000 bis 80 000 Talern – wo hätte ich sie hemehmen sollen, weil wir keine geheime Fonds hatten? Der ganze Eichler existierte nicht, und ich bitte den Abgeordneten Bebel, demjenigen, der ihm das aufgebunden hat, zu sagen, er wäre einfach ein Lügner. Der Abgeordnete Bebel ist zu entschuldigen, denn es ist nicht denkbar, daß jemand hier etwas sagen sollte, von dessen Wahrheit er nicht überzeugt wäre. Also auch das Abweisen des Herrn mit seinem Angebot hat niemals stattgefunden.

    „Dann trat Lassalle auf“

    - gewiß trat er auf -

    „und von neuem machte die Regierung die äußersten Anstrengungen, mit Lassalle, der es nicht suchte, in Verbindung zu treten, und die Verhandlungen wurden durch einen Prinzen des Königlichen Hauses und die Gräfin Hatzfeldt angefangen.“

    Das macht mir beim Lesen einen komischen Eindruck; selbst in jenen Kreisen kann man also ohne eine gewisse Staffage aus den höchsten Gesellschaftskreisen nicht auskommen. Ein königlicher Prinz, eine Gräfin und ein Gesandter werden hineingezogen. Das gehört zur Dekoration, um das Ganze glaublich zu machen und um dem Zuhörer, welcher nach seinem Bildungsgrade unfähig ist, zu prüfen, eine Idee von der Wichtigkeit beizubringen. Ich bedaure, daß man dem Herrn Abgeordneten Bebel den königlichen Prinzen, es gibt deren sehr viele, gar nicht näher bezeichnet hat. Wenn er seinen Gewährsmann darum vielleicht bitten wollte – es wäre von historischem Interesse, den Prinzen unter den sechs oder acht, die damals lebten, näher zu bezeichnen.

    Bis dahin muß ich mir aber erlauben, dies positiv zu bestreiten. Ich wenigstens habe keiner prinzlichen Verbindung bedurft, um zu Lassalle zu gelangen oder ihn zu mir zu bringen, und die Frau Gräfin Hatzfeldt habe ich nicht die Ehre zu kennen, ich habe sie zum letztenmal in meinem Leben 1835 im Hause ihres Schwagers gesehen. Also diese Vermittlung ist eben eine Erfindung in usum einfältiger Leute, die aber vor Leuten, wie sie hier sind, nicht hätte vorgebracht werden sollen. Lassalle selbst hatte ein dringendes Bedürfnis, mit mir in Beziehung zu treten, und wenn ich einmal Zeit gefunden haben werde, in alten Papieren zu suchen, glaube ich die Briefe noch zu finden, welche den Wunsch aussprechen und die Gründe enthalten, die mich bewegen sollten, seinen Wunsch zu erfüllen, und ich habe es ihm auch gar nicht schwierig gemacht. Ich habe ihn gesehen, und von dem Augenblicke an, wo ich mit ihm eine Stunde gesprochen, habe ich es nicht bereut. Ich habe ihn nicht in jeder Woche drei- bis viermal gesehen, sondern im ganzen dreimal, meinethalben viermal, ich weiß es nicht.

    Unsere Beziehung konnte gar nicht die Natur einer politischen Verhandlung haben. Was hätte mir Lassalle bieten und geben können? Er hatte nichts hinter sich. In allen politischen Verhandlungen ist das do ut des eine Sache, die im Hintergrund steht, auch wenn man anstandshalber einstweilen nicht davon spricht. (Heiterkeit.) Wenn man sich aber sagen muß: Was kannst du armer Teufel geben? – er hatte nichts, was er mir als Minister hätte geben können. Was er hatte, war etwas, was mich als Privatmann außerordentlich anzog: er war einer der geistreichsten und liebenswürdigsten Menschen, mit denen ich je verkehrt habe, ein Mann, der ehrgeizig im großen Stil war, durchaus nicht Republikaner; er hatte eine sehr ausgeprägte nationale und monarchische Gesinnung, seine Idee, der er zustrebte, war das Deutsche Kaisertum, und darin hatten wir einen Berührungspunkt.

    Lassalle war ehrgeizig im hohen Stil, und ob das Deutsche Kaistertum gerade mit der Dynastie Hohenzollern oder mit der Dynastie Lassalle abschließen solle, das war ihm vielleicht zweifelhaft (große Heiterkeit), aber monarchisch war seine Gesinnung durch und durch. Aber diesen kümmerlichen Epigonen, die sich jetzt mit ihm brüsten, hätte er ein Quos ego! zugeschleudert, sie mit Hohn in ihr Nichts zurückgewiesen, und würde sie außerstande gesetzt haben, seinen Namen zu mißbrauchen. Lassalle war ein energischer und sehr geistreicher Mensch, mit dem zu sprechen sehr lehrreich war; unsere Unterredungen haben stundenlang gedauert, und ich habe es immer bedauert, wenn sie beendet waren.

    Dabei ist auch unrichtig, daß ich mit Lassalle auseinandergekommen sein soll in dieser Art von persönlichen Beziehungen, von Beziehungen persönlichen Wohlwollens, wie es sich zwischen uns gebildet hatte, indem er offenbar den angenehmen Eindruck hatte, daß ich in ihm einen Mann von Geist sähe, mit dem zu verkehren angenehm war, und er seinerseits den angenehmen Eindruck hatte, daß ich ein intelligenter und bereitwilliger Hörer sei. Von Verhandlungen war schon deshalb nicht die Rede, weil ich in unseren Unterredungen wenig zu Worte kam (Heiterkeit), er trug die Kosten der Unterhaltung allein, aber er trug sie in angenehmer und liebenswürdiger Weise, und jeder, der ihn kannte, wird mir in der Schilderung recht geben.

    Er war nicht der Mann, mit dem bestimmte Abmachungen über das do ut des abgeschlossen werden konnten, aber ich bedaure, daß seine politische Stellung und die meinige mir nicht gestatteten, viel mit ihm zu verkehren, aber ich würde mich gefreut haben, einen ähnlichen Mann von dieser Begabung und geistreichen Natur als Gutsnachbam zu haben. (Heiterkeit.) Wenn dieser Mann durch seinen Geist und seine Bedeutung mich anzog, so ist es ja, abgesehen davon, meine Pflicht als Minister, mich über die Elemente, mit denen ich es zu tun habe, zu belehren, und ich würde auch, wenn Herr Bebel den Wunsch hätte, sich abends mit mir zu unterhalten, ihm nicht ausweichen, ich würde daran vielleicht die Hoffnung knüpfen, daß ich endlich auch erführe, wie Herr Bebel und Genossen sich den Zukunftsstaat, auf den sie uns durch Niederreißen alles dessen, was besteht, was uns teuer ist und schützt, vorbe-reiten wollen, eigentlich denken. (Ruf: Ganz gewiß!)

    Es ist das Besprechen außerordentlich schwierig, solange wir darüber in demselben Dunkel tappen, wie die gewöhnlichen Zuhörer bei den Reden in sozialdemokratischen Versammlungen; sie erfahren auch nichts davon, es wird versprochen, es werde besser werden, es gäbe bei wenig Arbeit mehr Geld – woher es kommt, sagt kein Mensch, namentlich, woher es auf die Dauer kommt, wenn die Teilung, die Beraubung der Besitzenden einmal geschehen sein wird; denn dann wird vielleicht der Arbeitsame und Sparsame wieder reich werden, und der Faule und Ungeschickte wird wieder arm werden, und wenn das nicht ist, wenn jedem das Seinige von obenher zugewiesen werden soll, gerät man in eine zuchthaus¬mäßige Existenz, wo keiner seinen selbständigen Beruf und seine Unabhängigkeit hat, sondern wo ein jeder unter dem Zwang der Aufseher steht. Und jetzt im Zucht¬haus, da ist wenigstens ein Aufseher zur Kontrolle, das ist ein achtbarer Beamter, über den man sich beschweren kann; aber wer werden dann die Aufseher sein in dem allgemeinen sozialistischen Zuchthaus? Das werden die Redner sein, die durch ihre Beredsamkeit die große Masse, die Majorität der Stimmen für sich gewinnen, gegen die wird kein Appell sein, das werden die erbarmungslosesten Tyrannen und die anderen Knechte der Tyrannen sein, wie sie je erfunden wurden. Ich glaube, niemand wird in solchen Verhältnissen leben mögen, wenn er sich dieses Ideal ausmalt, was wir so durch die Ritzen zu erfahren kriegen – denn offen hat noch keiner der Herren ein positives Programm geben wollen; sowie sie mit einem solchen auftreten würden, wie sie wirklich sich die Zukunft zu gestalten denken, so lacht sie jeder einsichtige Arbeiter aus, und dem wollen sie sich nicht aussetzen; deshalb hören wir nie von einem positiven Programm, nur von der Negation des Bestehenden. Alles das hat mich nicht abgehalten, für die verständigen Bestrebungen, die damals noch den Hauptkern in der Sozialdemokratie bildeten, für die Verbesserung der Lage der arbeitenden Klassen stets ein warmes Herz und ein offenes Ohr zu haben, und auch, was mir Lassalle darüber mitteilte, war ja anregend und lehrreich; denn er wußte viel und hatte viel gelernt – das möchte ich den Herren, die seine Nachfolger werden wollen, zunächst auch empfehlen.

    Auch die Geschichte mit dem bayerischen Gesandten – ich berührte es schon vorhin – ist eine von diesen Verzierungen bei Geschichtserzählungen, die so aussehen, als wüßte man ganz genau, was passiert ist. Ich kann ja keine Erinnerung haben von Zeiten vor 13 oder 15 Jahren, aber sie ist nach Einrichtung meines Hauses ganz absolut unmöglich; denn ein Gesandter und überhaupt, wer nicht zu meinen Kollegen oder zum Dienst Seiner Majestät gehört, wird mir nie, unter keinen Umständen, unvorbereitet angemeldet, mag jemand bei mir sein oder nicht, sondern jeder Gesandte ist in der Notwendigkeit, zu schicken und zu fragen, welche Stunde ich ihm geben kann, und zu der Stunde natürlich muß ich ihn empfangen, da kann kein Lassalle mich abhalten. Also daß dieser Gesandte einer in partibus infidelium ist (Heiterkeit), darüber kann jeder von den Herren, die einen Beweis darüber erheben wollen, meine Dienerschaft vernehmen lassen; die wird ihm sagen, daß solch eine Meldung zu unrechter Zeit in meinem Hause ganz unmöglich ist.

    Unsere Unterhaltungen drehten sich gewiß auch um das allgemeine Wahlrecht, unter keinen Umständen aber jemals um eine Oktroyierung desselben. Auf einen so ungeheuerlichen Gedanken, das allgemeine Wahlrecht durch Oktroyierung einzuführen, bin ich in meinem Leben nicht gekommen. Ich habe das allgemeine Wahlrecht akzeptiert mit einem gewissen Widerstreben als Frankfurter Tradition. In den deutschen Rivalitäten mit den Gegnern des Reiches war die Karte einmal ausgespielt, und wir haben sie als auf dem Tische liegende Hinterlassenschaft mitgefunden. Einen so festen Glauben an die bessere Wirkung eines anderen Wahlrechts hatte ich nicht, daß wir im Kampfe mit unseren Nebenbuhlern dieses populäre und von der früheren Frankfurter Versammlung hinterlassene Mittel hätten ablehnen sollen; eine feste Überzeugung von der Wirkung der einzelnen Wahlsysteme habe ich damals schwerlich gehabt.

    Es ist das wohl auch für niemand leicht, obschon wir nun schon eine langjährige Probe der Wirkung verschiedener Wahlsysteme in denselben Ländern nebeneinander haben. Wir haben ja einen Reichstag infolge des allgemeinen Stimmrechts; wir haben ein anderes Wahlsystem im Preußischen Landtag. Nun, meine Herren, es sind ja viele, die Mitglieder beider Versammlungen sind, Sie können sich doch einigermaßen ein Urteil über die Wirkung der beiden Systeme in demselben Land bilden, und jeder wird sich ja sagen können: die eine oder die andere Versammlung macht einen richtigeren, würdigeren, besseren parlamentarischen Eindruck oder nicht. Ich will lieber, wird der eine sagen, mit dem Reichstag verkehren, der andere sagt vielleicht, mit dem Landtag. Meine Herren, ich will da kein Konklusum ziehen, ich will weder dem Landtag etwas Unangenehmes, noch dem Reichstag eine Schmeichelei sagen; aber ich verkehre lieber hier inmitten der Ergebnisse des allgemeinen Stimmrechts, trotz der Auswüchse, die wir ihm verdanken.

    Die Nachweise, warum, überlasse ich jedem selbst zu finden, der beide Versammlungen kennt, aber ich kann mich nicht dazu verstehen, zuzugeben, daß das allgemeine Stimmrecht bisher ad absurdum geführt wäre durch seine Ergebnisse, und daß ein anderes, namentlich ein besseres, sein Examen bereits bestanden hätte. Es wird ja auch bei uns der Wähler mit der Zeit urteilsfähiger werden, er wird nicht mehr den beliebigen Versicherungen seiner Abgeordneten, seines Kandidaten, unbedingt Glauben schenken über alles, was Nachteiliges über die Regierung sich vorbringen läßt, er wird nicht vielleicht mehr bloß eine Zeitung lesen, er wird auch mehr Vertrauen vielleicht zu den Leitern gewinnen, die er jetzt verschmäht. Ich habe darin noch bis jetzt nichts zurückzunehmen, obschon ich alle die Anträge bereitwillig und unparteiisch würdige, die in dem allgemeinen Stimmrecht einen Teil der Ursachen unserer Schäden suchen. Ich sage nur: Überzeugt bin ich nicht, ich lasse mich gern überzeugen und sehe kein Verbrechen darin, das allgemeine Stimmrecht mit einem gescheiten Menschen seinerzeit besprochen zu haben.

    Dann ebenso die Gewährung von Staatsmitteln zu Produktivgenossenschaften – das ist auch eine Sache, von deren Unzweckmäßigkeit ich noch heute nicht überzeugt bin. Der Versuch, ich weiß nicht, ob unter dem Eindruck von Lassalles Räsonnement oder unter dem Eindruck meiner eigenen Überzeugung, die ich zum Teil in England während eines Aufenthalts im Jahre 1862 gewonnen hatte – mir schien es, daß in der Herstellung von Produktivassoziationen, wie sie in England im blühenden Verhältnisse existieren, die Möglichkeit lag, das Schicksal des Arbeiters zu verbessern, ihm einen wesentlichen Teil des Unternehmergewinns zuzuwenden.

    Ich habe darüber auch mit Seiner Majestät, der für das Schicksal der arbeitenden Klassen ein natürliches, angeborenes Wohlwollen und Fürsorge hat, gesprochen, und der König hat damals aus eigenen Privatmitteln eine Summe Geldes hergegeben, um zu seiner eigenen Überzeugung, ob so etwas ginge, in Anknüpfung an eine Arbeiterdeputation, die durch den Meinungszwang und die Tendenzpolitik ihrer Arbeitgeber außer Brot gekommen war und sich hier meldete, etwas der Art zu versuchen. Es sind hier darüber Worte zitiert, die ich mit einem Herrn Paul, einem von diesen Arbeitern, gewechselt haben soll. Ich weiß nicht mehr – er mag ein besseres Gedächtnis haben als ich – was ich mit ihm gesprochen habe, aber dessen bin ich nach meiner Selbstkenntnis sicher, daß ich eine Summe von 6000 – 7000 Talern nicht „Lumperei“ genannt habe, und wenn die Herren das Wort „Lumperei“ brauchten, warum haben sie es denn nicht lieber an das Hundertmillionenprojekt geknüpft? – da wäre es viel wirksamer gewesen – an das Hundertmillionenprojekt, das ich Lassalle zugesagt haben soll? Wenn man etwas derartiges Großes unternehmen wollte, so ist es ja wohl möglich, daß man hundert Millionen dazu gebrauchen könnte – es sind Taler gemeint – aber so ganz töricht und einfältig scheint eine solche Sache immer noch nicht.

    Wir stellen im landwirtschaftlichen Ministerium Versuche an über landwirtschaftliche Systeme, wir versuchen auch wohl in unserer Fabrikation – wäre es nicht nützlich, auch in der Beschäftigung der Menschen und in dem Bestreben, die sogenannte sozialdemokratische, ich will lieber sagen soziale Frage durch Verbesserung des Loses der Arbeiter zu lösen, dergleichen Versuche zu erneuern? Wenn mir darüber ein Vorwurf gemacht werden kann, wie ich mich dabei verhalten habe, so ist es doch höchstens der, daß ich das nicht fortgesetzt habe bis zu einem befriedigenden Ergebnis. Aber es war nicht mein Departement, ich hatte die Zeit nicht dazu, es kamen kriegerische Verhältnisse, die auswärtige Politik wurde tätiger, während des Konflikts war viel mehr Zeit für dergleichen übrig als später. An der Spitze der Versuche stand ein achtbarer Name, der Landrat Olearius, aber man kann, ob der Gedanke überhaupt fehlerhaft war, an einem solchen Experiment im kleinen Stil nicht beurteilen. In ganz großem Stil würde es sich aber vielleicht auch nicht durchführen lassen; solche Etablissements, wie zum Beispiel das von Krupp, unter einer anderen als monarchischen Verfassung gedacht, unter einer republikanischen, wären nicht möglich. Aber in der gewöhnlichen landläufigen Fabrikation halte ich diesen Weg, dem Arbeiter zu einer besseren Existenz zu verhelfen, durchaus nicht ausgeschlossen und sehe auch für einen Staatsmann kein Verbrechen darin, wenn er zu dem Behufe den Arbeitern, die eine Assoziation bilden wollen, Staatshilfe gewährt, namentlich, um Versuche in der Richtung zu machen.

    Ich habe, soweit meine Erinnerung reicht, den Eindruck erhalten, daß der ganze fabrizierende Teil der Einrichtung und der Beschäftigung gar keine Schwierigkeiten bot; es war der kaufmännische, in dem die Sache stockte, die Verwertung der gewonnenen Produkte durch Reisende, in Lagern, in Magazinen, durch Proben. Das alles ließ sich nicht machen innerhalb einer Sphäre, die die Arbeiter übersehen konnten. Es kann auch vielleicht daran liegen – und dann wäre es vielleicht eine dauernde Unmöglichkeit – daß den deutschen Arbeitern das Maß von Vertrauen zueinander und zu Höhergestellten und von Wohlwollen untereinander nicht eigen ist, wie wir es in England, in den englischen Assoziationen kennen. Aber wie man mir daraus einen Vorwurf machen kann, daß ich mit Geldern, die nicht Staatsmittel waren, sondern die Seine Majestät aus Privatmitteln dazu geschenkt hatte, einen solchen Versuch machte, kann ich nicht verstehen, und daß man daran einen gewissen Anklang macht, als wenn es eine Schlechtigkeit von mir gewesen wäre, daß ich als Minister dies angeraten hätte. Der Fehler könnte umgekehrt nur in der Lässigkeit gefunden werden, daß ich die Versuche nicht fortgesetzt hätte. Nur auf die Heiterkeit der Zuhörer ist es wohl berechnet, daß mehrere Minister „diese schlechte Schundware zu den teuren Preisen haben nehmen müssen“. Hier sitzen auch mehrere Minister, und die Tradition von solchen Wunderlichkeiten würde sich doch in den Bureaus fortgesetzt haben, man würde wissen, wo der Schund geblieben ist; und das sind doch Dinge, die in einer ernsten Versammlung, wie dieser, nicht behauptet werden sollten.

    Was nun weiter erzählt wird: Nach Lassalle trat Dr. Dämmer ein – das sind mir ganz unbekannte Namen. Ebenso muß ich zu meiner Schande gestehen, daß ich nicht weiß, wer Fritzsche ist (Heiterkeit), während hier gesagt wird, daß Fritzsche über alle diese Versammlungen an den Fürsten Bismarck berichtet habe. Ja, das hat wieder einer Herrn Bebel vorgelogen, ich weiß nicht, wer, vielleicht Fritzsche selbst; ich weiß nicht, wer Fritzsche ist. (Ruf: Abgeordneter!) Dann bitte ich sehr um Verzeihung, dann ist es ja nicht möglich, ein Abgeordneter kann ja so etwas nicht tun. Ich möchte doch Herrn Fritzsche bitten, Zeugnis darüber abzulegen, ob er jemals einen Bericht an mich geschrieben hat, ob er ein Zeugnis darüber hat, daß ich je einen Bericht von ihm gelesen habe. Wenn er anwesend ist, so ist ja der Zeuge gleich zur Hand, warum sollte er nicht für Herrn Bebel aufstehen, wenn er bereit ist, darauf einen Eid zu leisten? Ich werde dann vielleicht die Möglichkeit haben, die Sache bis dahin zu treiben. Wenn es ein Abgeordneter ist, so bitte ich tausendmal um Verzeihung, wenn ich Bedenken bezüglich der Wahrhaftigkeit geäußert habe, aber das war mir ganz entgangen. Hat der Herr wirklich für mich etwas blau anstreichen müssen? Es wäre mir interessant zu erfahren, wer Herrn Bebel diese Geschichte aufgebunden hat. Was andere getan haben, weiß ich nicht. Daß ich Herrn Wagener nach Eisenach geschickt habe, um mir Bericht zu erstatten über die Ergebnisse der dortigen Verhandlungen, war einfach meine Pflicht und Schuldigkeit, daß ich irgend jemand hinschickte, und der Geheimrat Wagener war für diese Sachen ein durchaus fachkundiger Mann, ein Mann von Geist. Daß er seinen damaligen Sekretär Rudolf Meyer mitgenommen hat, habe ich nicht gewußt; es ist, soviel ich weiß, derselbe Rudolf Meyer, der bei der „Reichsglocke“ beschäftigt gewesen ist, mit dem ich Prozesse gehabt habe, die mir durch das Wohlwollen der Gerichte so unangenehm wie möglich gemacht wurden (Heiterkeit), und von dem ich nie vermutet habe, daß ich irgendeiner Gemeinschaft mit ihm angeklagt werden sollte. Ich höre durch alles dieses die leisen Reichsglockentöne noch durchtönen.

    Ich komme zu der Frage zurück, wann und warum ich meine Bemühungen um soziale Verhältnisse aufgegeben habe, und wann überhaupt meine Stellung zu der sozialen Frage eine andere geworden ist, sozialdemokratische mochte sie sich damals nennen. Es stammt dies von dem Augenblick her, wo in versammeltem Reichstag – mein Gedächtnis verläßt mich da, wie bei Fritzsche – ich weiß nicht, war es der Abgeordnete Bebel oder Liebknecht, aber einer von diesen beiden, in pathetischem Appell die französische Kommune als Vorbild politischer Einrichtungen hinstellte und sich selbst offen vor dem Volke zu dem Evangelium dieser Mörder und Mordbrenner bekannte. Von diesem Augenblick an habe ich die Wucht der Überzeugung von der Gefahr, die uns bedroht, empfunden; ich war inzwischen abwesend gewesen durch Krankheit und Krieg, ich habe mich dabei nicht um diese Dinge bekümmert – aber jener Anruf der Kommune war ein Lichtstrahl, der in die Sache fiel, und von diesem Augenblick an habe ich in den sozialdemokratischen Elementen einen Feind erkannt, gegen den der Staat, die Gesellschaft sich im Stande der Notwehr befindet.

    Die Versuche, die ich dagegen gemacht habe bei den verschiedenen Akten der Gesetzgebung, die wir hatten, sind ja bekannt und in der Erinnerung des Reichstags; Sie wissen ja, ich bin damit nicht durchgekommen, ich habe sogar viel Vorwürfe darüber hören müssen, aber es hat von dem Augenblick an Versuchen, dem Sozialismus entgegenzutreten, nicht gefehlt. Ich glaube auch nicht an die Fruchtlosigkeit unserer Versuche, von der man immer spricht; wir haben gar nicht nötig, in Deutschland zu den drastischen Mitteln wie in Frankreich zu greifen, aber Frankreich ist von dem Vorort des Sozialismus sehr erheblich zurückgetreten auf einen Standpunkt, mit dem die Regierung und die Gesellschaft es aushalten kann. Wodurch denn? Etwa durch die Über¬zeugung? Nein! Durch gewaltsame Repressionen, durch Mittel, die ich gar nicht zur Nachahmung bei uns empfehlen möchte, und ich hoffe, wir werden dahin bei uns nicht kommen. England hat für alle dergleichen Exzesse und Vergiftungen der öffentlichen Meinung sehr viel strengere Strafen; wer dort angefaßt wird, dem ist eine Gefängnisstrafe von 30 Tagen das mindeste, was er bekommt.

    Was ist aber ein englisches Gefängnis? Das ist nicht, wie hier am Plötzensee, wo ja die Herren sich ganz behaglich finden, sondern da ist eine hölzerne Pritsche und weiter nichts, das ist, wie wenn jemand auf Latten liegt, und solche 30 Tage Gefängnis ist nicht etwas, was jemand so leicht erträgt wie zwei Monate Plötzensee. Ist denn dieser rhetorische Appell, der damals an die Kommune gerichtet wurde, dieser Appell an die Drohungen und die Gewalttat, ist denn der bloß als eine rhetorische Form zu nehmen, hat er sich denn nicht in langjähriger Preßtätigkeit fortgesetzt? Seit Jahren habe ich diese Presse beobachtet, und die Aufforderung zur Gewalttat und die Vorbereitung auf künftige Gewalttat ist ja in der Presse sehr erkennbar, auch ohne daß es so deutlich wird, wie in den letzten Wochen. Ich erinnere mich eines Artikels aus einem sozialistischen Blatte, ich habe ihn zwar nur in dem Auszuge, welchen die „Post“ von demselben gegeben hat, gelesen, da war der Mord des Generals Mesenzow als eine gerechte Hinrichtung geschildert und in wenig mißverständlichen Ausdrücken die Anwendung des ähnlichen Systems auf unsere deutschen Verhältnisse empfohlen, und er schloß mit dem Worte: discite moniti!

    Nun, meine Herren, der Artikel wird Ihnen wohl allen in der Erinnerung sein; es war nicht etwa ein lapsus calami, sondern ganz in jüngster Zeit habe ich aus denselben Kreisen einen anderen Artikel gelesen, wahrscheinlich von derselben Zeitung, in dem gesagt war, alle unsere Beschlüsse, unsere Gesetze könnten der Sozialdemokratie nichts tun, aber die Gesetzgeber und alle, die dabei mitwirken, möchten sich doch der Verantwortlichkeit einmal recht klar bewußt werden, die sie persönlich übernehmen, wenn sie gegen die Sozialdemokratie vorgehen, und man schloß auch hier mit der deutlichen Wendung der deutschen Übersetzung des discite moniti! – mit dem Anklang an den ersten Artikel, der so große Entrüstung erregte, mit dem Rufe: Ihr seid gewarnt! Wovor denn gewarnt? Doch vor nichts anderem als vor dem nihilistischen Messer und der Nobilingschen Schrotflinte.

    Ja, meine Herren, wenn wir in einer solchen Weise unter der Tyrannei einer Gesellschaft von Banditen existieren sollen, dann verliert jede Existenz ihren Wert (Bravo! rechts), und ich hoffe, daß der Reichstag den Regierungen, dem Kaiser, der den Schutz für seine Person, für seine preußischen Untertanen und seine deutschen Landsleute verlangt – daß wir ihm zur Seite stehen werden! Daß bei der Gelegenheit vielleicht einige Opfer des Meuchelmordes unter uns noch fallen werden, das ist ja sehr wohl möglich, aber jeder, dem das geschehen könnte, mag eingedenk sein, daß er zum Nutzen, zum großen Nutzen seines Vaterlandes auf dem Schlachtfeld der Ehre bleibt! (Lebhaftes Bravo! rechts.)