Rede im Reichstag, Berlin

    19. Februar 1878


    Angesichts der drohenden Gefahr eines europäischen Krieges erklärt Bismarck sich bereit, eine internationale Konferenz einzuberufen. Bei der Vermittlung des Friedens beabsichtigt er im Falle divergierender Ansichten, nicht die Rolle eines Schiedsrichters zu spielen, sondern die „eines ehrlichen Maklers, der das Geschäft wirklich zustande bringen will.“

    Ich bitte zuvörderst um die Nachsicht des Reichstages, wenn ich nicht imstande sein sollte, alles, was ich zu sagen habe, stehend zu sagen. Ich bin nicht so gesund, wie ich vielleicht aussehe.

    Auf die Sache eingehend, kann ich nicht leugnen, daß ich beim ersten Anblick der Interpellation Zweifel gehabt habe, nicht ob ich sie überhaupt beantworten könnte – denn die Fragestellung läßt mir ja auch frei, sie mit Nein zu beantworten – aber ob ich nicht dieses Nein würde sagen müssen, nicht etwa, wie man gewöhnlich annimmt, weil ich besonders viel zu verschweigen hätte, durch dessen Offenbarung unsere Politik kompromittiert, in einer unerwünschten Weise gebunden werden könnte, sondern umgekehrt, weil ich, um freiwillig das Wort zu einer Eröffnung gegenüber der Vertretung des Reichs zu nehmen, eigentlich nicht genug zu sagen habe, was nicht schon öffentlich bekannt wäre.

    Die Verhandlungen des englischen Parlaments haben ja die Beantwortung des einen Teils der Frage, nämlich, „welches die politische Lage im Orient augenblicklich sei“, fast schon erschöpft. Wenn ich trotz der Armut, mit der ich vor Sie trete, doch nicht nein gesagt habe, so ist es wegen der Befürchtung, daß man daraus schließen könnte, ich hätte vieles zu verschweigen, und ein solcher Eindruck hat immer etwas Beunruhigendes, namentlich wenn sich Berechnungen daran knüpfen, dieses Schweigen auszubeuten. Und deshalb spreche ich um so lieber ganz offen, als ich nach der Art, wie die Interpellation eingeleitet worden ist, den Eindruck bekomme, daß die deutsche Politik im ganzen nichts weiter zu tun haben wird, als ihren bisherigen Gang unentwegt und unbeirrt fortzusetzen, um der Meinung der Majorität des Reichstages, insoweit ich die eben gehörten Äußerungen als einen Ausdruck derselben betrachten darf, zu entsprechen. (Bravo!)

    Was die jetzige Lage betrifft, so vermute ich allerdings, daß dasjenige, was ich darüber sagen kann, Ihnen schon bekannt ist. Sie wissen aus den öffentlichen Blättern und aus den englischen Parlamentsverhandlungen, daß im Orient man augenblicklich sagen kann: „Die Waffen ruhn, des Krieges Stürme schweigen“ – gebe Gott, auf lange! Der Waffenstillstand, der abgeschlossen worden ist, gibt der russischen Armee eine zusammenhängende Stellung von der Donau bis zum Marmarameer, mit der Basis, die ihr früher fehlte, nämlich den Donaufestungen – ein Moment, welches mir mit das wichtigste in dem ganzen Waffenstillstand erscheint, welches aber von keiner Seite eine Anfechtung erfahren hat. Sie schließt von der russischen Besetzung aus, wenn ich vom Norden anfangen soll, einen viereckigen Ausschnitt, der Varna und Schumla umfaßt, an der Küste des Schwarzen Meeres nördlich bei Baltschik, südlich etwas vor der Bai von Burgas endet und sich in das Land hinein erstreckt bis etwa nach Rasgrad – eine ziemlich viereckige Strecke. Sie schließt aus Konstantinopel und die Halbinsel Gallipoli, also diejenigen beiden Punkte, auf deren Freibleiben von der russischen Besetzung ein wesentlicher Wert von anderen beteiligten Mächten gelegt wird.

    Diesem Waffenstillstand vorhergegangen sind gewisse Friedenspräliminarien, die, auf die Gefahr hin, Ihnen Bekanntes zu sagen, ich obiter rekapituliere, um daran die Frage zu knüpfen, ob in einer derselben ein deutsches Interesse engagiert ist. Es handelt sich zunächst um die Konstituierung Bulgariens „dans des limites déterminées par la majorité de la population bulgare, et qui ne sauraient être moindres que celles indiquées dans la conférence de Constantinople“.

    Der Unterschied zwischen diesen beiden Begrenzungen ist meines Erachtens nicht von der Erheblichkeit, daß darum der Frieden Europas verständigerweise gestört werden könnte. Die ethnographischen Nachrichten, die wir darüber haben, sind ja nicht authentisch, sind lückenweise; das Beste, was wir kennen wenigstens, ist von deutschen Händen geliefert in den Kiepertschen Karten. Danach geht die nationale Grenze, die Grenze der bulgarischen Nationalität, ziemlich unvermischt im Westen bis dicht über Salonichi herunter und im Osten mit zunehmender Mischung mit türkischen Elementen bis gegen das Schwarze Meer hin, während die Konferenzgrenze, soweit sie sich genau aus den Verhandlungen nachspüren läßt, namentlich in der östlichen Begrenzung vom Meere aus etwas nördlich von der Grenze der Nationalität bleibt, während sie zwei verschiedene bulgarische Provinzen in Aussicht genommen hat, und im Westen vielleicht etwas weiter als die bulgarische Nationalität in die mit albanischen Volksstämmen gemischten Bezirke hineingreift. Die Verfassung von Bulgarien würde nach den Präliminarien etwa eine ähnliche sein wie die von Serbien vor der Räumung von Belgrad und anderen festen Punkten; denn dieser erste Absatz der Präliminarien schließt mit den Worten: „L’armée ottomane n’y séjournerait plus“, und in Parenthese: „sauf quelques points à déterminer d’un commun accord“.

    Es wird also eine Sache der Unterhandlung unter den Mächten sein, welche den Pariser Vertrag von 1856 abgeschlossen haben, diese hier offen oder unbestimmt gelassenen Sätze näher zu bestimmen, sich darüber mit Rußland zu vereinigen, wenn es, wie ich hoffe, sein kann.

    Dann folgt: „L’indépendance du Monténégro----“, ebenso von Rumänien und Serbien; Bestimmungen über Bosnien und die Herzegowina, deren Reform „serait analogue“.
    Alle diese Sachen berühren meiner Überzeugung nach das deutsche Interesse nicht in dem Maße, daß wir darüber die Beziehungen zu unseren Grenznachbarn, zu unseren Freunden aufs Spiel setzen könnten. Wir vermögen uns die eine oder die andere Bestimmung darüber gefallen zu lassen, ohne an unseren Interessen Schaden zu leiden.
    Es folgt dann unter 5 eine Bestimmung über die Kriegskosten, die offen läßt, ob „le mode soit pécuniaire, soit territorial“ sein könnte „de cette indemnité“. Das ist eine Sache, die im wesentlichen, soweit es pekuniär sein würde, die Kriegführenden betrifft, soweit es territorial sein würde, die Kontrahenten des Pariser Friedens betrifft und mit deren Sanktion zu regeln sein würde.

    Dann folgt der Punkt der Dardanellen, über den meines Erachtens sehr viel mehr Sorge in der Welt verbreitet ist, als durch die tatsächliche Möglichkeit seiner Entwicklung und Wahrscheinlichkeit gerechtfertigt ist. Es heißt darin ganz allgemein:

    „Sa Majesté le Sultan conviendrait de s’entendre avec Sa Majesté l’Empereur de Russie pour sauvegarder les droits et les intérêts de la Russie dans les détroits du Bosphore et des Dardanelles.“

    Die Frage der Dardanellen hat eine gewaltige Wichtigkeit, wenn es sich darum handelt, die dortige Durchfahrt, den Schlüssel des Bosporus und zur Dardanellenstraße, in andere Hände zu legen als bisher, wenn es sich darum handelt, zu entscheiden, ob Rußland die Dardanellen nach Belieben soll schließen oder öffnen können. (Sehr gut!) Alle anderen Stipulationen werden sich immer nur auf die Zeit des Friedens beziehen können, und für den Fall des Krieges, also den wichtigeren, wird es immer darauf ankommen, ob der Inhaber des Schlüssels der Dardanellen im Bunde oder in der Abhängigkeit mit den drin oder draußen Wohnenden von Rußland oder von Rußlands Gegnern ist.

    Im Falle des Krieges würde diese Vertragsbestimmung, die man treffen könnte, solange die Dardanellen eben in Händen sind, die im Frieden gewiß von Rußland unabhängig sind, meines Erachtens nicht die Bedeutung haben, die man ihr beilegt. Es kann für die Anwohner des Mittelländischen Meeres von Interesse sein, ob die russische Flotte im Schwarzen Meere berechtigt ist, in Friedenszeiten durch die Dardanellen zu fahren und sich dort zu zeigen; wenn sie sich dort zeigt, würde ich aber immer, wie beim Barometer auf gut Wetter, hier auf Frieden schließen; wenn sie sich aber zurückzieht und sich vorsorglich dort einschließt, dann würde man vermuten können, daß vielleicht Wolken aufsteigen. Aber die Frage, ob im Frieden durch die Dardanellen Kriegsschiffe fahren können, halte ich zwar nicht für unwichtig, aber doch nicht für so wichtig, daß man deshalb Europa sollte in Brand stecken können.

    Die Frage, ob der Besitz der Dardanellen in eine andere Hand übergeht, das ist ein ganz anderes Ding, aber eine Eventualität und Konjunktur, die meines Erachtens in der gegenwärtigen Situation nicht vorliegt, und über die ich mich deshalb nicht aussprechen will. Mir kommt es im Augenblick nur darauf an, ungefähr, soweit ich es kann, das Gewicht der Interessen zu bezeichnen, über welche ein weiterer Krieg, nachdem der russisch-türkische tatsächlich sein Ende erreicht hat, entstehen könnte, und deshalb kommt es mir darauf an, zu präzisieren, daß die Friedensbestimmungen über die Frage der Dardanellen in Bezug auf Kriegsschiffe kaum so wichtig sind wie in Bezug auf den Handel; darin liegt zunächst das hervorragendste deutsche Interesse im Orient, daß uns die Wasserstraßen, sowohl die der Meer-engen wie die der Donau vom Schwarzen Meer aufwärts, in derselben Weise wie bisher frei bleiben. (Sehr gut!) Das ist auch wohl sicher, daß wir das erreichen, ja, es ist gar nicht in Frage gestellt; in einer amtlichen Mitteilung, die mir von Petersburg darüber vorliegt, wird über diesen Punkt einfach Bezug genommen auf die bestehenden Stipulationen des Pariser Friedens; es kommt hier nichts in Frage, wir können nicht besser, nicht schlechter gestellt werden, als wir bisher gestanden haben.

    Das Interesse, welches wir an einer besseren Regierung der christlichen Nation, an einem Schutz gegen Gewalttaten, wie sie leider unter türkischer Herrschaft mitunter vorgekommen sind, haben, wird durch die zuerst genannten Punkte gewahrt werden, und das ist das zweite, minder direkte, aber doch menschlich indirekte Interesse, welches Deutschland in der Sache hat.

    Der Rest der Präliminarienstipulationen besteht in – ich will nicht sagen Redensarten, es ist ein amtliches Aktenstück – aber er hat keine Wichtigkeit für unsere heutige Verhandlung.

    Mit dieser Darlegung habe ich, soweit ich kann, den ersten Teil der Interpellation über die Lage der Dinge im Orient beantwortet und fürchte, daß ich niemand in dieser Sache etwas Neues gesagt habe.

    Der fernere Teil der Frage betrifft die Stellung, die Deutschland zu diesen Verhältnissen, zu diesen Neuerungen genommen hat, respektive nehmen wird, die genommene und die zu nehmende Stellung.

    In Bezug auf die genommene Stellung kann ich Ihnen für den Augenblick keine Mitteilung machen; denn wir sind amtlich seit sehr kurzer Zeit, ich kann wohl sagen: buchstäblich erst seit diesem Morgen, im Besitz der Aktenstücke, auf die ich vorhin Bezug nahm. (Hört! hört!) Was wir früher davon wußten, stimmte ungefähr damit überein, war aber nicht von der Natur, daß wir amtliche Schritte daran knüpfen konnten, es waren dies Privatmit¬teilungen, die wir der Gefälligkeit anderer Regierungen verdankten. (Hört! hört!)

    Also amtliche Schritte hierüber sind von uns noch nicht getan, und angesichts der, wie ich hoffe, bevorstehenden Konferenzen wäre es voreilig, solche zu tun, bevor man nicht auf den Konferenzen diese Mitteilungen als Material vorliegen hat und in der Lage ist, die Meinungen darüber gegenseitig auszutauschen. Was eine Änderung gegen die Stipulationen von 1856 sein wird, das wird also der Sanktion bedürfen; wenn es sie nicht erhielte, folgt daraus immer noch nicht notwendig ein neuer Krieg, aber es folgt ein Zustand daraus, den, glaube ich, alle Mächte Europas Grund haben zu vermeiden – ich möchte ihn fast nennen eine Versumpfung der Frage. Nehmen Sie an, daß in der Konferenz eine Einigung über das, was zu geschehen hat, nicht zustande käme, daß die beteiligten Mächte, welche solches vorzugsweises Interesse haben, den russischen Stipulationen zu widersprechen, sagen: Es konveniert uns in diesem Augenblick nicht, darüber Krieg zu führen, aber einverstanden sind wir mit dem, was Ihr abgemacht habt, auch nicht, wir behalten uns unsere Entschließung vor – das ist doch ein Zustand der Dinge, der auch der russischen Politik nicht erwünscht sein kann. Die russische Politik sagt mit Recht: wir haben keine Neigung, uns alle zehn oder zwanzig Jahre der Notwendigkeit einer türkischen Kampagne auszusetzen, die sehr aufreibend, anstrengend und kostspielig ist; aber sie kann auch nicht wünschen, dieser Gefahr die einer sich vielleicht in zehn oder zwanzig Jahren wiederholenden österreichisch-englischen Verwicklung zu substituieren. Ich glaube also, es liegt auch im Interesse Rußlands, wie es in dem aller übrigen liegt, zu einer Abmachung zu kommen und die Sache nicht unabgemacht auf spätere, vielleicht unbequemere Zeiten zu verschieben.

    Daß Rußland geneigt sein könnte, die Anerkennung der Änderungen, die es für notwendig hält, von den übrigen europäischen Mächten durch Krieg zu erzwingen, halte ich für eine Erwägung, die von aller Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist. Rußland würde sich mutmaßlich, wenn es die Zustimmung der übrigen Unterzeichner der Traktate von 1856 nicht jetzt erreichen könnte, mit dem Gedanken „beati possidentes“ begnügen. Es tritt dann die andere Frage ein, ob diejenigen, die unzufrieden sind mit den russischen Abmachungen und in erster Linie dabei interessiert sind, wirkliche, eigene, materielle Interessen dabei haben, bereit sind, Krieg zu führen, um Rußland zu nötigen, seine Bedingungen abzuschwächen, einen Teil davon aufzugeben, auf die Gefahr hin, in Rußland bei der Heimkehr der Truppen vielleicht das Gefühl zu hinterlassen, was etwa Preußen gehabt hat nach den Friedensschlüssen von 1815, also eine zurückgetretene Empfindung, daß die Sache eigentlich nicht zu Ende wäre und noch einmal versucht werden müßte, wenn es gelänge, Rußland zu zwingen, davon mehr aufzugeben als erträglich.

    Wenn dies durch Krieg gelänge, würde man also als Zweck dieses Krieges ansehen müssen: Rußland aus den bulgarischen Stellungen, die es augenblicklich innehat, aus der Konstantinopel ohne Zweifel bedrohenden Stellung – indessen es hat noch keine Miene gemacht, Konstantinopel zu besetzen – aus dieser Stellung zu vertreiben. Dann aber fällt auch denen, die dieses Ziel durch siegreichen Krieg erreicht haben würden, die Aufgabe und die Verantwortung zu, darüber zu bestimmen, was aus diesen Ländern der europäischen Türkei nunmehr werden soll. Ob sie bereit sind, ganz einfach die türkische Herrschaft wieder einzusetzen bis an ihre vollen Grenzen nach dem, was auf der Konferenz gesagt und beschlossen ist, halte ich nicht für wahrscheinlich; sie würden also irgendeine Bestimmung darüber treffen müssen; sehr verschieden von dem, was jetzt vorgeschlagen wird, im Prinzip kann es kaum sein, es kann in der Ausdehnung, in der räumlichen Ausdehnung, in dem Maße von Abhängigkeit wohl abweichen, aber ich glaube zum Beispiel nicht, daß die nächstbenachbarte Macht, Österreich-Ungarn, bereit wäre, die ganze Erbschaft der heutigen russischen Eroberungen zu übernehmen und für die Zukunft dieser slawischen Länder die Verantwortung zu übernehmen, sagen wir durch Einverleibung in den ungarischen Staat oder durch Vasalleneinrichtung; ich glaube nicht, daß das ein Ziel ist, was die österreichische Politik sehr lebhaft wünschen kann ihren eigenen slawischen Untertanen gegenüber, nun der verantwortliche Herausgeber der künftigen Zustände auf der Balkanhalbinsel sein zu müssen, und das wäre im Fall des Sieges die Situation.

    Ich stelle alle diese Eventualitäten, an die ich nicht glaube, nur hin, um zu beweisen, wie gering in meinen Augen die berechtigte Wahrscheinlichkeit eines europäischen Krieges ist, daß über eine etwas größere oder geringere Ausdehnung, wenn es nicht eben ganz grobe Verhältnisse wären, eines tributären Landes ein verheerender europäischer Krieg zwischen zwei großen benachbarten und befreundeten Mächten beschlossen werden sollte, mit kaltem Blute beschlossen werden sollte. (Bravo!) Das Blut wird ja kälter sein, wenn wir erst in der Konferenz vereinigt sind.

    Um diesen Eventualitäten zu begegnen, ist also der Gedanke der Konferenz zuerst von der österreichisch-ungarischen Regierung vorgeschlagen, wir sind von Hause aus, ich glaube, beinahe die ersten gewesen, die bereitwillig darauf eingegangen sind. Es haben sich Schwierigkeiten über die Wahl des Ortes der Konferenz erhoben, die meines Erachtens zu der Bedeutung der Sache nicht im Verhältnis stehen. Indes auch in dieser Beziehung haben wir keine Schwierigkeiten gemacht, wir haben uns mit den Lokalen, die überhaupt in Frage gekommen sind, einverstanden erklärt, es sind das Wien, Brüssel, Baden-Baden, Wiesbaden, Wildbad (Heiterkeit), ein Ort in der Schweiz – ich muß indes sagen, Wildbad nur durch sich selbst angemeldet (Heiterkeit) – aber es ist auch Stuttgart genannt; alle diese Orte wären uns genehm gewesen. Es scheint – wenn ich richtig unterrichtet bin, und es muß sich in wenigen Tagen entscheiden – daß die Wahl sich schließlich auf Baden-Baden fixieren wird. Unser Interesse, was von denjenigen Mächten, mit denen wir darüber korrespondiert haben, geteilt wird, ist die Beschleunigung der Konferenz ganz unabhängig von der Wahl des Ortes, es ist für uns ziemlich gleichgültig, wo die Konferenz stattfindet.

    Ich habe in Bezug auf deutsche Orte weiter keine Meinung geäußert als die, daß auf deutschem Boden auch deutsches Präsidium stattzufinden haben werde (Bravo!), eine Auffassung, der von keiner Seite widersprochen ist. Ob nach der Anerkennung des Prinzips aus Gründen der Zweckmäßigkeit absolut daran festzuhalten sein wird, wird sich finden je nach dem Personalbestande, der sich auf der Konferenz herausstellt, deren Abhaltung überhaupt ich meiner persönlichen Überzeugung nach als gesichert ansehe und die, wie ich vermute, in der ersten Hälfte des März wird beginnen können. (Hört! hört!) Es wäre wünschenswert, daß es früher sein könnte, um der Ungewißheit, die sich daran knüpft, ein Ende zu machen, aber die Mächte werden doch, bevor sie zusam-mentreten, einen Austausch von Meinungen unter sich wünschen, und die Verbindungen mit dem Kriegsschauplatz sind in der Tat sehr langsam, die Verspätung der Mitteilungen, die an uns gelangt sind, war und wurde motiviert durch Verspätung der Eingänge eben vom Kriegsschauplatz.

    Es fällt ja die Vermutung, die eine Zeitlang in öffentlichen Blättern sich hat sehen lassen, als ob diese Verspätung eine absichtliche wäre, vollständig in sich zusammen, sobald man sich klar macht, daß das Vorrücken der russischen Armee in der Zeit nach dem 30. Januar ein Ergebnis der Waffenstillstandsbedingungen war und nicht etwa eine Benutzung irgendeines künstlich gewonnenen tempus utile. Die Grenze, innerhalb deren sich die russische Truppenaufstellung heute befindet, ist die im Waffenstillstand vorbehaltene Demarkationslinie; und ich glaube an eine absichtliche Verzögerung von keiner Seite, und glaube von allen Seiten an den ehrlichen Willen, die Konferenz bald zu beschicken. Wir werden jedenfalls dazu tun, was wir können.

    Ich komme zu dem schwierigsten Teil – ich bitte um Verzeihung, wenn ich einen Augenblick sitzend fortfahre – ich komme zu dem schwierigsten Teil der mir gestellten Aufgabe, zu der Darlegung, soweit es möglich ist, der von Deutschland auf der Konferenz einzunehmenden Stellung. Sie werden da von mir nichts anderes erwarten als allgemeine Gesichtspunkte unserer Politik, deren Programm Herr von Bennigsen klar und ausführlich, fast ausführlicher als es mir in diesem Moment meine Kräfte noch erlauben würden, wiedergegeben hat.

    Wenn von vielen Seiten an uns die Zumutung gekommen ist – aber von keiner Regierung, sondern nur von Stimmen in der Presse und sonstige wohlgemeinte Ratschläge – wir sollten von Hause aus unsere Politik festlegen und sie anderen aufdrängen in irgendeiner Form, so muß ich sagen, daß ich das doch mehr für Preßpolitik als Staatenpolitik halte. (Heiterkeit.)

    Ich will hier gleich die Schwierigkeit und Unmöglichkeit davon mehr motivieren. Nehmen Sie an, daß wir jetzt auch nur ein festes Programm aussprechen, an das uns zu halten wir, wenn wir es hier von amtlicher Stelle öffentlich, nicht nur vor Ihnen, sondern vor Europa verkündigen, gebunden sein würden, so würden wir dadurch bei allen denen, die es nicht für sich günstig finden, eine gewisse Prämie auf ihre Unverträglichkeit setzen. (Sehr wahr! Heiterkeit.)

    Wir würden ferner uns die Rolle der Vermittlung in der Konferenz, auf die ich den allerhöchsten Wert lege, fast unmöglich machen, weil jeder mit dem Menu der deutschen Politik in der Hand uns sagen könnte: So weit kann die deutsche Vermittlung gehen, das kann sie tun, das kann sie nicht tun. Die freie Hand, welche Deutschland sich erhalten hat, die Ungewißheit über Deutschlands Entschließungen mögen nicht ganz ohne Mitwirkung in der bisherigen Erhaltung des Friedens sein. Spielen Sie die deutsche Karte aus, werfen Sie sie auf den Tisch – und jeder weiß, wie er sich danach einzurichten oder sie zu umgehen hat. Es ist das nicht praktisch, wenn man den Frieden vermitteln will. Die Vermittlung des Friedens denke ich mir nicht so, daß wir nun bei divergierenden Ansichten den Schiedsrichter spielen und sagen: So soll es sein, und dahinter steht die Macht des deutschen Reiches (Sehr gut!), sondern ich denke sie mir bescheidener, ja – ohne Ver-gleich im übrigen stehe ich nicht an, Ihnen etwas aus dem gemeinen Leben zu zitieren – mehr die eines ehrlichen Maklers, der das Geschäft wirklich zustande bringen will. (Heiterkeit.)

    Wir sind in der Lage also, einer Macht, die geheime Wünsche hat, die Verlegenheit zu ersparen, bei ihrem, ich will einmal Kongreßgegner sagen, sich entweder einen Korb oder eine unangenehme Antwort zu holen. Wenn wir mit beiden gleich befreundet sind, können wir zuvor sondieren und dem anderen sagen: Tue das nicht, versuche es so und so anzubringen. Das sind geschäftliche Hilfsmittel, die sehr zu schätzen sind. Ich habe eine langjährige Erfahrung in diesen Dingen und habe mich oft überzeugt: wenn man zu zweien ist, fällt der Faden öfter, und aus falscher Scham nimmt man ihn nicht wieder auf. Der Moment, wo man den Faden wieder aufnehmen könnte, vergeht, und man trennt sich in Schweigen und ist verstimmt. Ist aber ein Dritter da, so kann dieser ohne weiteres den Faden wieder aufnehmen, ja, wenn getrennt, bringt er sie wieder zusammen. Das ist die Rolle, die ich mir denke und die den freundschaftlichen Verhältnissen entspricht, in denen wir in erster Linie mit unseren befreundeten Grenznachbarn, Grenznachbarn auf langgedehnten Grenzstrecken, überhaupt leben, und dann vermöge der seit einem Lustrum bestehenden Einigkeit der drei Kaiserhöfe, die aber auch dem vertrauten Verhältnis entspricht, in dem wir mit einem anderen Hauptinteressenten, mit England, uns befinden. Wir sind mit England in der glücklichen Lage, keinen Streit der Interessen zwischen uns zu haben, es seien denn Handelsrivalitäten und vorübergehende Verstimmungen, die ja Vorkommen, aber doch nichts, was ernsthaft zwei arbeitsame, friedliebende Nationen in Krieg bringen könnte, und ich schmeichle mir deshalb, daß wir auch zwischen England und Rußland unter Umständen ebensogut Vertrauensperson sein können, als ich sicher bin, daß wir es zwischen Österreich und Rußland sind, wenn sie sich nicht von selbst einigen können. (Bravo!)

    Das Dreikaiserverhältnis, wenn man es so nennen will, während man es gewöhnlich Bündnis nennt, beruht überhaupt nicht auf geschriebenen Verpflichtungen, und keiner der drei Kaiser ist verpflichtet, sich von den anderen zwei Kaisern überstimmen zu lassen. Es beruht auf der persönlichen Sympathie zwischen den drei Monarchen, auf dem persönlichen Vertrauen, welches diese hohen Herren zueinander haben, und auf dem auf langjährige persönliche Beziehungen basierten Verhält¬nis der leitenden Minister in allen drei Reichen. (Bravo!)

    Wir haben stets vermieden, wenn Meinungsverschiedenheiten zwischen Österreich und Rußland waren, eine Majorität von zweien gegen eines zu bilden, indem wir bestimmt für einen Partei nahmen, auch wenn unsere Wünsche etwa in der Beziehung nach der einen Seite mehr als nach der anderen uns hingezogen hätten. Wir haben uns dessen enthalten, weil wir besorgten, daß das Band doch nicht stark genug sein möchte, und gewiß kann es so stark nicht sein, daß es eine dieser Großmächte veranlassen könnte, aus Gefälligkeit für eine andere die eigenen unbestreitbaren staatlichen und nationalen Interessen darüber hintanzustellen. Das ist ein Opfer, was keine Großmacht pour les beaux yeux der anderen bringt. Sie tut es, wenn statt der Argumente die Hindeutung auf die Machtverhältnisse eintritt. Da kann sie unter Umständen sagen: Diese Konzession zu machen ist mir sehr unangenehm, aber es ist mir noch unangenehmer, mit einer so großen Macht wie Deutschland etwa darüber in Zwist zu geraten; indessen werde ich mir dieses merken und in Rechnung stellen. Das ist etwa die Art, wie dergleichen aufgefaßt wird, und ich komme nun auf die Notwendigkeit, den übertriebenen Ansprüchen, die man an Deutschlands Vermittlung stellt, hier ganz entschieden entgegenzutreten und zu erklären, daß, solange ich die Ehre habe, Ratgeber Seiner Majestät zu sein, nicht die Rede davon ist.
    Ich weiß, daß ich in dieser Beziehung sehr viele Erwartungen täusche, die sich an die heutigen Eröff¬nungen anknüpfen; aber ich bin nicht der Meinung, daß wir den napoleonischen Weg zu gehen hätten (sehr gut!), um, wenn nicht der Schiedsrichter, auch nur der Schul¬meister in Europa sein zu wollen. (Bravo!)

    Ich sehe z.B. in einem mir heute vorgelegten Preßausschnitt: „Die Politik Deutschlands in der entscheidenden Stunde“ ist der Titel eines bemerkenswerten Artikels der „Allgemeinen Zeitung“, welcher die Notwendigkeit einer Einmischung der dritten Macht im Bunde mit Österreich und England verlangt Wir sollen also Stellung zwischen England und Österreich nehmen, um Rußland das Verdienst zu nehmen, die Konzessionen, welche es etwa dem europäischen Frieden machen kann, freiwillig zu machen. Ich zweifle nicht, daß Rußland das, was nach seinem Nationalgefühl, nach seinem eigenen Interesse, nach dem Interesse von achtzig Millionen Russen möglich ist, dem europäischen Frieden zum Opfer bringt; ich halte an und für sich für überflüssig, das zu sagen, aber, wenn wir es täten, so bitte ich doch die Herren, welche auf dergleichen denken – ich habe noch einen ähnlichen Artikel, „Deutschlands Schiedsrichterrolle“ ist er überschrieben, aus einem Berliner Blatt – nehmen Sie an, wir folgten diesen Ratschlägen und erklärten das Rußland in irgendeiner höflichen und freundschaftlichen Weise: „Wir sind zwar seit hundert Jahren Freunde gewesen, Rußland hat uns Farbe und Freundschaft gehalten, während wir in schwierigen Verhältnissen waren; aber jetzt liegt die Sache doch so: im europäischen Interesse, als Policemen von Europa, als eine Art von Friedensrichter, müssen wir dem Wunsche [nachkommen], diesen europä¬ischen Anforderungen nicht länger widerstehen“ ...

    Es gibt in Rußland erhebliche Parteien, die Deutschland nicht lieben und glücklicherweise nicht am Ruder sind, die aber auch nicht unglücklich sein würden, wenn sie ans Ruder kämen (Heiterkeit), wie würden die nun zu ihren Landsleuten sprechen, vielleicht auch andere Leute, vielleicht auch noch andere Staatsmänner, die jetzt noch nicht unsere ausgesprochenen Feinde sind? Sie würden sagen: Mit welchen Opfern an Blut, Menschen und Schätzen haben wir die Stellung erreicht, die seit Jahrhunderten das Ideal des russischen Ehrgeizes war! Wir hätten sie gegen diejenigen Gegner, die ein wirkliches Interesse hätten, sie uns zu bestreiten, behaupten können; es ist nicht Österreich, mit dem wir in mäßig intimen Verhältnissen lange Zeit gelebt haben, es ist nicht England, welches ganz offen anerkannte Gegeninteressen hat – nein, unser intimer Freund, von dem wir glaubten, wegen früherer Dienste Gegendienste erwarten zu dürfen, Deutschland, welches kein Interesse im Orient hat, hat hinter unserem Rücken nicht den „Degen“, sondern den „Dolch“ gezückt. So würde die Redensart etwa lauten, das wäre das Thema, das wir dort hören würden, und dieses Bild, das ich in übertriebener Farbe – aber die russische Deklamation übertreibt auch – zeichnete und vor Augen führte, entspricht der Wahrheit, und wir werden niemals die Verantwortung übernehmen, eine sichere, seit Menschenaltem erprobte Freundschaft einer großen, mächtigen Nachbarnation dem Kitzel, eine Richterrolle in Europa zu spielen, aufzuopfern. (Bravo!)

    Die Freundschaft, die uns glücklicherweise mit mehreren europäischen Staaten, ja mit allen wohl in diesem Augenblick verbindet – denn es sind die Parteien nicht am Ruder, denen diese Freundschaft ein Dorn im Auge ist (hört!) – diese Freundschaft deshalb aufs Spiel zu setzen mit dem einen Freunde, um einem anderen in Fragen, an welchen wir Deutsche ein direktes Interesse nicht haben, gefällig zu sein, mit unserem eigenen Frieden den Frieden anderer zu erkaufen, selbst gewissermaßen als Substitut auf der Mensur, um mich eines Universitätsausdrucks zu bedienen (Heiterkeit), für den Freund einzutreten – das kann ich wohl, wo ich nichts als meine Person in die Schanze schlage, ich kann es aber nicht, wenn ich die Politik eines großen, mitten in Europa gelegenen Reiches von vierzig Millionen Seiner Majestät dem Kaiser gegenüber zu beraten habe, und deshalb erlaube ich mir, hier auf der Tribüne allen diesen Stimmen und Zumutungen eine offene Absage zu erklären, daß ich mich darauf unter keinen Umständen einlassen würde und daß keine Regierung, keine der am meisten interessierten, uns eine Zumutung der Art gestellt hat. Deutschland ist, wie der Herr Vorredner bemerkte, durch seine Erstarkung auch zu neuen Verpflichtungen herangewachsen. Aber wenn wir eine große Anzahl Bewaffneter in die Wagschale der europäischen Politik werfen können, so halte ich doch niemanden dazu berechtigt, der Nation und dem Kaiser, den Fürsten, die im Bundesrat zu beschließen haben, wenn wir Angriffskriege führen wollten, den Rat zum Appell an die erprobte Bereitwilligkeit der Nation zur Hingabe von Blut und Vermögen für einen Krieg zu erteilen. Nur für den Schutz unserer Unabhängigkeit nach außen, unserer Einigkeit unter uns und für diejenigen Interessen, die so klar sind, daß, wenn wir für sie eintreten, nicht bloß das einstimmige notwendige Votum des Bundesrats, sondern auch die volle Überzeugung, die volle Begeiste¬rung der deutschen Nation uns trägt – nur einen solchen Krieg bin ich bereit dem Kaiser anzuraten! (Lebhaftes Bravo!)

    Während der Abgeordnete Hänel von der Fortschrittspartei den Ausführungen Bismarcks weitgehend zustimmte, verlangte der Zentrumssprecher Windthorst, „daß das germanische Interesse in dieser ganzen Verhandlung nicht zu kurz“ komme. Und dieses germanische Interesse drück sich „in dem Interesse Österreichs“ aus. Bismarck erwiderte daraufhin:

    Ich muß gestehen, daß, wenn die Meinung des Reichstages mir durch das Organ des Herrn Vorredners unterbreitet würde, ich dieser Stimme doch mit großer Vorsicht folgen würde (Heiterkeit), mit weniger Hingebung als anderen, die wir vorhin gehört haben. Der Herr Vorredner hat in meiner Anwesenheit wohl nie gesprochen, ohne mir durch seine Äußerungen Anlaß zur Antwort zu geben, selten in der Richtung, daß ich sachlich etwas zu widerlegen oder zu bestreiten gehabt hätte, was er durch Argumente unterstützt hätte. Er hat mich aber fast immer in die Notwendigkeit versetzt, gewissen Mißverständnissen, die bei dem Herrn Vorredner so außerordentlich häufig vorkommen (Heiterkeit), entgegenzutreten, damit diese Mißverständnisse nicht nachher in unwidersprochene Wahrheiten in der Presse, die die Politik des Herrn Vorredners zu unterstützen pflegt, verwandelt werden. Der Herr Vorredner hat eine große Gewandtheit, einen Gedanken hinzuwerfen, ohne daß man gerade behaupten könnte, er hätte ihn zu dem seinigen gemacht, aber durch die Art, wie er ihn hinwirft, gibt er doch der Vermutung Raum, und der Ball wird aufgefangen und weitergegeben. In dieser Beziehung muß ich doch, ich will nicht sagen Insinuationen, aber Mißverständnissen des Herrn Vorredners widersprechen, die er hier in Kurs gesetzt hat. Er hat zunächst damit angefangen, daß er überzeugt wäre, diese Interpellation sei „nicht ohne Genehmigung“ gestellt worden. Ich erkläre hiermit offen, daß diese Behauptung, welche öffentlich aufgestellt wurde, eine Unwahrheit ist und daß die Insinuation, als wäre es geschehen, doch kaum eine zwecklose sein kann. (Rufe links: Sehr gut!)

    Ich würde, wenn meine Meinung eingeholt worden wäre über diese Interpellation, geraten haben, sie zu verschieben, einige Wochen später würden wir vielleicht klarer in der Sache sehen. Ich würde außerdem gewünscht haben, daß mir durch den Wortlaut die Beantwortung etwas erleichtert würde in Form der Stellung bestimmter Fragen, daß mir nicht allein die Verantwortung dafür zugeschoben würde, über was ich spreche, und ich sage: das Thema war zu weit gefaßt, worüber ich gesprochen habe.

    Ich erkläre also diese Andeutung für unrichtig und irrtümlich. (Sehr wahr! links.) Im Lande zu akkreditieren, dies sei gewissermaßen eine bestellte Interpellation, gewissermaßen eine genehmigte, ist ja eine Kleinigkeit; aber das bei den europäischen Mächten zu akkreditieren, das ist kein Dienst, den man dem deutschen Lande erweist, und einen solchen Dienst erwarte ich auch von dem Herrn Vorredner nicht! (Bravo!)

    Der Herr Vorredner hat gesagt, er sei ganz für die Erhaltung des Friedens nach allen Richtungen hin. Gleich wie er das sagte, erinnerte ich mich, daß gewisse Blätter, französische und polnische, die sonst mit dem Herrn Vorredner selten verschiedener Meinung sind, doch mit allen Mitteln der Dialektik zum Kriege treiben, indem auch sie Österreich zu beweisen suchen, es sei düpiert, es sei betrogen, indem sie die österreichische Ambition aufzustacheln suchen, um den Krieg möglichst wahrscheinlich zu machen. Ich freute mich, daß der Herr Vorredner versicherte, daß diesmal die Konsorterie in Frankreich und Polen mit ihm gar keine Gesinnungsgemeinschaft hätte (Heiterkeit), ich bin auch noch bereit, ihm das zu glauben, da er es versichert.

    Der Herr Vorredner hat ferner sein Mißvergnügen darüber zu erkennen gegeben, daß die Verhandlungen hier nicht vollständig vorgelegt seien. Nun, meine Herren, die Hauptverhandlungen stehen noch bevor. Wir werden wahrscheinlich über die Konferenz, wenn Sie es wünschen, Ihnen umständliche Vorlagen, nachdem sie verhandelt haben wird, machen können. Wir machen aus unserer Politik ja niemals ein Geheimnis, und wenn die Interpellationen in diesem Raume über die Politik so selten gewesen sind, so ist das einmal ein Beweis persönlichen Vertrauens, welches man mir geschenkt hat (sehr richtig!), und zweitens ein Beweis, daß zwischen der Politik wie sie geführt ist und der Ansicht der Mehrheit der Landesvertretung volle Übereinstimmung geherrscht hat, die zu einer Dissonanz keinen Anlaß gegeben hat. (Sehr richtig!)

    Der Herr Vorredner klagt ferner, daß ich mich berufen hätte auf Informationen des englischen Parlaments. Ich habe nur gesagt, daß ich mich in der unangenehmen Lage eines Geschichtserzählers befände, der nicht weiß, ob nicht die Sache, die er vortragen will, durch die englischen Verhandlungen allen bereits bekannt ist. Deshalb habe ich eine Apologie gemacht, daß vielleicht die meisten Herren das schon wissen würden, was ich sagen würde, wenn sie aufmerksame Zeitungsleser gewesen sind. Aber ich habe auch der juristischen Aufforderung, die der Herr Vorredner stellte, genügt, indem ich nichtsdestoweniger, auf die Gefahr hin, schon Gesagtes zu wiederholen, die einzelnen Sachen hier durchgegangen bin; und wenn dem Herrn Vorredner irgend etwas dunkel darin geblieben ist, so stehe ich ihm gern privatissime zu Diensten (große Heiterkeit), um ihm vorzulesen oder vorlesen zu lassen, soweit die Akten darüber vorhanden sind. Wenn der Herr Vorredner sich wundert, daß dies die erste Mitteilung sei, die ich überhaupt hier gemacht hätte: – ja, wann hätte ich denn eine Mitteilung machen sollen? Etwa bei der Thronrede, wo ich nicht anwesend war? Es ist die erste Verhandlung, in der ich mich befinde, die erste Frage, die mir gestellt ist, also auch natürlich die erste Mitteilung der Art. Ich vermute, daß dieser Tadel doch die Ausfüllung einer Pause nur gewesen ist, bei der der Herr Vorredner auf den nächsten sich besonnen hat. (Stürmische Heiterkeit.)

    Es hat der Herr Vorredner gesagt, Deutschland habe sehr wohl die Autorität – setzen wir statt dessen die Macht – gehabt, den Krieg zu verhindern. Daran zweifle ich gar nicht. Es wäre das aber eine sehr große Torheit, um mich nicht eines stärkeren und geläufigeren Ausdrucks zu bedienen (Heiterkeit), wenn wir das getan hätten. Es sind dergleichen Versuche ja doch in der neuesten Geschichte – der Herr Vorredner ist mit mir in gleichem Alter, er hat sie doch auch mitdurchlebt – mehrere gewesen. Sie sind nie demjenigen, der auf diese Weise einen Krieg anderer verhindert, der mit einem Quos ego! einen Frieden geboten hat, sie sind ihm niemals gedankt worden. Ich erinnere an ein Moment aus unserer vaterländischen Geschichte: an die Verhandlungen von Olmütz. Da hat Kaiser Nikolaus die Rolle gespielt, die der Herr Vorredner Deutschland zumutet; er ist gekommen und hat gesagt: „Auf den ersten, der hier schießt, schieße ich“, und infolgedessen kam der Friede zustande. Zu wessen Vorteil, zu wessen Nachteil, politisch berechnet, das gehört der Geschichte an, das will ich hier nicht diskutieren. Ich frage bloß: ist diese Rolle, die er dort gespielt hat, dem Kaiser Nikolaus auf einer von beiden Seiten gedankt worden? Bei uns in Preußen ganz gewiß nicht! Die edlen Absichten dieses Herrn wurden verkannt gegenüber der Empfindlichkeit, die das nationale Gefühl einer großen Nation berührt, wenn eine andere Macht ihr gebietet oder verbietet, was sie in einer Frage des eigenen Interesses, die sie glaubt, selbst zu verstehen, tun oder lassen soll. Ist es dem Kaiser Nikolaus von Österreich gedankt worden? Drei Jahre darauf war der Krimkrieg, und ich brauche ein Weiteres nicht zu sagen. Die Rolle, die Kaiser Nikolaus in Olmütz gespielt hat, mutet der Herr Vorredner uns zu, wenn wir den Krieg vorher hätten verbieten sollen.

    Ich will ein weiteres Beispiel anführen. Die Lage, in der wir uns augenblicklich befinden, ist ja vor etwas mehr als zwanzig Jahren ziemlich genau schon einmal dagewesen. Ich war damals nicht Minister, aber durch das Vertrauen, mit dem der hochselige König Friedrich Wilhelm IV. mich beehrte, war ich in der Lage, bei den wichtigeren und entscheidenderen Fragen teilzunehmen, und ich weiß ganz genau, wie die Sachen damals verliefen. Ich weiß, welche Künste der Überredung, der Drohung bei Preußen angewendet wurden, um uns hineinzutreiben wie einen Hatzhund in einen fremden Krieg, und es war nur – was dem hochseligen König nicht genug zu danken ist – der persönliche Widerstand, den der König dagegen geleistet hat, der verhindert hat, daß dieser Mißgriff damals begangen wurde, daß wir einen Krieg führten, der von dem Augenblicke an, wo wir den ersten Schuß taten, der unserige geworden wäre, und alle hinter und neben uns hätten eine gewisse Erleichterung empfunden und uns gesagt, wann es genug war. Der hochselige König hat mich damals in schwierigeren Momenten von Frankfurt rufen lassen, um die Depeschen in seinem Sinn hier zu bearbeiten, und es ist das nach dem damaligen Verfahren in unseren Auswärtigen Angelegenheiten durchaus nicht sehr auffallend, daß hier ein halb Dutzend Gesandte in Gasthöfen waren und Politik gegen ihren Minister trieben.

    Nun, ist es nicht dankenswert, daß wir damals der Versuchung, Rußland den Krieg zu verbieten oder zu erschweren, widerstanden haben? Es war damals auch das „germanische Interesse“, in welchem der Krimkrieg geführt wurde, in dessen Namen unser Beistand gefordert wurde; es war nur das Auffällige, daß der gesamte Deutsche Bund diese Ansicht nicht teilte, daß es ein germanisches Interesse wäre. Ich glaube, es war das einzige Mal, wo ich mich in Frankfurt im Bundestage an der Spitze der Majorität befunden habe und wo Österreich in der Minorität war. (Heiterkeit.)

    Alle Stimmen waren darüber einig, daß es kein deutsches Interesse sei, trotz des angeblichen Interesses der Donauschiffahrt von Regensburg hinunter, mit welcher viel Humbug getrieben wurde. So kann ich dem Herrn Vorredner anführen, daß eine von ihm sonst so hochgeachtete Autorität, die Mehrheit des alten Bundestags, in diesem Falle nicht auf seiner Seite steht und nicht meinte, daß es ein germanisches Interesse sei, mit Ru߬land für Bulgarien Krieg zu führen.

    Ich könnte die Zahl der Interventionen, bei denen man sich gewissermaßen die Finger verbrannt hat, ja aus der neuesten Geschichte noch vermehren. Ich erinnere an die von uns nur beabsichtigte Intervention von Villafranca [1859, nach dem österreichisch-französisch-italie¬nischen Krieg]. Es war eine Friedensstiftung, die uns nachher von keiner Seite gedankt wurde. Ich erinnere an die Friedensstiftung Napoleons gleich nach der Schlacht von Sadowa – die Sachen sind damals nicht sehr öffentlich geworden – aber was ich mir damals darüber gedacht habe, das weiß ich und habe es dem Kaiser Napoleon nicht vergessen; ich habe gut Buch gehalten für seine damalige Intervention, und es wäre vielleicht für die französischen Interessen nützlicher gewesen, Frankreich hätte sich damals nicht zum Friedensstifter aufgeworfen.

    Der Herr Vorredner sagt ferner: Wer den Dardanellenschlüssel habe, der habe die Weltherrschaft. Er belehrt uns damit, daß der Sultan bisher die Welt beherrscht hat. (Heiterkeit.)

    Bisher hielt er ihn ganz unbestritten in Händen, seit vierhundert und einigen Jahren, und ich habe wenigstens nie das Gefühl gehabt, daß wir in Preußen unter türkischer Weltherrschaft während unserer Lebenszeit gestanden hätten. Es ist das also ein etwas weit gegriffenes und spezioses Argument des Herrn Vorredners. Außerdem habe ich ja die Unwichtigkeit dieses Schlüssels gar nicht behauptet; ich habe nur behauptet, den Besitz dieses Schlüssels erstrebe Rußland augenblicklich gar nicht, es ist den gegeninteressierten Mächten zu Gefallen nicht nach Konstantinopel hineingegangen, das Wort des Kaisers Alexander bürgt uns dafür, daß er Konstantinopel nicht behalten wird.

    Ob nachher eine Türkei übrigbleibt, auf die Rußland zunächst den wesentlichsten Einfluß ausübt – ja, das wissen wir noch nicht, ob die beiden Nationen sich mit besonderem Vergnügen der ausgewechselten Schläge erinnern werden, es kann ja sein, daß das lange dauert, es kann auch sein, daß da mal wieder eine andere Stimmung dazwischen kommt. Solange Rußland die Meerengen nicht selbst hat, finde ich die Einwendungen, die der Herr Vorredner gegen meine Äußerungen machte, immer nicht berechtigt.
    Am allernotwendigsten halte ich die Widerlegung der – ich kann es nicht anders nennen als Insinuationen, die der Herr Vorredner darüber gemacht hat, daß wir, daß Deutschland eventuell bei einer angeblichen Düpierung Österreichs durch Rußland, wie er behauptete, mitschuldig gewesen seien. Er hat das in der Manier gemacht, wie ich sie beim Anfang meiner augenblicklichen Äußerung charakterisierte – er hat nicht behauptet, daß es seine Meinung wäre, aber er hat gesagt: Ich will mich freuen, wenn ich mich bei Einsicht der Akten überzeuge, daß es anders sei. Ja, das ist die Art, sich dem Strafrichter bei Beleidigungen zu entziehen. Der Herr Abgeordnete hat damit ein großes Geschick in Wendungen gezeigt, die der Unannehmlichkeit ausweichen, daß man ihm bloß von Monarch zu Monarch, nicht bloß von Regierung zu Regierung – nein, ich stehe persönlich mit dem Grafen Andrassy zu meiner Freude und zu meiner Ehre in demjenigen freundschaftlichen Verhältnis, welches ihm die Möglichkeit gibt, mir jede Frage, die er für not-wendig hält im Interesse Österreichs, offen zu stellen, und er hat die Überzeugung, daß ich ihm die Wahrheit antworte, und ich habe die Überzeugung, daß er mir die Wahrheit über Österreichs Absichten sagt. (Bravo!)

    Ein solches Verhältnis ist ein sehr günstiges, wenn man sich gegenüber einen Minister hat, bei dem man von der Wahrheit dessen, was er auf sein Wort versichert, vollständig überzeugt ist. In der angenehmen Lage befinden wir uns mit Österreich. In früheren Zeiten, die dem Herrn Vorredner gefallen mögen, war es anders; da habe ich österreichische Kollegen im Bunde mir gegenüber gehabt, denen habe ich gesagt: Es ist mir gleichgültig, ob Sie reden oder ob der Wind durch den Schornstein geht, ich glaube kein Wort von dem, was Sie sagen. (Heiterkeit.)

    Der Graf Andrassy glaubt mir und ich glaube ihm, was er mir sagt, und wir brauchen zu diesem Verhältnis die Vermittlung des Herrn Vorredners am allerwenigsten, er würde es nur verderben können! (Bravo!)

    Nachdem der Abgeordnete Komierowski sich für die Wiederherstellung Polens eingesetzt und der Sozialdemokrat Liebknecht eine Eindämmungspolitik gegenüber Russland gefordert hatte, ergriff Bismarck ein drittes Mal das Wort.

    Ich habe nicht die Absicht, dem Herrn Vorredner auf sein Gebiet zu folgen, es ist mehr der Herr Abgeordnete Dr. von Komierowski, der vor ihm sprach, der mich zu einer kurzen Bemerkung veranlaßt, um so mehr, als ich während der zuletzt gehörten sozialistischen Rede glaube wahrgenommen zu haben, daß die Beifallsbezeugungen, mit denen sie stellenweise begleitet war, von den näheren Landsleuten des Herrn Abgeordnetenvon Komierowski, resp. von den ihm verwandten Fraktionsgenossen, herrührten. Ich halte, wenn ich mich darin nicht irre, es doch für zweckmäßig, dies öffentlich zu konstatieren. Es ist mir dabei eingefallen, daß, wenn wir in den polnischen Landesteilen des preußischen Staats über die Gesamtheit des Volkes nicht zu klagen haben und ihrer Zustimmung zu der Art, wie sie regiert werden, im ganzen sicher sind, so tritt uns immer wieder die Stimme des polnischen Adels entgegen als unzufrieden mit dem Deutschen Reich und mit der Zugehörigkeit zu demselben.

    Vielleicht wäre es einmal möglich, um mich trivial auszudrücken, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, wenn man einen der polnischen Kreise im preußischen Gebiet, also etwa den Wahlkreis des Herrn von Komierowski, dem Herrn Bebel und seinen Gesinnungsgenossen zu regieren mit voller Souveränität übergibt, wir könnten dann – und daran würde mir sehr viel liegen – endlich einmal erfahren, was das positive Ideal der Sozialdemokratie ist. Wir kennen sie nur von der negativen Seite: alles, was vorhanden ist, ist schlecht und muß ruiniert werden, und im Volke muß die Überzeugung erweckt werden, daß die regierenden Klassen üble, gewissenlose Leute sind, für die es nicht so sehr darauf ankommt, wenn man einmal gewalttätig gegen sie verfährt. Das wissen wir, jede Politik, die ein anderer als ein Sozialdemokrat treiben kann, ist erbärmlich, die Herren wissen alles besser, aber worauf sie positiv hinauswollen, das verschweigen sie sorgfältig. Ich meine, wenn sie endlich jede Maske von sich abwerfen und offen kundgeben, wohin sie wollen, wie es in einem von ihnen regierten polnischen Kreise geschehen würde, dann werden wir den doppelten Vorteil haben, nämlich das abschreckende Bild des positiv verwirklichten Sozialismus erkennen, welches sie jetzt sorgfältig hinter dem Berge halten, und wir werden in dem von ihnen regierten Polen hinterher die treuesten deutschen Reichsbürger haben. (Große Heiterkeit.)