Rede im Preußischen Abgeordnetenhaus, Berlin

    16. Januar 1874


    Bismarck empfindet die Menge der veröffentlichten Vorwürfe und Verleumdungen gegen ihn als so groß, dass für die Widerlegung ein ganzes Ministerium errichtet werden müsse. In seinem politischen Leben sei ihm stets „die Ehre zuteil geworden, sehr viele Feinde zu haben.“ Von der Garonne bis zur Weichsel, vom Belt bis zum Tiber gelte er wohl als „die am stärksten und – ich behaupte stolz! – die am besten gehaßte Persönlichkeit“ Deutschlands.

    Ich habe gehört, daß in der heutigen Sitzung von dem Abgeordneten von Mallinckrodt behauptet worden ist – bitte mich zu berichtigen, wenn ich meinerseits irrtümlich erfahren habe — also behauptet worden ist, ich hätte bei früheren Verhandlungen dem italienischen General Govone die Abtretung eines preußischen Bezirks — ich weiß nicht genau wo, an der Mosel oder an der Saar – in Aussicht gestellt. Ich bin genötigt, dies mit den stärksten Ausdrücken für eine dreiste lügenhafte Erfindung zu erklären, die natürlich der Herr Abgeordnete nicht gemacht hat, die aber anderswo gemacht ist. Aber der Herr Abgeordnete sollte doch vorsichtiger sein im Wiedererzählen solcher Behauptungen, die diese scharfe Kritik verdienen. Die Sache ist in lügenhafter, gehässiger Absicht erfunden worden, es ist auch nicht eine Silbe davon wahr! Ich habe niemals irgend jemandem die Abtretung auch nur eines Dorfes oder eines Kleefeldes zugesichert oder in Aussicht gestellt. Alles, was darüber zirkuliert und behauptet wird, erkläre ich in seinem ganzen Umfange für das, was ich vorhin sagte, für eine dreiste, tendenziöse Lüge, die zur Anschwärzung meiner Person erfunden worden ist! (Stürmisches Bravo! Abgeordneter Windthorst: Ich bitte um das Wort!) Ich bin noch nicht fertig! (Heiterkeit.)

    Ich bin zugleich, da ich einmal zur persönlichen Bemerkung das Wort genommen habe, genötigt, nun auch einen andern Fall, der gestern vorgekommen ist, in ähnlicher Weise zurückzuweisen. Ich möchte aber alle Herren, die dabei beteiligt sind, und namentlich, wenn sie so vorzugsweise ihrer Behauptung, ihrer gewiß ehrlichen Behauptung nach, die Sache des Christentums, der Religion, der Wahrheit vertreten, bitten, doch in Beziehung auf die Wahrheit ihrerseits etwas vorsichtiger zu sein, und nicht alles ohne Prüfung als Wahrheit anzunehmen, was ihnen aus unlauterer Quelle beigebracht wird. Ich möchte den Herren doch zu bedenken geben, daß die ihnen von Gott gesetzte Obrigkeit, die über uns regiert, auch in den Organen, die Seine Majestät an die Spitze des Reiches stellt, vor dem Auslande wenigstens einen gewissen Anspruch auf – ich will nicht sagen auf persönliche Rücksicht, nein, aber doch auf dezente Behandlung vor dem Auslande hat (sehr richtig!), daß man nicht sich die Aufgabe stellt, die eigene Regierung vor dem Auslande zu verleumden. Man hat von dem Vogel mit seinem Neste ein Sprichwort, das ich hier nicht anführen will, aber für proper halte ich diese Operation nicht. (Heiterkeit und Zustimmung.)

    Was nun den gestrigen Vorgang betrifft, so habe ich die Äußerung des Herrn von Schorlemer aus den bereits gedruckten Berichten entnehmen können, und etwas ausführlicher, als die mir nur eben durch Hörensagen zugekommenen Entstellungen, die ein Redner heute vorgetragen hat. Der Herr Abgeordnete hat mir Inkonsequenzen nachzuweisen gesucht; nun, wenn ihm das wirklich gelungen wäre, so würde die Sache, die er verteidigt, damit nicht in irgendeinem Maße gebessert sein; aber es ist ihm auch in keiner Weise gelungen. Ich will ihn aus seinen eigenen Worten widerlegen. Er hält mir vor, ich hätte früher gesagt, das Dogma der Unfehlbarkeit, welches von den Millionen Katholiken angenommen sei, müsse respektiert werden. Das ist auch heute noch meine Ansicht. Ich habe es auch respektiert. Habe ich es je angefochten? Bestreitet man Ihren Glauben in irgendeiner Weise? Ich habe nur die Konsequenzen gezogen, die ihm für unser Staatsleben entfließen, und auf die Schwierigkeiten aufmerksam gemacht, in die unser Staatsleben dadurch kommt, und infolge dessen auf die Notwendigkeit aufmerksam gemacht, daß man so wenig wie möglich von Glaubenssachen in das Staatsleben hineintun müsse. Aber den Glauben respektiere ich ja, und würde ihn, wenn er sich auf Dinge erstreckte, die mir und den andern evangelischen Christen noch ferner wären, dennoch respektieren. Wie das damit in Widerspruch steht, was ich neulich über eine andere Sache gesagt habe, das verstehe ich nicht, die Herren müssen nur nicht die Freiheit des Glaubens so auslegen wollen, als ob sie darin bestehe, daß Sie über Andersgläubige und über den Staat eine Herrschaft üben. Für Sie ist Nichtherrschen schon mit Unterdrücktsein gleichbedeutend!

    Ich habe es neulich schon gesagt: wir verlangen für unsere Überzeugungen auch Unabhängigkeit für uns Andersgläubige und verlangen Achtung vor unserem Glauben, die wir bei Ihnen nicht immer finden. Dann hat der Abgeordnete Tatsachen darüber zum Beweis meiner Behauptung vermißt, daß das Auftreten der Herren Bischöfe ein revolutionäres wäre. Ich habe ja damals gleich in der Rede selbst darauf aufmerksam gemacht, worauf ich das begründe, und die Tatsache, daß die Herren Bischöfe dem Gesetz den Gehorsam aufkündigen, die Autorität des Gesetzes leugnen, als Gesetzesverächter dem Staate gegenüberstehen im Prinzip, wird doch der Herr Abgeordnete nicht leugnen, er müßte gar keine Zeitungen lesen. Daß er überhaupt wenig liest, habe ich aus der letzten Rede geschlossen (Heiterkeit); ich habe das mitgeschlossen aus dem ganzen Inhalt der Rede, denn er hat auch meine Rede, auf die er anspielt, nicht gelesen, und ich halte es für nicht richtig, einem viel beschäftigten Beamten gegenüber die Angriffe lediglich auf Vermutungen zu gründen. Der Herr Vorredner ist seinerseits gewiß ein außerordentlich wahrheitsliebender Mann, und ich bin überzeugt, daß er nicht freiwillig eine Tatsache behauptet, die er als falsch erkennt, ich bin weit entfernt, zu glauben, daß er in dieser Beziehung die Doktrin mancher Orden, die lebhafte Verfechter derselben Sache sind, irgendwie teilt, aber ich glaube auch, zu einer vollständig skrupulösen Wahrheitsliebe gehört auch, daß man das, was man als wahr behauptet, etwas genauer prüft, und wenn der Herr Vorredner von mir sagt: ein Mann, dessen Vergangenheit mit diesen Tatsachen – ich weiß nicht, wie er sich ausdrückte (Ruf: Belastet!) – belastet sei, ja, mit solchen Tatsachen belastet sei, der verdiene wenig Glauben, so möchte ich ihm dagegen erwidern, daß ein Mann, dessen Reden mit einer solchen Geringschätzung der Tatsachen und der wirklichen Verhältnisse, wie sie liegen, belastet sind, seinerseits noch viel weniger Glauben verdient und doch auch im Auftreten etwas vorsichtiger sein sollte in Zukunft, je mehr er selbst auf den gewiß verdienten Ruf seiner Wahrheitsliebe hält.

    Der Herr Vorredner hat unter anderem gefragt: wer hat mehr zum Umsturz der alten deutschen Bundesverfassung beigetragen, die doch auch ein Gesetz war? Ja, es ist ganz etwas anderes, sich die Abschaffung und Änderung einer gesetzlichen Einrichtung zum Ziel zu setzen oder die Autorität des rite bestehenden Gesetzes schlechtweg zu leugnen und zu sagen: ich halte es nicht für gültig, ich kehre mich nicht daran, ich unterwerfe mich ihm nicht. Außerdem gibt es eine Menge Leute, die mehr zur Zerstörung des alten Bundestages getan haben wie ich, namentlich alle politischen Freunde des Redners von gestern (sehr richtig!), und namentlich vor allen Dingen die Majorität der damaligen Regierungen und deren Vertreter, die eben Beschlüsse faßten, von denen sie ganz sicher voraussehen mußten, daß sie den Bund und seine Verfassung sprengten. Der Herr von Schorlemer hat ferner behauptet – und das ist eine Behauptung, die in dieselbe Kategorie der heutigen von Herrn von Mallinckrodt gehört – ich hätte die ungarischen und dalmatischen Regimenter 1866 zum Abfall auffordern lassen. Es ist einfach nicht wahr, und wenn der Abgeordnete so bereitwillig ist, von mir über die manifestesten, offenkundigsten Tatsachen, ob heute die Sonne scheint, etwa einen Beweis zu verlangen, den man augenblicklich theoretisch nicht erbringen kann, den aber der Abgeordnete offenkundigen, von niemand in Zweifel gezogenen Tatsachen gegenüber oft fordert, so hat er sehr gut in seiner Disputierschule gelernt, jedesmal nach Beweisen zu fragen, und diesem Rufe begegne ich aus dem Zentrum jeder Zeit als Diskussionsmittel.

    Es sind eine Menge Dinge, die bekannt sind, zu deren Beweis man aber Bücher und Vorlesungen beibringen müßte, wenn er im Augenblicke wissenschaftlich geführt werden sollte. Für die behauptete Tatsache von 1866 würde der Abgeordnete aber doch irgendeinen Beweis erbringen müssen. Es ist weltbekannt, daß sich eine ungarische Legion aus ungarischen Kriegsgefangenen hier gebildet hat; es wurden uns in der Beziehung Anerbietungen schon bei Ausbruch des Krieges gemacht; ich habe sie damals zurückgewiesen, obschon es gewiß eine schwere Verantwortung für einen Minister war, in einem Kampf mit einem so waffenmächtigen Reiche wie Österreich – die unserigen waren damals nicht erprobt – irgendeinen Beistand zurückzuweisen, der nach Kriegsrecht möglich war, es wäre das eine Unterschätzung des Gegners gewesen. Indessen da ich immer darauf gerechnet hatte, die Verhältnisse mit Österreich nicht dahin zu treiben, daß sie zu unversöhnlichem Zwiespalt führten – eine Überzeugung, der ich noch Ausdruck gegeben habe, und zwar bis zu Seiner Apostolischen Maje¬stät hin, in dem Momente, wo unsere Truppen schon marschierten, da noch habe ich Vorschläge gemacht, die leicht zu einer Vereinbarung hätten führen können — also ich habe am Anfange des Krieges ungarische Anerbietungen zurückgewiesen, und erst in dem Moment, als nach der Schlacht bei Sadowa der Kaiser Napoleon telegraphisch seine Einmischung in Aus¬sicht stellte, da habe ich mir gesagt: ich habe meinem Lande gegenüber nicht mehr das Recht, irgendein Mittel der Verteidigung und Kriegführung, welches kriegsrechtlich vollständig erlaubt ist, zu verschmähen, da ich es nicht darauf ankommen lassen wollte, daß unsere Erfolge durch das Erscheinen Frankreichs auf der Bühne wieder in Zweifel gestellt würden; wenn Frankreich auch damals sehr wenig Truppen hatte, so hätte doch ein geringer Zusatz von französischen Truppen damals hingereicht, um aus den zahl¬reichen süddeutschen Truppenmassen, die ein sehr gutes, aber nicht organisiertes Material darstellten, eine recht tüchtige Armee zu machen, die uns sofort in die Lage gebracht hätte, zunächst Berlin zu decken und alle unsere Erfolge in Österreich aufzugeben.

    Damals also habe ich in einem Akt der Notwehr die Bildung dieser Legion nicht gemacht, sondern ermächtigt.

    Was liegt nun darin Revolutionäres? Ich möchte mal die Frage oder Erwägung des gestrigen Herrn Redners umkehren. Wenn wir nun mit einem wieder erstarkten Frankreich im Krieg wären und die Hetzereien der süddeutschen Blätter fortdauerten, die dieselbe Sache, wie die Herren vom Zentrum hier, und wie die „Germania“ in der Presse, nur etwas plumper, verteidigen, die von ihren Bundesgenossen vom rechten Flügel, von den anständigeren Truppenkorps nicht desavouiert worden sind – und es träte dann der Fall ein, daß mit Zuhilfenahme der subversiven Tendenzen, des Beispiels der Gesetzesverachtung, welches die hochstehendsten Prälaten geben, der aufregenden Diatriben, die wir in den Blättern des Zentrums an Volksschichten gerichtet sehen, die so genau logisch ihre Pflichten und Rechte nicht abwägen, wie wir es hier in diesem Raume tun – alles dieses, sage ich, hätte zur Folge, daß sich nun aus deutschen Mitbürgern oder aus deutschen Kriegsgefangenen in Frankreich eine päpstliche Legion bildete, um Frankreich beizustehen; würde dann Herr von Schorlemer dem französischen Staatsmann, der in dem sehr schweren Kampf mit dem Deutschen Reich sich diese Velleität einiger unserer Landleute – ich hoffe, es würden sehr wenige oder keine sein, aber theoretisch ist der Fall doch denkbar – zu nutze machte, würde Herr von Schorlemer dem französischen Staatsmann, der an der Spitze stände, vielleicht dem König Heinrich Grafen von Chambord, die Annahme dieser Hilfe als ein revolutionäres Gebaren vorwerfen? Ich glaube nicht. Er könnte eher die Deutschen Revolutionärs nennen – obschon es noch andere Bezeichnungen dafür gibt – die von ihrem Vaterlande abfallen und dem Feinde Dienste leisten; aber den Feind, der einen Deserteur aufnimmt, so zu nennen, das ist mir noch nicht vorgekommen, da muß der Herr Vorredner doch vom Kriegsgebrauch sehr wenig wissen. Ich würde überhaupt, wenn ich so wenig von der Welt wüßte, wie der Herr Vorredner, weniger oder doch weniger zuversichtlich reden. (Heiterkeit.)

    Eins hat mich am meisten frappiert, was eigentlich nicht gegen mich persönlich gerichtet war; aber daß der Herr Vorredner die Lockerung aller Bande der Familie, gewissermaßen nur das Geborenwerden „unter dem Fluche der Sünde“ als eine natürliche Konsequenz der Einführung der Zivilehe ansieht – trifft denn diese Konsequenz der Zerrüttung des Fami-lienlebens zum Beispiel bei unseren rheinischen Landsleuten zu, die doch dem Herrn Vorredner in Westfalen besser bekannt sein werden, als die politischen Tatsachen, auf die er sich bezogen hat?

    Ist denn da das Familienleben so zerrüttet und zerstört? Ich finde gerade das Familienleben und insbesondere das eheliche Verhältnis bei unseren rheinischen Mitbürgern für ein Beispiel echt deutscher Sitte, das mit demjenigen, was man von Frankreich kennt, auf das angenehmste kontrastiert. Ich glaube, daß gerade am Rhein, wenn man statistische Data über diese Frage überhaupt aufstellen könnte und wollte, die eheliche Sittlichkeit eine sehr hohe Stufe einnehmen würde. Und was den Unterschied betrifft, so stelle er sich bei Einführung der Zivilehe so: dann würden die Abkömmlinge aus solcher Ehe „unter dem Fluche der Sünde“ geboren werden.

    Da möchte ich doch an den Herrn Vorredner als Christ – denn ich glaube, gewisse Grundkenntniswahrheiten teilen wir doch – die Frage stellen, ob er selbst denn glaubt, nicht unter dem Fluch der Sünde geboren zu sein. Wenn er das behauptete, so muß ich sagen, daß ihm, der als einer der hauptsächlichsten Verteidiger des Christentums auftritt, nicht nur die Kenntnis der Politik, sondern auch die Kenntnis einer der ersten christlichen Heilswahrheiten abgeht. (Bravo!)

    Abgeordneter von Mallinckrodt erklärt, seine Äußerungen über die Politik Bismarcks stützten sich auf das bekannte, von dem italienischen Ministerpräsidenten La Marmora herausgegebene Buch. Fürst Bismarck entgegnet:

    Der Herr Vorredner hat eine eigentümlich in der Politik der ganzen Partei begründete Art, sich aus der Affäre zu ziehen, sowie er sieht, daß die Schußlinie unangenehm wird, und den Vorwurf zu indossieren an jemanden, der übrigens weder Ministerpräsident noch General mehr ist, sondern einfacher Privatmann, der in unerlaubter Weise Aktenstücke veröffentlicht hat, die in seinem früheren amtlichen Verhältnis zu seiner Kenntnis gekommen sind – ein Verfahren, gegen das, wie mir von italienischer Seite auf meine vertraulichen Erkundigungen mitgeteilt ist, ein Strafgesetz in Italien nicht gültig ist. Zugleich aber – und das zeigt doch auch das Maß von Ansehen, das in Italien diesen Veröffentlichungen zuteil wird – ist mir gesagt worden, daß man infolge dieses Vorgangs das Bedürfnis anerkannt hätte, ein solches Strafgesetz in Italien herzustellen. Daß der Herr Vorredner lieber das Zeugnis eines Feindes als das der Tatsachen herbeizieht, wundert mich nicht; ein solcher aber ist der General La Marmora nach seinem ganzen Verhalten und nach seiner ganzen Politik, und ich könnte über seine Politik viel mehr und viel unangenehmere Bücher schreiben, als er über die meinige, wenn ich nicht eine Abneigung hätte, andere Potenzen und Mächte in solche Erörterungen hineinzuziehen. Insofern steht aber der Herr Vorredner viel freier da; er braucht auf die Interessen und Ehre des eigenen Landes und auf dessen Beziehungen zu fremden Mächten ja viel weniger Rücksicht zu nehmen, als ich dazu gezwungen bin.

    Der Herr Vorredner sagte, er hätte seinerseits an die Echtheit geglaubt. Ja, meine Herren, wenn ich alles öffentlich sagen wollte, was ich glaube über manche Leute (Heiterkeit), so könnten wir leicht in eine üble Lage kommen. Ich halte mich dazu jedoch nicht für berechtigt, namentlich in öffentlicher Versammlung und in amtlicher Stellung, ehe ich nicht die Wahrheit dessen, was ich vorbringe, etwas mehr geprüft habe.

    Der Herr Vorredner begründet eine Art von Recht, an die Sache zu glauben, darauf, daß monatelang diese, wie gesagt, von einem Privatmann publizierte Sammlung zu Unrecht entwendeter Aktenstücke – das heißt subjektiver Aktenstücke; es sind ja doch immer nur einseitige Berichte einzelner Personen, die darin ihre Eindrücke von vertraulichen Unter-redungen veröffentlichen – er hielt sich für berechtigt, daran zu glauben, weil Monate verflossen waren ohne eine Widerlegung. Ja, meine Herren, wenn ich mich auf die Widerlegung alles dessen einlassen wollte, was gegen mich gedruckt wird, auch nur vielleicht im Sinne der hier vertretenen Mittelpartei gegen mich gedruckt wird, da reichte kein Preßbureau und kein Welfenfonds, da müßte ein besonderes Ministerium dazu einge-richtet werden, um das bloß lesen zu lassen. Und ich rechne es mir zur Ehre! In meinem ganzen, unter verschiedenen Gestaltungen der europäischen Politik stets mit entschlossener Vertretung der Interessen meines Königs und meines Landes durchgeführten politischen Leben ist mir die Ehre zuteil geworden, sehr viele Feinde zu haben. Gehen Sie von der Garonne, um mit der Gaskogne anzufangen, bis zur Weichsel, vom Belt bis zur Tiber, suchen Sie an den heimischen Strömen der Oder und des Rheins umher, so werden Sie finden, daß ich in diesem Augenblicke wohl die am stärksten und – ich behaupte stolz! – die am besten gehaßte Persönlichkeit in diesem Lande bin. Ich freue mich, daß der Herr Vorredner durch ein Kopfnicken mir das bestätigt; sein Gerechtigkeitsgefühl gesteht mir das zu. (Heiterkeit.)

    Und wenn ich alles das, was in Frankreich, in Italien, in Polen – und ich will das andere gar nicht nennen – gegen mich geschrieben wird, auch nur lesen wollte – ich habe mir nachgerade eine ziemlich hochmütige Verachtung gegen diese Elaborate angewöhnt und die Herren sind auf dem besten Wege, mich dahin zu bringen, daß ich das Gebiet, was davon betroffen wird, noch weiter ausdehne. (Heiterkeit.)

    Bisher halte ich es für meine Pflicht, wenn ich hier von einem Vertreter dieses Landes in einer so prägnanten Weise angegriffen werde, auch hier darüber Rede zu stehen.

    Ich halte es auch für mein Recht, nicht abzuwarten, bis der Moment günstiger ist, und etwa nach sechs Monaten zu sagen, Herrn von Schorlemers oder Herrn von Mallinckrodts damalige Behauptungen waren nicht begründet, sondern ich muß eben die Gelegenheit nehmen, damit die Unwahrheit von der Wahrheit noch eingeholt wird, soweit es möglich ist – wenn auch nicht alle Zeitungen die Wahrheit aufnehmen, sondern doch die Unwahrheit aufrechterhalten.

    Wenn nun der Herr Vorredner mir noch vorgeworfen hat, daß ich gestern bei einer solchen Tagesordnung nicht anwesend war – ja, ich habe nicht die Aufgabe, in die Materie dieses Gesetzes einzugehen, denn die Vertretung der Staatsregierung ist ja in guten Händen; aber der Herr Vorredner kann sicher sein, wenn auf der Tagesordnung nicht die Zivilehe gestanden hätte, sondern: „Verbreitung falscher Tatsachen gegen den Ministerpräsidenten“, so würde ich gewiß erschienen sein. (Große Heiterkeit.)

    Abgeordneter von Mallinckrodt führt aus, es handle sich bei La Marmora zweifellos um die Publikation von authentischen Aktenstücken. Er möchte wissen, wie viel Wahrheit und Unwahrheit sie enthielten. Fürst Bismarck erwidert:

    Ich bedaure, daß die Kampfesart des Herrn Vorredners mich nötigt, diese unerquickliche Debatte noch um sehr wenige Worte zu verlängern. Ich muß dem Herrn Vorredner sagen, daß er sich durch die Art, wie er soeben sprach, in die Schußlinie der Vorwürfe, die ich gegen den General La Marmora machte, wieder hineinbegeben hat. Der Herr Vorredner hat vorher, nachdem ich mich als eine Autorität, deren Zeugnis, namentlich wenn sie von Tatsachen unterstützt ist, doch mindestens ebenso glaubwürdig ist, wie die eines in der Fremde erschienenen Buches, nachdem ich mich zu einem sehr bestimmten Dementi verstanden hatte, gesagt, ja, das ändere die Sache, wenn es früher so bestimmt gesagt wäre, dann hätte er auch nicht daran geglaubt. Nun frage ich die ganze Versammlung: hat nicht der Herr Vorredner dennoch in seiner ganzen letzten Äußerung die Tendenz zu erkennen gegeben, er möchte den Glauben, den er selbst nicht mehr teilt, bei der Welt und bei Ihnen aufrechterhalten, den Glauben an die Tatsache, welche er nicht mehr zu glauben erklärt hat? Das ist eine eigentümliche Fechtweise, gegen die unter Umständen schwer aufzukommen ist.

    Den Herrn Vorredner zu überzeugen, fällt mir gar nicht ein, ich weiß ja, daß das ganze fruchtlos ist. Ich lasse auch ganz unentschieden, ob es mir gelingen wird, die Überzeugung, die der Herr Vorredner eigentlich hat, überhaupt richtig zu ermitteln und aufzufinden – ich getraue es mir nicht.

    Im übrigen möchte ich aber doch den Herrn Vorredner darauf aufmerksam machen, wenn er so hartnäckig auf ein apokryphisches Zeugnis, was im Auslande geboren ist, und solche Aktenstücke, die Gegenstand der Unterredung gewesen sind, sich beruft, aber doch nicht mit Genauigkeit – ich erinnere mich, daß ich vor ein paar Monaten, als ich gerade Muße hatte, Teile aus dem Buche gelesen habe: mir kommt es so vor, daß der Herr Vorredner doch noch genauer mich beschuldigt hat, als selbst das Buch des Generals La Marmora. Aber, meine Herren, wenn jemand in der Politik offen vor ganz Europa auf der Bühne hat wirken können, wie ich, dann hat er doch wohl das Recht, sich auf Tatsachen zu berufen und dagegen alle apokryphen Winkelskribenten, mögen sie Titel haben wie sie wollen, als Zeugen zu refusieren. Ist denn irgend etwas abgetreten? Existiert denn irgendwo eine Verhandlung darüber? Hätten wir nicht, wenn wir etwas hätten abtreten wollen, mit großer Leichtigkeit, mit sehr wenig, mit wenig Dörfern, nur daß der Schandfleck an unserer Politik gehaftet hätte, alles erreichen können? Das wäre ja dem Kaiser Napoleon genug gewesen. Hätte ich nicht die gewaltigsten Resultate auf dem Gebiete bei Frankreich leicht erreicht, wenn ich danach gestrebt hätte? Sollte ich etwa bei Frankreich einen Korb bekommen haben? War vielleicht der Kaiser Napoleon im Andenken an seine Stuttgarter Erziehung voller sittlicher deutscher Entrüstung, daß er sagte: Nein, aus Liebe zu Deutschland, dazu will ich diesen lasterhaften Minister nicht benutzen (Heiterkeit), weil ich damit seine deutsche Politik schändete. Wäre es nicht das Leichteste von der Welt gewesen, zum Abschluß mit Napoleon zu kommen, wenn ich so hätte verfahren wollen, wie der Herr Vorredner noch immer zu glauben beinahe vorgiebt? Jedenfalls wünscht er, daß andere es glauben. Meine Herren, ich finde, man hat gar nicht das Recht, mich auf diese Weise zu nötigen, durch einen Mißbrauch der Tribüne zur Verleumdung der eigenen Regierung den Leiter der Regierung zu nötigen, sich hier gegen solche Vorwürfe zu verantworten und Ihre und meine Zeit damit zu töten, für deren Bezeichnung mir jeder parlamentarische Ausdruck fehlt – aber die Presse wird ihn wohl finden! (Bravo!)