Rede im Reichstag, Berlin

    2. Mai 1871


    Bismarck begründet die Annexion von Elsass-Lothringen mit der Notwendigkeit „ein starkes Glacis“ für den Fall zu schaffen, dass Frankreich „bei eigener Erstarkung oder im Besitz von Bundesgenossen uns den Handschuh wieder hinwerfen sollte.“ Für die Zukunft bestehe die Aufgabe, dem Elsass jenes Maß an Freiheit zuzugestehen, „was überhaupt mit der Ordnung des Gesamtstaatswesens verträglich ist.“


    Ich habe zur Einleitung des Ihnen vorliegenden Gesetzentwurfs nur wenige Worte zu sagen. Über das Detail desselben wird die Diskussion ja Gelegenheit geben, mich zu äußern; das Hauptprinzip desselben aber ist, glaube ich, einer Meinungsverschiedenheit kaum unterworfen, nämlich die Frage, ob Elsaß und Lothringen dem Deutschen Reiche einverleibt werden sollen. Die Form, in welcher es zu geschehen haben wird, die Form namentlich, in welcher es anzubahnen sei, wird ja Gegenstand Ihrer Beschlüsse sein, und Sie werden die verbündeten Regierungen bereit finden, alle Vorschläge, die in dieser Beziehung abweichend von den unserigen gemacht werden, sorgfältig zu erwägen.

    In dem Prinzipe selbst, glaube ich, daß eine Meinungsverschiedenheit um deshalb nicht vorhanden sein wird, weil sie schon vor einem Jahre nicht vorhanden war und während dieses Kriegsjahres nicht zutage getreten ist. Wenn wir uns ein Jahr – oder genauer zehn Monate – zurück versetzen, so werden wir uns sagen können, daß Deutschland einig war in seiner Liebe zum Frieden; es gab kaum einen Deutschen, der nicht den Frieden mit Frankreich wollte, so lange er mit Ehren zu halten war. Diejenigen krankhaften Ausnahmen, die etwa den Krieg wollten in der Hoffnung, ihr eigenes Vaterland werde unterliegen – sie sind des Namens nicht würdig, ich zähle sie nicht zu den Deutschen! (Bravo!)

    Ich bleibe dabei, die Deutschen in ihrer Einstimmigkeit wollten den Frieden. Ebenso einstimmig aber waren sie, als der Krieg uns aufgedrängt wurde, als wir gezwungen wurden, zu unserer Verteidigung zur Wehr zu greifen, wenn Gott uns den Sieg in diesem Kriege, den wir mannhaft zu führen entschlossen waren, verleihen sollte, nach Bürgschaften zu suchen, welche eine Wiederholung eines ähnlichen Krieges unwahrscheinlicher und die Abwehr, wenn er dennoch eintreten sollte, leichter machen. Jedermann erinnerte sich, daß unter unseren Vätern seit dreihundert Jahren wohl schwerlich eine Generation gewesen ist, die nicht gezwungen war, den Degen gegen Frankreich zu ziehen, und jedermann sagte sich, daß, wenn bei früheren Gelegenheiten, wo Deutschland zu den Siegern über Frankreich gehörte, die Möglichkeit versäumt worden war, Deutschland einen besseren Schutz gegen Westen zu geben, dies darin lag, daß wir den Sieg in Gemeinschaft mit Bundesgenossen erfochten hatten, deren Interessen eben nicht die unserigen waren. Jedermann war also entschlossen, wenn wir jetzt, selbständig und rein auf unser Schwert und unser eigenes Recht gestützt, den Sieg erkämpften, mit vollem Ernste dahin zu wirken, daß unseren Kindern eine gesichertere Zukunft hinterlassen werde.

    Die Kriege mit Frankreich hatten im Laufe der Jahrhunderte, da sie vermöge der Zerrissenheit Deutschlands fast stets zu unserem Nachteile ausfielen, eine geographisch-militärische Grenzbildung geschaffen, welche an sich für Frankreich voller Versuchung, für Deutschland voller Bedrohung war, und ich kann die Lage, in der wir uns befanden, in der namentlich Süddeutschland sich befand, nicht schlagender charakterisieren, als es mir gegenüber von einem geistreichen süddeutschen Souverän einst geschah, als Deutschland gedrängt wurde, im Orientalischen Kriege für die Westmächte Partei zu nehmen, ohne daß es der Überzeugung seiner Regierungen nach ein selbständiges Interesse hatte, den Krieg zu führen. Ich kann ihn auch nennen – es war der hochselige König Wilhelm von Württemberg. Der sagte mir: „Ich teile Ihre Ansicht, daß wir kein Interesse haben, uns in diesen Krieg zu mischen, daß kein deutsches Interesse dabei auf dem Spiele steht, welches der Mühe wert wäre, deutsches Blut dafür zu vergießen. Aber wenn wir uns darum mit den Westmächten überwerfen sollten, wenn es so weit kommen sollte, zählen Sie auf meine Stimme im Bundestage, bis zu der Zeit, wo der Krieg zum Ausbruch kommt. Dann aber nimmt die Sache eine andere Gestalt an. Ich bin entschlossen, so gut wie jeder andere, die Verbindlichkeiten einzuhalten, die ich eingegangen bin. Aber hüten Sie sich, die Menschen anders zu beurteilen, wie sie sind. Geben Sie uns Straßburg, und wir werden einig sein für alle Eventualitäten; so lange Straßburg aber ein Ausfallstor ist für eine stets bewaffnete Macht, muß ich befürchten, daß mein Land überschwemmt wird von fremden Truppen, bevor mir der Deutsche Bund zu Hilfe kommen kann. Ich werde mich keinen Augenblick bedenken, das harte Brot der Verbannung in Ihrem Lager zu essen, aber meine Untertanen werden an mich schreiben. Sie werden von Kontributionen erdrückt werden, um auf Änderung meines Entschlusses zu wirken. Ich weiß nicht, was ich tun werde, ich weiß nicht, ob alle Leute fest genug bleiben werden. Aber der Knotenpunkt liegt in Straßburg, denn solange das nicht deutsch ist, wird es immer ein Hindernis für Süddeutschland bilden, sich der deutschen Einheit, einer deutsch-nationalen Politik ohne Rückhalt hinzugeben. Solange Straßburg ein Ausfallstor für eine stets waffenbereite Armee von 100 000 bis 150 000 Mann ist, bleibt Deutschland in der Lage, nicht rechtzeitig mit ebenso starken Streitkräften am Oberrhein eintreten zu können – die Franzosen werden stets früher da sein.“

    Ich glaube, dieser aus dem Leben gegriffene Fall sagt alles – ich habe dem nichts hinzuzufügen.

    Der Keil, den die Ecke des Elsaß bei Weißenburg in Deutschland hineinschob, trennte Süddeutschland wirksamer als die politische Mainlinie von Norddeutschland, und es gehörte der hohe Grad von Entschlossenheit, von nationaler Begeisterung und Hingebung bei unseren süddeutschen Bundesgenossen dazu, um ungeachtet dieser naheliegenden Gefahr, der sie bei einer geschickten Führung des Feldzuges von seiten Frankreichs ausgesetzt waren, keinen Augenblick anzustehen, in der Gefahr Norddeutschlands die ihrige zu sehen und frisch zuzugreifen, um mit uns gemeinschaftlich vorzugehen. (Bravo!)

    Daß Frankreich in dieser überlegenen Stellung, in diesem vorgeschobenen Bastion, welches Straßburg gegen Deutschland bildete, der Versuchung zu erliegen jederzeit bereit war, sobald innere Verhältnisse eine Ableitung nach außen nützlich machten, das haben wir Jahrzehnte hindurch gesehen. (Sehr wahr!) Es ist bekannt, daß ich noch am 6. August 1866 in dem Fall gewesen bin, den französischen Botschafter bei mir eintreten zu sehen, um mir mit kurzen Worten das Ultimatum zu stellen, Mainz an Frankreich abzutreten oder die sofortige Kriegserklärung zu gewärtigen. (Hört! hört!) Ich bin natürlich nicht eine Sekunde zweifelhaft gewesen über die Antwort. Ich antwortete ihm: Gut, dann ist Krieg! (Bravo!) Er reiste mit dieser Antwort nach Paris; in Paris besann man sich einige Tage nachher anders, und man gab mir zu verstehen, diese Instruktion sei dem Kaiser Napoleon während einer Krankheit entrissen worden. (Heiterkeit.) Die weiteren Versuche in Bezug auf Luxemburg und weitere Fragen sind bekannt. Ich komme darauf nicht zurück. Ich glaube, ich brauche auch nicht zu beweisen, daß Frankreich nicht immer charakterstark genug war, den Versuchungen, die der Besitz des Elsaß mit sich brachte, zu widerstehen.

    Die Frage, wie Bürgschaften dagegen zu gewinnen seien – territorialer Natur mußten sie sein, die Garantien der auswärtigen Mächte konnten uns nicht viel helfen, denn solche Garantien haben zu meinem Bedauern mitunter nachträglich eigentümlich abschwächende Deklarationen erhalten. (Heiterkeit.) Man sollte glauben, daß ganz Europa das Bedürfnis empfunden hätte, die häufig wiederkehrenden Kämpfe zweier großer Kulturvölker inmitten der europäischen Zivilisation zu hindern, und daß die Einsicht nahelag, daß das einfachste Mittel, sie zu hindern, dasjenige sei, daß man den zweifellos friedfertigeren Teil von beiden in seiner Verteidigung stärke. Ich kann indes nicht sagen, daß dieser Gedanke von Haus überall einleuchtend gefunden wurde. (Heiterkeit.)

    Es wurde nach anderen Auskunftsmitteln gesucht, es wurde uns vielfach vorgeschlagen, wir möchten uns mit den Kriegskosten und mit der Schleifung der französischen Festungen in Elsaß und Lothringen begnügen. Ich habe dem immer widerstanden, indem ich dieses Mittel für ein unpraktisches im Interesse der Erhaltung des Friedens ansehe. Es ist die Konstituierung einer Servitut auf fremdem Grund und Boden, einer sehr drückenden und beschwerlichen Last für das Souveränitäts-, für das Unabhängigkeitsgefühl desjenigen, den sie trifft. Die Abtretung der Festungen wird kaum schwerer empfunden, als das Gebot des Auslandes, innerhalb des Gebietes der eigenen Souveränität nicht bauen zu dürfen. Die Schleifung des unbedeutenden Platzes Hüningen ist vielleicht öfter wirksam zur Erregung französischer Leidenschaft benutzt worden, als der Verlust irgendeines Territoriums, den Frankreich an seinen Eroberungen 1815 zu erleiden hatte. Ich habe deshalb auf dieses Mittel keinen Wert gelegt, um so weniger, als nach der geographischen Konfiguration des vorspringenden Bastions, wie ich mir erlaubte, es zu bezeichnen, der Ausgangspunkt der französischen Truppen immer gleich nahe an Stuttgart und München gelegen hätte wie jetzt. Es kam darauf an, ihn weiter zurückzuverlegen.

    Außerdem ist Metz ein Ort, dessen topographische Konfiguration von der Art, daß die Kunst, um es zu einer starken Festung zu machen, nur sehr wenig zu tun braucht, um dasjenige, was sie etwa daran getan hat, wenn es zerstört würde, was sehr kostspielig wäre, doch sehr rasch wieder herzustellen. Ich habe also dies Auskunftsmittel als unzulänglich angesehen.

    Ein anderes Mittel wäre gewesen – und das wurde auch von Einwohnern von Elsaß und Lothringen befürwortet – einen neutralen Staat, ähnlich wie Belgien und die Schweiz, an jener Stelle zu errichten. Es wäre dann eine Kette von neutralen Staaten hergestellt gewesen von der Nordsee bis an die Schweizer Alpen, die es uns allerdings unmöglich gemacht haben würde, Frankreich zu Lande anzugreifen, weil wir gewohnt sind, Verträge und Neutralitäten zu achten (sehr gut!), und weil wir durch diesen dazwischenliegenden Raum von Frankreich getrennt wären; keineswegs aber würde Frankreich an dem im letzten Kriege ja gehegten, aber nicht ausgeführten Plan gehindert sein, gelegentlich seine Flotte mit Landungstruppen an unsere Küsten zu schicken oder bei Verbündeten französische Truppen zu landen und bei uns einrücken zu lassen. Frankreich hätte einen schützenden Gürtel gegen uns bekommen, wir aber wären, solange unsere Flotte der französischen nicht gewachsen ist, zur See nicht gedeckt gewesen. Es war dies ein Grund, aber nur in zweiter Linie. Der erste Grund ist der, daß die Neutralität überhaupt nur haltbar ist, wenn die Bevölkerung entschlossen ist, sich eine unabhängige neutrale Stellung zu wahren und für die Erhaltung ihrer Neutralität zur Not mit Waffengewalt einzutreten. So hat es Belgien, so hat es die Schweiz getan; beide hätten uns gegenüber es nicht nötig gehabt; aber ihre Neutralität ist tatsächlich von beiden gewahrt worden; beide wollen unabhängige neutrale Staaten bleiben. Diese Voraussetzung wäre bei den neu zu bildenden Neutralen, Elsaß und Lothringen, in der nächsten Zeit nicht zugetroffen, sondern es ist zu erwarten, daß die starken französischen Elemente, welche im Lande noch lange zurückbleiben werden, die mit ihren Interessen, Sympathien und Erin¬nerungen an Frankreich hängen, diesen neutralen Staat, welcher immer sein Souverän sein möchte, bei einem neuen französisch-deutschen Kriege bestimmt haben würden, sich Frankreich wieder anzuschließen, und die Neutralität wäre eben nur ein für uns schädliches, für Frankreich nützliches Trugbild gewesen. Es blieb daher nichts anderes übrig, als diese Landesstriche mit ihren starken Festungen vollständig in deutsche Gewalt zu bringen, um sie selbst als ein starkes Glacis Deutschlands gegen Frankreich zu verteidigen, und um den Ausgangspunkt etwaiger französischer Angriffe um eine Anzahl von Tagemärschen weiter zurückzulegen, wenn Frankreich entweder bei eigener Erstarkung oder im Besitz von Bundesgenossen uns den Handschuh wieder hinwerfen sollte.

    Der Verwirklichung dieses Gedankens, der Befriedigung dieses Gedankens, der Befriedigung dieses unabweisbaren Bedürfnisses zu unserer Sicherheit stand in erster Linie die Abneigung der Einwohner selbst, von Frankreich getrennt zu werden, entgegen. Es ist nicht meine Aufgabe, hier die Gründe zu untersuchen, die es möglich machten, daß eine urdeutsche Bevölkerung einem Lande mit fremder Sprache und mit nicht immer wohlwollender und schonender Regierung in diesem Maße anhänglich werden konnte. Etwas liegt wohl darin, daß alle diejenigen Eigenschaften, die den Deutschen vom Franzosen unterscheiden, gerade in der Elsässer Bevölkerung in hohem Grade verkörpert werden, so daß die Bevölkerung dieser Lande in Bezug auf Tüchtigkeit und Ordnungsliebe, ich darf wohl ohne Übertreibung sagen, eine Art von Aristokratie in Frankreich bildete; sie waren befähigter zu Ämtern, zuverlässiger im Dienst. Die Stellvertreter im Militär, die Gendarmen, die Beamten im Staatsdienst in einem die Proportion der Bevölkerung weit überragenden Verhältnis waren Elsässer und Lothringer; es waren die 1½ Millionen Deutsche, die alle Vorzüge des Deutschen in einem Volke, das andere Vorzüge hat, aber gerade nicht diese, zu verwerten imstande waren und tatsächlich verwerteten; sie hatten durch ihre Eigenschaften eine bevorzugte Stellung, die sie manche gesetzliche Unbilligkeit vergessen machte.

    Es liegt dabei im deutschen Charakter, daß jeder Stamm sich irgendeine Art von Überlegenheit namentlich über seinen nächsten Nachbar vindiziert; hinter dem Elsässer und Lothringer, solange er französisch war, stand Paris mit seinem Glanze und Frankreich mit seiner einheitlichen Größe; er trat dem deutschen Landsmann gegenüber mit dem Gefühle, Paris ist mein, und fand darin ein Quelle für ein Gefühl partikularistischer Überlegenheit. Ich gehe nicht auf die weiteren Gründe zurück, daß jeder sich einem großen Staatswesen, welches seiner Fähigkeit vollen Spielraum gibt, leichter assimiliert als einer zerrissenen, wenn auch stammverwandten Nation, wie sie sich früher diesseits des Rheins für einen Elsässer darstellte. Tatsache ist, daß diese Abneigung vorhanden war, und daß es unsere Pflicht ist, sie mit Geduld zu überwinden. Wir haben meines Erachtens viele Mittel dazu; wir Deutsche haben im Ganzen die Gewohnheit, wohlwollender, mitunter etwas ungeschickter, aber auf die Dauer kommt es doch heraus, wohlwollender und menschlicher zu regieren als es die französischen Staatsmänner tun (Heiterkeit); es ist das ein Vorzug des deutschen Wesens, der in dem deutschen Herzen der Elsässer bald anheimeln und erkennbar werden wird. Wir sind außerdem imstande, den Bewohnern einen viel höheren Grad von kommunaler und individueller Freiheit zu bewilligen, als die französischen Einrichtungen und Traditionen dies je vermochten. Wenn wir die heutige Pariser Bewegung betrachten, so wird auch bei ihr eintreffen, was bei jeder Bewegung, die eine gewisse Nachhaltigkeit hat, unzweifelhaft ist, daß neben allen unvernünftigen Motiven, die ihr ankleben und den einzelnen bestimmen, in der Grundlage irgendein vernünftiger Kern steckt; sonst vermag keine Bewegung auch nur das Maß von Kraft zu erlangen, wie die Pariser es augenblicklich erlangt hat.

    Dieser vernünftige Kern – ich weiß nicht, wie viel Leute ihm anhängen, aber jedenfalls die Besten und Intelligentesten von denen, die augenblicklich gegen ihre Landsleute kämpfen – ich darf es mit einem Worte bezeichnen: es ist die deutsche Städteordnung; wenn die Kommune diese hätte, dann würden die Besseren ihrer Anhänger zufrieden sein – ich sage nicht alle. Wir müssen unterscheiden, wie liegt die Sache: die Miliz der Gewalttat besteht überwiegend aus Leuten, die nichts zu verlieren haben; es gibt in einer Stadt von zwei Millionen eine große Anzahl sogenannter repris de justice, Leute, die man bei uns als unter polizeilicher Aufsicht bezeichnen würde, Leute, die die Intervalle, die sie zwischen zwei Zuchthausperioden haben, in Paris zubringen, und die sich dort in erheblicher Anzahl zusammenfinden, Leute, die überall, wo es Unordnung und Plünderung gibt, bereitwillig derselben dienen. Es sind gerade diese, die der Bewegung den bedrohlichen Charakter für Zivilisation gegeben haben, durch den sie sich gelegentlich hervortat, ehe man die theoretischen Ziele näher untersuchte, und der im Interesse der Menschlichkeit, hoffe ich, jetzt zu den überwundenen gehört, aber freilich auch ebensogut rückfällig werden kann. Neben diesem Auswurf, wie er sich in jeder großen Stadt ja reichlich findet, wird die Miliz, deren ich gedacht, gebildet durch eine Anzahl von Anhängern der europäischen internationalen Republik. Mir sind die Ziffern genannt worden, mit welchen die fremden Nationalitäten sich dort beteiligen, von denen mir nur vorschwebt, daß beinahe 8000 Engländer sich zum Zwecke der Verwirklichung ihrer Pläne in Paris befinden sollen – ich setze voraus, daß es großenteils irische Fenier sind, die mit dem Ausdrucke Engländer bezeichnet werden – ebenso eine große Anzahl Belgier, Polen, Garibaldiner und Italiener.

    Das sind Leute, denen die Kommune und die französischen Freiheiten ziemlich gleichgültig sind, sie erstreben etwas anderes, und auf sie war natürlich dieses Argument nicht gerichtet, wenn ich sagte: es ist in jeder Bewegung ein vernünftiger Kern. (Heiterkeit.) Solche Wünsche, wie sie ja in Frankreich bei den großen Gemeinden sehr berechtigt sind im Vergleich mit ihrer staatsrechtlichen Vergangenheit, die ihnen nur ein sehr geringes Maß der Bewegung zuläßt und nach den Traditionen der französischen Staatsmänner das Äußerste dennoch bietet, was man der kommunalen Freiheit gewähren kann, machen sich ja bei dem deutschen Charakter der Elsässer und Lothringer, der mehr nach individueller und kommunaler Selbständigkeit strebt, wie der Franzose, in hohem Grade fühlbar, und ich bin überzeugt, daß wir der Bevölkerung des Elsaß auf dem Gebiete der Selbstverwaltung ohne Schaden für das gesamte Reich einen erheblichen freieren Spielraum lassen können – von Hause aus, der allmählich so erweitert wird, daß er dem Ideal zustrebt, daß jedes Individuum, jeder engere kleinere Kreis das Maß der Freiheit besitzt, was überhaupt mit der Ordnung des Gesamtstaatswesens verträglich ist. Das zu erreichen, diesem Ziele möglichst nahe zu kommen, halte ich für die Aufgabe jeder vernünftigen Staatskunst, und sie ist für die deutschen Einrichtungen, unter denen wir leben, sehr viel erreichbarer, als sie es in Frankreich nach dem fran¬zösischen Charakter und der unitarischen Verfassung von Frankreich jemals werden kann. Ich glaube deshalb, daß es uns mit deutscher Geduld und deutschem Wohlwollen gelingen wird, den Landsmann dort zu gewinnen – vielleicht in kürzerer Zeit, als man jetzt erwartet.

    Es werden aber immer Elemente zurückbleiben, die mit ihrer ganzen persönlichen Vergangenheit in Frankreich wurzeln, und die zu alt sind, um sich davon noch loszureißen, oder die durch ihre materiellen Interessen mit Frankreich notwendig zusammenhängen und für das Zerreißen der Bande, die sie an Frankreich knüpften, eine Entschädigung bei uns entweder gar nicht oder nur spät finden können. Also wir dürfen uns nicht damit schmeicheln, sehr rasch an dem Ziele zu sein, daß im Elsaß die Verhältnisse sein würden wie in Thüringen in Bezug auf deutsche Empfindungen; aber wir dürfen denn doch auch nicht verzweifeln, das Ziel, dem wir zustreben, unsererseits noch zu erleben, wenn wir die Zeit erfüllen, welche dem Menschen im Durchschnitte gegeben ist.

    Wie nun dieser Aufgabe näher zu treten sei, in welcher Form zunächst, das ist die Frage, welche jetzt zuerst an Sie herantritt, meine Herren, aber doch nicht in einer entscheidenden und die Zukunft bindenden Weise. Ich möchte Sie bitten, bei diesen Beratungen sich nicht auf den Standpunkt zu stellen, daß Sie etwas für die Ewigkeit Gültiges machen wollen, daß Sie jetzt schon sich einen festen Gedanken bilden wollen über die Gestaltung der Zukunft, wie sie nach mehreren Jahren etwa sein soll. Dahin reicht meines Erachtens keine menschliche Voraussicht. Die Verhältnisse sind abnorm; sie mußten abnorm sein – unsere ganze Aufgabe war es – und sie sind nicht nur abnorm in der Art, wie wir das Elsaß gewonnen haben, sie sind auch abnorm in der Person des Gewinners. Ein Bund, aus souveränen Fürsten und freien Städten bestehend, der eine Eroberung macht, die er zum Bedürfnisse seines Schutzes behalten muß, die sich also im gemeinsamen Besitz befindet, ist eine in der Geschichte sehr seltene Erscheinung, und wenn wir einzelne Unternehmungen von Schweizer Kantonen abrechnen, die doch auch immer nicht die Absicht hatten, sich die gemeinsam gewonnenen Länder gleichberechtigt zu assimilieren, sondern sie als gemeinsame Provinzen zum Vorteil der Eroberer zu bewirtschaften, so glaube ich kaum, daß sich in der Geschichte etwas ähnliches findet.

    Ich möchte also glauben, daß gerade bei dieser abnormen Lage und abnormen Aufgabe die Mahnung, den Fernblick des scharfsichtigsten Politikers in menschlichen Dingen nicht zu überschätzen, besonders an uns herantritt. Ich wenigstens fühle mich nicht imstande, jetzt schon mit voller Sicherheit zu sagen, wie die Situation nach drei Jahren im Elsaß und in Lothringen sein wird. Um das berechnen zu können, müßte man in die Zukunft sehen. Es hängt das von Faktoren ab, deren Entwicklung, deren Verhalten und guter Wille gar nicht in unserer Gewalt stehen und von uns nicht regiert werden können. Es ist das, was wir Ihnen vorlegen, eben ein Versuch, den richtigen Anfang einer Bahn zu finden, über deren Ende wir selbst noch der Belehrung durch die Entwicklung, durch die Erfahrungen, die wir machen werden, bedürftig sind. Und ich möchte Sie deshalb bitten, einstweilen den¬selben empirischen Weg gehen zu wollen, den die Regierungen gegangen sind, und die Verhältnisse zu nehmen, wie sie liegen, und nicht, wie sie vielleicht wünschenswert wären. Wenn man nichts Besseres an die Stelle zu setzen weiß für etwas, was einem nicht vollständig gefällt, so tut man immer, meiner Überzeugung nach, besser, der Schwerkraft der Ereignisse ihre Wirkung zu lassen und die Sache einstweilen so zu nehmen, wie sie liegt; sie liegt aber so, daß die verbündeten Regierungen gemeinsam diese Länder gewonnen haben, daß ihr gemeinsamer Besitz, ihre gemeinsame Verwaltung etwas Gegebenes ist, was nach unseren Bedürfnissen und nach den Bedürfnissen der Beteiligten in Elsaß und Lothringen modifiziert werden kann. Aber ich möchte dringend bitten, sparen Sie sich, ebenso wie es die verbündeten Regierungen machen, das Urteil über die Gestaltung, wie sie definitiv noch einmal werden kann, noch auf. Haben Sie mehr Mut, die Zukunft zu präjudizieren, als wir haben, so werden wir Ihnen bereitwillig entgegenkommen, da wir unsere Arbeit ja doch nur gemeinschaftlich betreiben können, und gerade die Vorsicht, mit der ich die Überzeugung der verbündeten Regierungen kundgebe, mit der dieselben sich die Überzeugung gebildet haben, zeigt Ihnen zugleich die Bereitwilligkeit, in der wir uns befinden, uns belehren zu lassen, wenn wir irgendeinen besseren Vorschlag erhalten, namentlich wenn er sich an der Hand der Erfahrung, selbst einer kurzen Erfahrung, als der bessere bewährt haben sollte; und wenn ich unsererseits diesen guten Willen kundgebe, so bin ich sicher, daß er bei Ihnen ebenso vorhanden ist, auf diesem Wege gemeinsam mit deutscher Geduld und deutscher Liebe zu allen, besonders zu den neuesten Landsleuten, das richtige Ziel zu finden und schließlich zu erreichen. (Lebhaftes Bravo!)