Gespräch mit dem Abgeordneten Eduard von Bethusy-Huc, Berlin

    März 1867

     

    Bismarck hält einen Krieg gegen Frankreich innerhalb der nächsten fünf Jahre für unvermeidlich. Einen Präventivkrieg lehnt er aber entschieden ab. „Nur für die Ehre des Landes – nicht zu verwechseln mit dem sogenannten Prestige – nur für die vitalsten Interessen darf ein Krieg begonnen werden.“

    Abgeordneter Bethusy: „Glauben Eure Exzellenz, daß binnen jetzt und fünf Jahren ein Krieg mit Frankreich unvermeidlich eintreten wird?“
    Graf Bismarck: „Ja, das glaube ich leider.“
    Abgeordneter: „Glauben Eure Exzellenz mit mir, daß innerhalb dieses fünfjährigen Zeitraumes der gegenwärtige Moment der günstigste bezüglich des gegenseitigen Verhältnisses unserer Streitkraft ist?“
    Graf Bismarck: „Das glaube ich ohne Zweifel.“
    Abgeordneter: „Können Euer Exzellenz binnen jetzt und vierundzwanzig Stunden den Krieg herbeiführen?“

    Graf Bismarck: „Die Regierung Seiner Majestät kann dies sicherlich. Ich brauche aber Ihre vierte Frage nicht abzuwarten. Sie würde logisch lauten müssen: Warum dann raten Sie Seiner Majestät nicht zum Kriege? und ich könnte nur antworten: weil ich ein sehr törichter oder sehr furchtsamer Mann bin, wenn ich das „Ja“ auf Ihre erste Frage in allem Ernst so bedingungslos ausgesprochen hätte, als es unterhaltungsweise geschehen durfte. Ja, ich glaube leider an einen deutsch-französischen Krieg in nicht allzu langer Frist. Die durch unsre Siege verletzte krankhafte französische Eitelkeit wird dazu drängen. Für absolut unvermeidlich vermag ich ihn aber nicht zu erachten, weil ich weder für Frankreich noch für uns ein ernstes Interesse sehe, welches die Entscheidung der Waffen erheischte. Für 200 000 Wallonen und eine bicoque wie die Luxemburger Festung werden wir einen großen Krieg nicht beginnen, so lange Deutschlands Ehre nicht im Spiel ist. Die würden wir allerdings für gefährdet halten, wenn Frankreich ein nominell deutsches Land von einem Dritten käuflich erwürbe. Das aber hoffen wir ohne Krieg verhindern zu können. Gelingt es jetzt, diesen aufzuschieben, so ist die Dauer des Aufschubs schwer zu berechnen. Napoleon will den Krieg weniger als viele andere Franzosen, und doch ist er vielleicht der Befähigste, ihn zu führen. Eine Revolution, die ihn stürzt, kann den unmittelbaren Ausbruch des Krieges oder seinen Aufschub ad infinitum zur Folge haben. Chi lo sa?

    Nur für die Ehre seines Landes – nicht zu verwechseln mit dem sogenannten Prestige – nur für seine vitalsten Interessen darf ein Krieg begonnen werden. Kein Staatsmann hat das Recht, ihn zu beginnen, bloß weil er nach seinem subjektiven Ermessen ihn in gegebener Frist für unvermeidlich hält. Wären zu allen Zeiten die Minister des Aeußeren ihren Souveränen bezw. deren Oberfeldherren in die Feldzüge gefolgt, wahrlich, die Geschichte würde weniger Kriege zu verzeichnen gehabt haben.

    Ich habe auf dem Schlachtfelde und was noch weit schlimmer ist, in den Lazaretten die Blüte unsrer Jugend dahinraffen sehen durch Wunden und Krankheit, ich sehe jetzt aus diesem Fenster gar manchen Krüppel auf der Wilhelmstraße gehen, der heraufsieht und bei sich denkt, wäre nicht der Mann da oben, und hätte er nicht den bösen Krieg gemacht, ich säße jetzt gesund bei „Muttern“. Ich würde mit diesen Erinnerungen und bei diesem Anblick keine ruhige Stunde haben, wenn ich mir vorzuwerfen hätte, den Krieg leichtsinnig oder aus Ehrgeiz oder auch aus eitler Ruhmessucht für die Nation gemacht zu haben.

    Ja, ich habe den Krieg von 1866 gemacht in schwerer Erfüllung einer harten Pflicht, weil ohne ihn die preußische Geschichte still gestanden hätte, weil ohne ihn die Nation politischer Versumpfung verfallen und bald die Beute habsüchtiger Nachbarn geworden wäre, und stünden wir wieder, wo wir damals standen, würde ich entschlossen wieder den Krieg machen. Niemals aber werde ich Seiner Majestät zu einem Kriege raten, welcher nicht durch die innersten Interessen des Vaterlandes geboten ist.“