Gespräch mit Regierungsrat Robert von Keudell in St. Petersburg

    Mitte März 1862

     

    Bismarck hält das Jägerleben für „das dem Menschen natürliche“. Er preist die Jägerparadiese in den Urwäldern Russlands. „In Deutschland gibt es zwar keine großen Urwälder mehr, aber doch herrliche Waldungen in Masse, wo man Erquickung und Stärkung finden kann.“

    Mitte März 1862 kam ich zum zweitenmal als Gast des Gesandten nach Petersburg. Bei meiner Ankunft war der Hausherr nicht anwesend. Wenige Tage vorher hatte ein Bauer gemeldet, daß etwa 250 Werst von Petersburg entfernt, aber unweit der Eisenbahn, ein im Winterschlaf liegender Bär zu finden wäre. Bismarck entschloß sich sogleich, dorthin zu fahren. Am Tage nach meiner Ankunft kam er zurück und schien so munter und frisch, wie ich ihn seit Jahren nicht gesehen. Er trug einen Jägeranzug von braunem Schafpelz, der mit dem gleichen Pelz gefüttert war. Nach der ersten Begrüßung ging er, ohne an Wechseln des Anzuges zu denken, im Salon auf und ab und sagte, zu mir gewendet:

    „Sie konnten nicht zu den Winterfesten kommen wegen hartnäckiger Erkältungsbeschwerden. Wahrscheinlich, weil Sie zu wenig auf die Jagd gehen. Das Jägerleben ist eigentlich das dem Menschen natürliche. Und wenn man auch nur einen Tag in den Wäldern sein kann, so bringt man doch immer merkliche Stärkung mit nach Hause. Unsere gestrige Jagd freilich war verfehlt. Der Bär kam zwar gerade auf mich los in langsamem Trabe, aber ein anderer Jäger verscheuchte ihn durch einen vorzeitigen Schuß und er ging zwischen den Treibern davon. Dennoch freue ich mich, einmal wieder in der beschneiten Waldwildnis geatmet zu haben. Es geht nichts über Urwälder, in denen keine Spur von Menschenhänden zu finden. In Rußland gibt es deren noch viele, wahre Jägerparadiese. Auch bei Ihrem Vetter Sacken in Dondangen, wo ich vor Jahren zwei Elche schoß, gibt es noch Urwälder. Dort haben Sie ja auch gejagt. In Deutschland gibt es zwar keine großen Urwälder mehr, aber doch herrliche Waldungen in Masse, wo man Erquickung und Stärkung finden kann.“

    Dieser Äußerungen habe ich mich später erinnert, wenn er als Minister trotz drängender Geschäfte nicht selten Einladungen zu Hofjagden annahm. Das Bedürfnis der Nervenstärkung zog ihn in die Wälder. Die durch den Ausfall eines oder zweier Tage entstandenen geschäftlichen Rückstände schnell zu erledigen, schien ihm immer leicht zu gelingen.

    Abends saßen wir rauchend am Kaminfeuer. Er erzählte von verschiedenen Bärenjagden. „Nur einmal“, sagte er, »ist ein angeschossener Bär hoch aufgerichtet, mit offenem Rachen, auf mich zu gekommen. Ich ließ ihn bis auf fünf Schritte herankommen und gab ihm dann zwei Kugeln in die Brust, wonach er tot hintenüber fiel. Ich hatte dabei keinen Moment das Gefühl, mich in einer Gefahr zu befinden. Hinter mir stand immer der Jäger mit einer zweiten geladenen Doppelbüchse. Die andern Bären, die ich erlegen konnte, fielen unter Feuer, ohne sich aufzurichten. Es ist gewöhnlich eine sehr leichte Jagd, denn der aus dem Winterschlaf aufgeweckte Bär ist noch träge und langsam. Im Sommer jagt man ihn nicht, da wäre er für die Treiber zu gefährlich.“

    ... In politischer Beziehung war Bismarck damals wenig mitteilsam, vielleicht weil die bevorstehende Versetzung nach Paris und der nicht unwahrscheinliche spätere Einzug in das Ministerium seine Gedanken auf künftige Probleme richtete. Mehrmals erwähnte er, daß er dienstlich in der Vertretung der Interessen der in Rußland lebenden Deutschen „seine Schuldigkeit“ tue, in der europäischen Politik aber keinerlei Initiative nähme und sich passiv verhalte, was den immer auf Intrigen gefaßten Fürsten Gortschakoff sehr befriedige.

    Als ich nach vierzehntägigem Aufenthalt abreiste, begleitete er mich wieder zum Bahnhof. Dort sagte er: „Ich würde mich über Ihren Besuch noch mehr gefreut haben, wenn ich Ihnen eine Bärenjagd geben und Sie da zu Schuß bringen gekonnt hätte. Aber in den letzten Wochen ist kein Bär gemeldet worden.“