Rede im Preußischen Abgeordnetenhaus in Berlin

    3. Dezember 1850


    Mit der „Olmützer Punktation“ vom 29. November 1850 legen Preußen und Österreich ihren Streit über die Neugestaltung des Deutschen Bundes bei. Im Gegensatz zu den Liberalen und manchem Konservativen stimmt Bismarck der Einigung zu. Zugleich empfiehlt er für die Zukunft eine Machtpolitik, deren „einzig gesunde Grundlage […] der staatliche Egoismus“ sei.

    Der verehrte Herr Redner, welcher vor mir auf dieser Stelle die Sache, die uns beschäftigt, von dem Standpunkt eines unabhängigen oder kriegerisch gesinnten Beamten im Zivildienst [Riedel] beleuchtet hat (Heiterkeit auf der Rechten) und bei dessen Rede mir in dem Augenblicke der Zerstreuung nicht vollkommen gegenwärtig blieb, ob ich mich in der hessischen oder in der preußischen Kammer befand – ich sage, in einem Augenblicke der Zerstreuung –, war eingeschrieben, für die Adresse zu sprechen.
    Die Erfahrung hat gezeigt, daß er nicht nur gegen die Adresse gesprochen hat, sondern auch ein der Adresse schnurstracks entgegenstehendes, heute eingebrachtes Amendement befürwortete. Ich befinde mich insofern, als der verehrte Redner gegen die Adresse gesprochen hat, mit ihm auf gleichem Boden, nur aus ganz verschiedenen Gründen. Wenn die vorliegende Adresse den Zweck hat, in ihrem Totaleindrucke die Stimmung des Volkes durch das Organ seiner Vertreter wiederzugeben, so glaube ich, daß nicht ein einziger der vorliegenden Entwürfe, einschließlich der Amendements, diesen Zweck erreicht. Das preußische Volk hat sich, wie uns allen bekannt ist, auf den Ruf seines Königs einmütig erhoben, es hat sich im vertrauensvollem Gehorsam erhoben, es hat sich erhoben, um gleich seinen Vätern die Schlachten der Könige von Preußen zu schlagen, ehe es wußte und, meine Herren, merken Sie das wohl, ehe es wußte, was in diesen Schlachten erkämpft werden sollte; das wußte vielleicht niemand, der zur Landwehr abging; es hat sich erhoben in treuer Anhänglichkeit an seinen König, in treuer Anhänglichkeit an die Verfassung, ich wollte sagen ... (Bravo und Heiterkeit auf allen Seiten. Präsident: Ich bitte um Ruhe, der Herr Redner wird fortfahren.) Ich bin sehr glücklich, wenn mir zum ersten Mal in meinem Leben das ungesuchte Glück zuteil wird, den ungeteilten Beifall einer Kammer zu erwerben. (Bravo!)

    Ich hatte gehofft, daß ich dieses Gefühl der Einmütigkeit und des Vertrauens wiederfinden würde in den Kreisen der Landesvertreter, in den engeren Kreisen, in denen die Zügel der Regierung auslaufen.

    Ein kurzer Aufenthalt in Berlin, ein flüchtiger Blick in das hiesige Treiben hat mir gezeigt, daß ich mich geirrt habe. Der Adreßentwurf nennt diese Zeit eine große; ich habe hier nichts Großes gefunden als persönliche Ehrsucht, nichts Großes als Mißtrauen, nichts Großes als Parteihaß. Das sind drei Größen, die in meinem Urteil diese Zeit zu einer kleinlichen stempeln und dem Vaterlandsfreunde einen trüben Blick in unsere Zukunft gewähren. Der Mangel an Einigkeit in den Kreisen, die ich andeutete, wird in dem Adreßentwurfe locker verdeckt durch große Worte, bei denen sich jeder das Seine denkt. Von dem Vertrauen, was das Land beseelt, von dem hingebenden Vertrauen, gegründet auf die Anhänglichkeit an Seine Majestät den König, gegründet auf die Erfahrung, daß das Land mit dem Ministerium, welches ihm zwei Jahre lang vorsteht, gut gefahren ist, habe ich in der Adresse und in ihren Amendements nichts gespürt. Ich hätte dies um so nötiger gefunden, als es mir Bedürfnis schien, daß der Eindruck, den die einmütige Erhebung des Landes in Europa gemacht hat, gehoben und gekräftigt werde durch die Einheit derer, die nicht der Wehrkraft angehören, in dem Augenblick, wo uns unsere Nachbarn in Waffen gegenüberstehen, wo wir in Waffen nach unseren Grenzen eilen, in einem Augenblick, wo ein Geist des Vertrauens selbst in solchen herrscht, denen er sonst nicht angebracht schien; in einem Augenblick, wo jede Frage der Adresse, welche die auswärtige Politik berührt, Krieg oder Frieden in ihrem Schoße birgt; und, meine Herren, welchen Krieg? Keinen Feldzug einzelner Regimenter nach Schleswig oder Baden, keine militärische Promenade durch unruhige Provinzen, sondern einen Krieg im großen Maßstabe gegen zwei unter den drei großen Kontinentalmächten [Österreich und Rußland], während die dritte [Frankreich] beutelustig an unserer Grenze rüstet und sehr wohl weiß, daß im Dome zu Köln das Kleinod zu finden ist, welches geeignet wäre, die französische Revolution zu schließen und die dortigen Machthaber zu befestigen, nämlich die französische Kaiserkrone. Ein Krieg, meine Herren, der uns nötigen wird, bei seinem Beginnen einen Teil der entlegeneren preußischen Provinzen preiszugeben, in dem ein großer Teil des preußischen Landes sich sofort von feindlichen Heeren überschwemmt sehen, der die Schrecken des Krieges in vollem Umfange unsere Provinzen empfinden lassen wird. Ein Krieg, von dem anzunehmen ist, daß der Minister des Kultus, unter dem die Diener der Religion, des Friedens und der Liebe stehen, ihn in seinem Herzen tief verabscheut. (Heiterkeit.) Ein Krieg, von dem der Minister des Handels und der Gewerbe überzeugt sein muß, daß er in seinem Beginn die Zweige der öffentlichen Wohlfahrt, welche seiner Pflege anvertraut sind, vernichtet, und den der Finanzminister nur wünschen kann, wenn das Geld in dem königlichen Schatze nicht mehr zu lassen ist. Dennoch würde ich vor diesem Kriege nicht zurückschrecken, ja ich würde dazu raten, wenn jemand imstande wäre, mir die Notwendigkeit desselben nachzuweisen oder mir ein würdiges Ziel zu zeigen, welches durch ihn erreicht werden soll und ohne den Krieg nicht zu erreichen ist. Warum führen große Staaten heutzutage Krieg? Die einzig gesunde Grundlage eines großen Staates, und dadurch unterscheidet er sich wesentlich von einem kleinen Staate, ist der staatliche Egoismus und nicht die Romantik, und es ist eines großen Staates nicht würdig, für eine Sache zu streiten, die nicht seinem eigenen Interesse angehört. Zeigen Sie mir also, meine Herren, ein des Krieges würdiges Ziel, und ich will Ihnen beistimmen. Es ist leicht für einen Staatsmann, sei es in dem Kabinette oder in der Kammer, mit dem populären Winde in die Kriegstrompete zu stoßen und sich dabei an seinem Kaminfeuer zu wärmen oder von dieser Tribüne donnernde Reden zu halten und es dem Musketier, der auf dem Schnee verblutet, zu überlassen, ob sein System Sieg und Ruhm erwirbt oder nicht. Es ist nichts leichter als das, aber wehe dem Staatsmann, der sich in dieser Zeit nicht nach einem Grunde zum Kriege umsieht, der auch nach dem Kriege noch stichhaltig ist. Ich bin der Überzeugung, Sie sehen die Fragen, die uns jetzt beschäftigen, nach einem Jahre anders an, wenn Sie sie rückwärts durch eine lange Perspektive von Schlachtfeldern und Brandstätten, Elend und Jammer, von hunderttausend Leichen und hundert Millionen Schulden erblicken werden. Werden Sie dann den Mut haben, zu dem Bauer auf der Brandstätte seines Hofes, zu dem zusammengeschossenen Krüppel, zu dem kinderlosen Vater hinzutreten und zu sagen: Ihr habt viel gelitten, aber freut euch mit uns, die Unionsverfassung ist gerettet. (Heiterkeit.) Freut euch mit uns, Hassenpflug ist nicht mehr Minister, unser Bayrhofer regiert in Hessen. (Bravo von der Rechten.) Haben Sie den Mut, das den Leuten dann zu sagen, dann beginnen Sie diesen Krieg, aber von vielen Seiten, von manchem, wo ich erwartete, daß man mit klaren Augen in das blendende Licht sehen werde, sind diese Fragen identifiziert worden mit der preußischen Ehre, und darin glaubt man den Hebel gefunden zu haben, der die trägste preußische Faust an den Degengriff führt; da glaubt man das Geheimnis gefunden zu haben, die preußische Armee für dasselbe Prinzip ins Gefecht zu führen, welches sie im März 1848 in den Straßen Berlins bekämpfte. (Unruhe auf der Linken.)

    Meine Herren! Es hat mir überraschend sein müssen, gerade den Mund derjenigen heute von Soldatenehre, von militärischen Sympathien überfließen zu sehen, welche während des Gefechts am 18. März mit ihren Sympathien, mit ihrem Rate nicht die Stelle trafen, wo das preußische Militär seine Ehre suchte, welche in der Adreßdebatte des Zweiten Vereinigten Landtags und in der Adresse selbst für das wunde Soldatenherz keinen besseren Balsam hatten als die kühle Phrase: „Auf beiden Seiten schlagen Heldenherzen“, auf beiden Seiten, auf seiten der preußischen Armee, und auch auf seiten des Teiles des sogenannten Volkes, der ihr gegenüberstand. Aber, meine Herren, mögen Sie, ich will nicht sagen, aus Mangel an Patriotismus, es mag jemand den Begriff des Patriotismus anders auffassen, wie ich, mögen Sie es nicht verschmähen, den Stachel tiefer in das tapfere Herz des preußischen Soldaten in diesem Augenblick zu drücken, wo vermöge einer anderthalbjährigen verkehrten Politik deren Träger [Radowitz] und mit ihm, meiner Ansicht nach, sein System gefallen ist, das preußische Militärgefühl schon tief genug verwundet ist; mögen Sie die Leidenschaften der Armee entflammen wollen, daß sie wie ein unbändiges Pferd mit der preußischen Staatsweisheit durchgehe. Mögen Sie es versuchen, es wird Ihnen nicht gelingen, das preußische Heer, welches am 19. März, den Zorn des gereizten Siegers im Herzen, die geladene Waffe in der Hand, lediglich dem Befehl seines Kriegsherrn gehorchend, unter dem Hohn seiner Gegner die Rolle des Besiegten übernahm, zu einem Parlamentsheer zu machen; es wird stets das Heer des Königs bleiben und seine Ehre im Gehorsam suchen. (Bravo von der Rechten.)

    Die preußische Armee hat, Gott sei Dank! nicht notwendig, ihre Tapferkeit zu beweisen und, wie junge Renommisten auf der Universität, Händel zu suchen, um zu zeigen, daß sie sich schlägt. Es wird nicht von uns verlangt, daß wir Hessen räumen sollen; wenn es aber verlangt würde, so würde ich dadurch auch die Ehre der preußischen Armee nicht verletzt halten; sie würde sich dadurch jedenfalls nicht stärker verletzt fühlen als die Armee irgendeiner Großmacht in Europa, die doch auch auf Ehre Anspruch macht. Im Jahre 1840, ich erinnere Sie daran, als das Kriegsgeschrei ertönte, hat es das preußische Heer wohl mit seiner Ehre verträglich gehalten, daß die eingerufenen Reserven wieder nach Hause geschickt wurden, sobald die Regierung sich überzeugt hatte, daß ihre Pläne in Europa stärkeren Widerstand finden würden, als mit dem zu erreichenden Vorteil in Verhältnis stand. Ich erinnere daran, daß im vorigen Jahre die siegreiche österreichische Armee zweimal vor Turin Halt machte, man möchte sagen auf Befehl, jedenfalls infolge der Drohung einer Kriegserklärung Frankreichs, und niemand deshalb gewagt hat, Schande auf den österreichischen Soldaten zu werfen. Ich erinnere Sie daran, daß Rußland im vorigen Jahre auf traktatmässige Forderungen, auf Auslieferung der polnischen und ungarischen Flüchtlinge verzichtete, nicht weil es sich von der Unrechtmäßigkeit seiner Forderung überzeugte, sondern weil ihm von England und Frankreich mit Krieg gedroht wurde. Ich erinnere Sie an die englische Flotte, die damals stolz durch die Dardanellen segelte und, sobald England eine russische Kriegsdrohung erhielt, sofort unter dem Jubel russischer Matrosen durch die Dardanellen zurückfuhr, ohne daß ein englischer Seemann durch Gehorsam gegen die Befehle des Kabinetts seine Ehre für verletzt hielt. Ich habe das feste Vertrauen, und ich glaube, die Mehrzahl der Preußen hat es mit mir, daß das Ministerium, welches im November 1848 die Ehre des Vaterlandes gewahrt hat, daß der General, auf den die ganze Armee mit Achtung sieht und der an der Spitze des Kriegsministeriums steht [Stockhausen], daß sie und ihre Kollegen auch wissen, was preußische Ehre ist und wie sie zu wahren sei.

    Die preußische Ehre besteht nach meiner Überzeugung nicht darin, daß Preußen überall in Deutschland den Don Quichote spiele für gekränkte Kammerzelebritäten, welche ihre lokale Verfassung für gefährdet halten. Ich suche die preußische Ehre darin, daß Preußen vor allem sich von jeder schmachvollen Verbindung mit der Demokratie entfernt halte, daß Preußen in der vorliegenden wie in allen Fragen nicht zugebe, daß in Deutschland etwas geschehe ohne Preußens Einwilligung (Heiterkeit), daß dasjenige, was Preußen und Österreich nach gemeinschaftlicher unabhängiger Erwägung für vernünftig und politisch richtig halten, durch die beiden gleichberechtigten Schutzmächte Deutschlands gemeinschaftlich ausgeführt werde. Man kann sehr darüber streiten, was in diesen Fällen, namentlich in Hessen und Holstein, politisch und vernünftig sei. Darüber aber, glaube ich, ist die Mehrzahl von uns einig, daß es wünschenswert sei, daß in Hessen der Rabulisterei in einem Streite, wo ich für beide Teile nicht einen Schuß Pulver verbrennen mag, ein Ende gemacht werde, und daß der unglückliche Krieg in Schleswig-Holstein, in den uns die unbesonnene und leichtfertige Politik des Jahres 1848 verflochten hat, ebenfalls beseitigt werde. Ich selbst wünsche dringend und bestehe auf Wahrung der wirklichen Rechte der Schleswig-Holsteiner, eines Stammes, der mir durch kriegerische Tapferkeit die Achtung abgewonnen hat, die ich seinem Bestreben jederzeit versagen mußte, seine vermeintlichen oder wahren Rechte gegen den Landesherrn mit revolutionärer Waffengewalt durchzuführen. Ich sage, man kann über die Rechtszustände in Hessen und Holstein vieles urteilen, aber der Meinung des Vorredners für Aachen [Vincke] kann ich mich nicht anschließen, daß der Zustand in Hessen der gesetzlichste sei, der in irgend einem Lande bestehen könne.

    Wenn es wirklich wahr ist, wie der verehrte Abgeordnete für Aachen in einem Briefe gelesen hat, daß der Regierungsrat Niebuhr nach Hessen abgesendet ist, um den furchtbaren Zustand herbeizuführen, daß die Steuern wieder gezahlt werden, so wünsche ich dieser Sendung allen Erfolg und ziehe den letzteren Zustand dem vor, welchen der Abgeordnete für Aachen für einen vorzugsweise rechtlichen erklärt, und in welchem Beamte und Offiziere ihren Vorgesetzten öffentlich den Krieg erklären und den Gehorsam versagen. In Bezug auf die Benutzung der Etappenstraßen muß ich aus dem, was hier geäußert worden, fast schließen, daß der Begriff einer Etappenstraße manchem unbekannt ist. Wir haben, ich will versuchen, ganz deutlich zu sein, die Benutzung der Etappenstraßen der Länge nach; in derselben belästigt es uns durchaus nicht, wenn diese Straßen ihrer Breite nach von irgend jemandem überschritten werden. (Heiterkeit.)

    Unsere materiellen Interessen, die Integrität unserer Grenzen, die Sicherheit unserer heimischen Verfassung ist bisher von niemandem angefochten; Eroberungen wollen wir nicht machen.

    Ich will hier nicht erörtern, inwiefern dies zu bedauern ist und inwiefern jemand einen Krieg vielleicht gern führen könnte, der keinen anderen Grund hat, als daß sein König und Kriegsherr sagt: „Dies Land gefällt mir, ich will es besitzen.“ Die Frage beschäftigt uns nicht, die Thronrede selbst weist die Möglichkeit von Eroberungen ab. Die Adresse spricht ihren Dank dafür aus. Diese Frage bleibt also für jetzt außer Spiel. Die Hauptfrage, die Krieg und Frieden birgt, die Gestaltung Deutschlands, die Regelung der Verhältnisse zwischen Preußen und Österreich und der Verhältnisse von Preußen und Österreich zu den kleineren Staaten, soll in wenigen Tagen der Gegenstand der freien Konferenzen [in Dresden] werden, kann also jetzt nicht Gegenstand eines Krieges sein. Wer den Krieg durchaus will, den vertröste ich darauf, daß er in den freien Konferenzen jederzeit zu finden ist: in vier oder sechs Wochen, wenn man ihn haben will. Ich bin weit davon entfernt, in einem so wichtigen Augenblicke, wie dieser ist, die Handlungsweise der Regierung durch Ratgeben hemmen zu wollen.

    Wenn ich dem Ministerium gegenüber einen Wunsch aussprechen wollte, so wäre es der, daß wir nicht eher entwaffnen, als bis die freien Konferenzen ein positives Resultat gegeben haben; dann bleibt es noch immer Zeit, einen Krieg zu führen, wenn wir ihn wirklich mit Ehren nicht vermeiden können oder nicht vermeiden wollen. (Beifall rechts.)

    Daß aber diese Kammer, sei es nun als ein diplomatisches Conseil, oder als ein Hofkriegsrat von 350 Personen, in diese Verhandlungen eingreife, das, glaube ich, wäre die einzige Möglichkeit, den glücklichen Erfolg dieser Verhandlungen, den ich nach meinem Wissen voraussehe, zu verhindern, einen Erfolg, der dasjenige, was wir jahrelang auf verkehrtem Wege erstrebt haben, ohne Schwertstreich in unseren Schoß fallen lassen würde.

    Wir haben heute erlebt, daß dem Ministerium lebhafte Vorwürfe gemacht sind, daß es nicht ausgiebiger mit seinen Mitteilungen über die schwebenden Fragen gewesen ist. Wir haben hier eine militärische Kritik erlebt, die so in das Detail ging, daß man wohl erwarten kann, daß nächstens die Aufstellung unserer Feldwachen von dieser Tribüne herab dirigiert werden wird. Es ist als die mindeste Forderung hingestellt worden, daß den Kammern während der diplomatischen Verhandlungen wenigstens ein Maximum mitgeteilt werde, über welches die Regierung beim Abschlusse mit fremden Mächten nicht hinaus will. Ich begreife nicht, wie jemand, der diplomatische Verhandlungen kennt und kennen muß, eine solche Forderung an das Ministerium stellen kann; wenn hiernach nicht verstanden wird, daß solchen Forderungen in keiner Weise nachgegeben werden kann, so will ich die Sache in einem einfachen und gemeinverständlichen Vergleich darstellen. Jeder, der einmal einen Pferdehandel gemacht hat, wird sich während desselben hüten, einem Dritten, und vielleicht einem sehr geschätzten Dritten, mitzuteilen, welches Maximum des Preises er nicht überschreiten, oder unter welches Minimum er nicht gehen wolle, denn sein Minimum würde sofort das Maximum und sein Maximum das Minimum des anderen sein; ich glaube, dieser Vergleich macht die Sache ganz anschaulich.

    Ich sehe mich in dieser Weise nach allen Seiten danach um, wo der casus belli liegen kann, welches die Bedingungen sein könnten, die wir den besiegten Feinden stellen wollen, wenn wir siegreich an den Toren von Wien und Petersburg stehen werden. Wollen wir uns ausbedingen, daß, wenn einmal badische Truppen wieder nach Preußen ziehen, ihnen über den Harz so viel Breite des Weges gelassen werde, daß sie sektionsweise marschieren können und nicht „zu einem abgebrochen“? Ich würde in der Tat verlegen sein, den casus belli aufzufinden, wenn nicht der geehrte Abgeordnete [Beveler], welcher vor wenigen Tagen eine Interpellation über die Ausweisung einer der vorzüglichsten Säulen des Konstitutionalismus [Haym] an das Ministerium gerichtet hat, offen erklärt hätte: „Es gilt keinen Krieg um die Etappenstraßen oder um eine Frage der militärischen Courtoisie, sondern es gilt einen Prinzipienkrieg.“ Darunter verstehe ich, in meine Sprache übersetzt: „es gilt einen Krieg für die bedrängten parlamentarischen Freunde in Hessen, Württemberg, Sachsen, für die Wiederherstellung der Verfassungen, die dort vielleicht gefallen sind und die einzelnen Mitgliedern der Kammern besser gefallen als die jetzigen.“ Ich verstehe darunter einen Krieg der Propaganda, der das Gefecht da fortsetzt, wo es am 19. März 1848 hier in Berlin abgebrochen wurde. Mögen sich die nicht täuschen, welche glauben, einen solchen Krieg unter dem Banner der Union beginnen und beendigen zu können. Meine Herren! Ich dächte, wir alle, und namentlich diejenige Partei, deren Ratschläge Preußen bis zum November 1848 das Unglück hatte zu befolgen, sollten gelernt haben, was es heißt, „mit Feuer zu spielen“, und daß derjenige, der einen Brand entzündet, nicht imstande ist, ihm da, wo das Feuer seinem Wunsche nach Halt machen soll, mit der Formel irgendeines abgenutzten Paragraphen ein „bis hierher und nicht weiter“ zu gebieten.

    Ich hatte gehofft, wir würden nach der Andeutung der Thronrede die Verhandlungen über den 26. Mai und die damit in Verbindung stehenden Unionsverhältnisse vertagen, bis wir für Deutschland wenigstens das Minimum der Einheit oder vielleicht etwas mehr wieder gewonnen hätten, welches wir besaßen, ehe die Verhandlungen in der Paulskirche begannen.

    Wenn jemand im Namen der deutschen Einheit auf die parlamentarische Union hindrängt, so möchte ich ihn verwarnen, daß er nicht zwei Begriffe miteinander verwechsle, die deutsche Einheit und das Recht, auf einer deutschen Tribüne parlamentarische Vorträge zu halten; für mich liegen beide Begriffe weit auseinander. Wie aber in der Union die deutsche Einheit gesucht werden soll, vermag ich nicht zu verstehen; es ist eine sonderbare Einheit, die von Hause aus verlangt, im Interesse dieses Sonderbundes einstweilen unsere deutschen Landsleute im Süden zu erschießen und zu erstechen; die die deutsche Ehre darin findet, daß der Schwerpunkt aller deutschen Fragen notwendig nach Warschau und Paris fällt. Denken Sie sich zwei Teile Deutschlands einander in Waffen gegenüber, deren Machtverschiedenheit nicht in dem Grade bedeutend ist, daß nicht eine Parteinahme auf einer Seite, auch von einer geringeren Macht als Rußland und Frankreich, ein entscheidendes Gewicht in die Wagschale legen könnte, und ich begreife nicht, mit welchem Recht jemand, der ein solches Verhältnis selbst herbeiführen will, sich darüber beklagen darf, daß der Schwerpunkt der Entscheidung unter solchen Umständen nach dem Auslande fällt. Es ist mathematisch notwendig, und er selbst trägt die Schuld.

    Wenn ich vorher von dieser Tribüne Österreich als Ausland und, wenn ich nicht irre, als verwegenes Ausland habe bezeichnen hören, so möchte ich fragen, mit welchem Rechte Sie behaupten, daß Hessen und Holstein uns nicht für Ausland gelte, wenn Sie Österreich als Ausland behandeln, das mit demselben Rechte zu Deutschland gehört? Ich hatte geglaubt, die Union, welche ich außerhalb dieser Kammer und bis ich wieder nach Berlin kam, von niemand anders als mit einem leisen Anflug von Heiterkeit habe nennen hören, wie eine Jugendphantasie, deren man sich mit dem angenehmen Gefühle erinnert, daß sie glücklicherweise ohne üble Folgen geblieben ist, diese Union, glaubte ich, wäre mit ihrem Träger gefallen. Der Träger der Union, der Schöpfer dieser Verfassung vom 26. Mai, Herr von Radowitz, ist aus dem Ministerium getreten, meiner Auffassung nach deshalb, weil das Ministerium das frühere, als verkehrt erkannte System, das System Radowitz, hatte fallen lassen. Ich will den nicht Anwesenden hier nicht angreifen, ich würde es aber gern gesehen haben, wenn Herr von Radowitz mir jetzt wie vor einem Jahre gegenübersäße.

    Ich bin überzeugt, er hat das Beste für Preußen gewollt und hat sich nur in den Mitteln vergriffen. Ich habe vor Jahr und Tag von dieser selben Stelle aus meine Überzeugung ausgesprochen, daß die Union an sich nicht lebensfähig sei, daß sie mir stets erschienen als ein zwitterhaftes Produkt furchtsamer Herrschaft und zahmer Revolution. Ich habe bis jetzt noch nichts herausgefunden, was diese tief im Volke lebende Überzeugung widerlegt hätte, und der Adreßentwurf enthält keinen kolossaleren Irrtum, als in dem Passus über die Befriedigung, mit welcher das Volk die Unionsbestrebungen aufgenommen habe. Aus dem Fallenlassen dieses Unionsprinzips ist heute von dieser Stelle aus dem Ministerium der Vorwurf der Inkonsequenz mit bitteren Worten gemacht worden, von dem Abgeordneten für Aachen [Vincke]. Ich möchte namentlich diesen Herrn daran erinnern, daß sich selbst Privatleute in dem Falle befinden können, inkonsequent zu werden, und was sie früher für Unrecht hielten, später nach den Umständen für Recht halten zu müssen. Ich mache niemandem damit einen Vorwurf, ich halte es für männlich und offen, seinen Irrtum anzuerkennen, aber nicht das halte ich für männlich, dem einen Vorwurf darüber zu machen, der von seinem Irrtum zurückgekommen ist. Ich will nur darauf noch hinweisen, daß es viel leichter ist, Privatverhältnisse konsequent in seiner Hand zu behalten, als diejenigen, welche unter veränderten Umständen die Schicksale eines Landes von sechzehn Millionen berühren und regeln. Ich will auf die Idee der Gültigkeit oder Ungültigkeit der Unionsverfassung hier nicht zurückkommen, wir haben das in Erfurt hinreichend besprochen, ich habe wie damals die Überzeugung, daß sie rechtsgültig bei uns, Gott sei Dank, nicht besteht, und wenn sie bestände, so wäre sie nichts anderes, als eine Mediatisierung Preußens, nicht unter die Fürsten, sondern unter die Kammern der kleinen Staaten, und ein Krieg, für die Union von Preußen geführt, könnte mich nur lebhaft an jenen Engländer erinnern, der ein siegreiches Gefecht mit einer Schildwache bestand, um sich in dem Schilderhause hängen zu können, ein Recht, welches er sich und jedem freien Briten vindizierte. Sollten wir trotzdem dahin getrieben werden, für die Idee der Union Krieg zu führen, meine Herren, es würde nicht lange dauern, daß den Unionsmännern von kräftigen Fäusten die letzten Fetzen des Unionsmantels heruntergerissen würden, und es würde nichts bleiben als das rote Unterfutter dieses sehr leichten Kleidungsstückes. Am wenigsten kann ich glauben, daß die Staatsmänner, die im Sommer 1848 der Freundschaftsbezeugungen einer Handvoll Berliner Proletarier sich nicht erwehren konnten, stark genug sein würden, wenn einmal der Brand gezündet ist, im Kampfe mit der Übermacht die dargebotene Hand der polnischen, italienischen, ungarischen und deutschen Demokratie zurückzuweisen.

    Es würde dann dahin kommen, daß ein Staatsmann Recht behielte, der zur Zeit der aufgelösten Kammer an dieser Stelle saß und der am 31. Oktober in der bekannten vernagelten Sitzung den Antrag stellte, sofort der ungarischen Revolution zu Hilfe zu eilen, im Namen Deutschlands, gegen den Erben einer langen Reihe deutscher Kaiser. Es ist eine seltsame Bescheidenheit, daß man sich nicht entschließen kann, Österreich für eine deutsche Macht zu halten. Ich kann in nichts anderem den Grund hiervon suchen, als daß Österreich das Glück hat, fremde Volksstämme zu beherrschen, welche in alter Zeit durch deutsche Waffen unterworfen wurden. Ich kann aber daraus nicht schließen, daß, weil Slowaken und Ruthenen unter der Herrschaft Österreichs stehen, diese die Repräsentanten des Staates und die Deutschen eine bloße beiläufige Zugabe des slawischen Österreichs seien; sondern ich erkenne in Österreich den Repräsentanten und Erben einer alten deutschen Macht, die oft und glorreich das deutsche Schwert geführt hat. Glauben Sie nicht, daß meine Andeutungen in bezug auf die Gefahr auf Phantasien beruhen. Ich berufe mich auf das weitverbreitete Organ einer Partei, die, ich weiß nicht, sich für die gemäßigt-konstitutionelle oder für die gemäßigt-demokratische hält – die Begriffe laufen heute sehr zusammen – nämlich auf die Kölnische Zeitung, in welcher Preußen aufgerufen wird, den Magyaren und der italienischen Indipendenza zu Hilfe zu kommen. Wir brauchen nicht so weit zurückzugehen, um in die geheimen Orgien der Demokratie einzudringen, von denen Preußen mit Beschämung hören muß, daß das Bildnis Robert Blums, mit den preußischen Farben, schwarz und weiß, geschmückt, aufgestellt wird, um gleichgesinnte preußische Landwehrmänner zum Schwur der Rache für den Märtyrer der Freiheit zu veranlassen, vor dessen Bilde sie stehen, und der für dieselbe Sache gestorben sei, für die Preußen fechten werde. Dies ist auch aus einem Briefe, den ich selbst gelesen habe. Ich habe bereits vor einem Jahre auf dieser Stelle dagegen gewarnt, daß man Preußen nicht in die Rolle drängen solle, die Turin in Italien gespielt hat. Die Pflicht der Ratgeber der Krone ist die, Preußen vor dem Rate derer zu schützen, welche es wiederholt an den Rand des Verderbens gebracht haben. Es ist ihre Pflicht, die Krone vor Bundesgenossen zu sichern, welche gefährlicher sind, als der Feind selbst; das preußische Banner davor zu schützen, daß es nicht, wider Preußens Willen, der Sammelplatz werde für diejenigen, die Europa ausgestoßen hat, die ich nicht schärfer bezeichnen will, weil niemand von ihnen anwesend ist. Gelingt es dem Ministerium nicht, diesen Krieg der Propaganda, diesen Prinzipienkrieg von uns fernzuhalten, dann, meine Herren, bleibt dem Preußen nichts anderes, als dem Befehle, der ihn in die Reihe der Krieger ruft, zu folgen, wenn auch in bitterem Schmerze und zu schmachvollem Untergange, selbst im Siege. Aber es möge jeder, der diesen Krieg hindern konnte und es nicht tat, bedenken, daß das Blut, welches in solchem Kriege vergossen wird, in seinem Schuldbuche steht; möge ihn der Fluch jedes ehrlichen Soldaten treffen, der für eine Sache stirbt, die er im Herzen verdammt und verachtet, und möge dieser Fluch schwer auf seiner Seele lasten am Tage des Gerichts.

    Aber, meine Herren, einen solchen Prinzipienkrieg – ich habe nicht gehört, daß irgend jemand nach ihm verlangt – ich gestehe, ich habe dies Wort seit lange zum ersten Mal in dieser Kammer gehört: sollte niemand im Lande einen solchen Prinzipienkrieg verlangen, als die Majorität der Kammer, so ist dies meiner Meinung nach kein Grund zum Kriege mit Österreich, sondern zum Kriege mit dieser Kammer. Dann wäre es Pflicht der Räte der Krone, sich zu erinnern, daß eine Kammer leichter mobil zu machen ist als eine Armee (Heiterkeit) und in einer Neuwahl das Volk zu fragen, ob es die Ansichten seiner Vertreter durch Wiederwahl gutheiße, (Lärm) oder ob es durch seine Wahl zeigen will, daß es mit festem Vertrauen an dem Ministerium hängt, zu dessen Unterstützung – daran erinnern Sie sich, meine Herren – wir fast alle vor einem Jahre hierher geschickt wurden.