Bei einem Ausritt mit dem Chef der Reichskanzlei Christoph Tiedemann sucht Bismarck im Februar 1878 nach einem prägnanten Begriff zur Charakterisierung der Stellung Deutschlands gegenüber den Verwicklungen im Orient.
Deutschland erstrebe nicht, etwa nach dem Vorbilde Napoleons III., die Rolle eines Schiedsrichters in Europa. Es wolle nur die Hand bieten, zerrissene Fäden wieder anzuknüpfen und das Anrufen der ultima ratio regum [das letzte Mittel der Könige] nach Möglichkeit zu verhindern oder doch hinauszuschieben. Da sei ihm die Figur des „Mittler“ in Goethes Wahlverwandtschaften eingefallen, der überall auftauche, wo ein ehelicher Zwist zum Ausbruch gekommen, um einem Scheidungsprozeß entgegenzuwirken und durch sein Zureden die erbitterten Ehegatten wieder zusammenzubringen. „Notieren Sie sich das, bitte“. Ich schrieb im Weiterreiten in mein Taschenbuch: „Wir wollen uns in Europa nur auf die Rolle des Mittlers aus den Wahlverwandtschaften beschränken“. Auf dem Spazierritte am nächsten Tage fragte er mich, ob ich glaube, daß man den Herren Reichstagsabgeordneten durchweg eine genaue Kenntnis der Wahlverwandtschaften zutrauen könne, so daß sie sofort die Anspielung verständen, und als ich dies bezweifelte, meinte er, dann sei es wohl besser, einen Vergleich aus dem gewöhnlichen Geschäftsleben herzunehmen. „Schreiben Sie: Wir wollen in Europa nur die Rolle eines Maklers ohne Proxeneticum [Maklerlohn] spielen“. Am dritten Tage gefiel ihm auch dieser Vergleich nicht. Er meinte, der Begriff Proxeneticum sei nicht jedem geläufig. Er wolle lieber sagen: „eines ehrlichen Maklers“, der das Geschäft wirklich zustande bringen wolle, das klinge einfacher und sei allgemein verständlich. So blieb es denn auch, und der „ehrliche Makler“ ist zum geflügelten Wort geworden.
Christoph von Tiedemann, Sechs Jahre Chef der Reichskanzlei unter dem Fürsten Bismarck. Erinnerungen, 2., vermehrte Aufl., Leipzig 1910, S. 491f.