Im Gespräch mit dem Chef der Reichskanzlei, Christoph Tiedemann, beklagt Bismarck im Oktober 1877 den Tod seiner Dogge Sultan.
Wir stehen hier unter dem Eindruck eines an sich unbedeutenden, aber in seinen Wirkungen tieftragischen Ereignisses. [...] Beim Kaffee wurde plötzlich entdeckt, daß Sultan, die große Ulmer Dogge, die noch bei Tisch von jedermann verzogen worden war, verschwunden sei. Da Sultan in einem benachbarten Dorf ein Liebesverhältnis unterhielt, so nahm der Fürst an, er sei wieder einmal dorthin gelaufen. Er war ärgerlich und erklärte, er werde den Hund einmal tüchtig durchprügeln.
Herbert, Holstein und ich gingen auf unsere Zimmer, um noch bis zum Postschluß zu arbeiten, als es gegen 11 unten lebendig wurde; dann hieß es, Sultan, der vor kurzem nach Hause gekommen sei, liege in den letzten Zügen. Unten bot sich uns ein wirklich erschütternder Anblick. Auf dem Fußboden saß der Fürst, den Kopf des sterbenden Hundes in seinem Schoß haltend. Er flüsterte ihm liebkosende Worte zu und suchte seine Tränen vor uns zu verbergen. Bald darauf starb der Hund, der Fürst erhob sich und ging auf sein Zimmer, kam an diesem Abend auch nur auf kurze Zeit wieder, um Gutenacht zu sagen. Holstein, der vor dem Schlafengehen noch bei mir war, faßte die Situation richtig in die Worte zusammen: „Der Fürst hat einen Freund verloren und fühlt sich vereinsamt“.
Heute morgen war es, als ob wir uns in einem Trauerhause befänden. Es wurde nur mit verhaltener Stimme gesprochen. Der Fürst hatte nicht geschlafen; ihn quälte unaufhörlich der Gedanke, daß er den Hund kurz vor seinem Tode noch gezüchtigt hatte. Obgleich die heute morgen vorgenommene Obduktion ergeben hatte, daß Sultan an einem Herzschlage gestorben sei, machte er sich immer wieder selbstquälerische Vorwürfe. Nach dem Frühstück stiegen wir zu Pferde, der Fürst war einsilbig, er suchte die Wege auf, wo sein lieber, alter Hund ihn zuletzt begleitet. So trabten wir lange im strömenden Regen vorwärts. Als ich einmal neben ihm ritt, sagte er, es sei sündlich, so wie er getan, sein Herz an ein Tier zu hängen, er habe aber nichts Lieberes auf der Welt gehabt und er müsse mit Heinrich V. im Shakespeare sagen: ich hätte einen Bess’ren besser missen können. Und dann setzte er zu einem langen Galopp an, daß Reiter und Pferde dampfend vor dem Schloß anlangten.
Christoph von Tiedemann, Sechs Jahre Chef der Reichskanzlei unter dem Fürsten Bismarck. Erinnerungen, 2., vermehrte Aufl., Leipzig 1910, S. 210-212